Auf der Suche nach neuen Beinkleidern

Das Loch in der Hose

Eine neue Hose kaufen bedeutet für einen Mann bekanntlich purer Stress. Zum absoluten Abenteuer wird der Aufenthalt im Beinkleider-Shop jedoch, wenn man dabei auch noch dem schlauen Literaturdozenten Kastberger begegnet.

Es gibt Menschen, die gerne einkaufen gehen. Shoppen als Lebensphilosophie. Mit angeborenem Jagdtrieb lauern sie so genannten Schnäppchen auf. Ich gehöre nicht zu dieser Spezies. Einkaufen ist mir eine Qual. Und so besitze ich immer nur eine Hose und begebe mich erst dann zum Neukauf eines Beinkleids, wenn die alte Hose löchrig geworden ist, meist im Schritt, manchmal auch am Knie.

Letzten Mittwoch war es wieder einmal so weit. Die alte hatte ausgedient. Ausgebeult, abgetragen und fadenscheinig war sie schon längere Zeit, das hätte mir nichts ausgemacht, leider kamen nun auch Risse und somit Löcher hinzu, der gefürchtete Canossa-Gang auf die Mariahilferstraße war nicht länger aufschiebbar.

Dass ich jeden Mittwoch, Punkt 18.00 Uhr, in Nussdorf, Endstelle des D-Wagens, auf meinen Freund, den schlauen Literaturdozenten, Kastberger, treffe, gehört zu den Gewohnheiten und somit Ritualen meines spannenden Lebens, doch dass ich, der gleichsam nie, oder beinahe nie, eine Hose einkaufen geht, just an einem Mittwochvormittag in einem dieser grässlichen Mariahilferstraßen-Kaufhäuser auf den unerschrockenen Literaturdozenten, Kastberger, treffe, gehört schon in den Bereich von Unmöglichkeiten, die dann doch stattfinden. Das Leben ist voll davon. Allerdings war Kastberger um nichts weniger verblüfft, mich, den Hosenmuffel, hier, in einem dieser grauenvollen Mariahilferstraßen-Kaufhäuser zu entdecken.

Kastberger, das muss ich ergänzen, ist ebenfalls ein Einkaufs-Verächter. Auch er besitzt immer nur eine Hose, die herhalten muss, bis sie ihm förmlich vom Leib fällt. Statt uns am Beethovenweg mit berühmten Zitaten ping-pong-mäßig zu matchen, sahen wir uns nunmehr mit Etiketten konfrontiert, die uns ratlos machten: Brax, Boss, Benetton. Verstohlen hielten wir nach einem Verkäufer Ausschau, doch das war zwecklos. Junge, gut aussehende Mädchen bewegten sich mit einer Selbstverständlichkeit und, wie es heute heißt, Coolness in nabelfreien Tops und engen Jeans durch den Kleider-Dschungel, dass wir es niemals gewagt hätten, sie in unserer Hilflosigkeit anzusprechen.

Nach einem eher halbherzigen Versuch, Exemplare der altehrwürdigen 501er ausfindig zu machen, der naturgemäß erfolglos blieb, raffte Kastberger ein paar Hosen zusammen, packte mich am Arm und zog mich in Richtung der Kleiderprobierzellen nach: "Eine wird schon passen!"

Während er mir seine alte Hose durch einen Spalt der Probierzelle reichte, bemühte er sich unter Ächzen und Stöhnen, die erste der neuen Hosen anzuziehen. "Wusstest Du, Weichinger, dass der während des Hosenprobierens eintretende Herztod keine Seltenheit ist? Man probiert eine Hose, und es trifft einen der Schlag. In den Hosenprobierzellen hat schon viele der Schlag getroffen." - "Zitierst Du die Kleiderinnung, Kastberger, oder doch eher Thomas Bernhard? Was ist mit den neuen Hosen? Passt eine?" - "Passt eine in der Länge ist sie zu eng. Passt eine in der Weite, ist sie zu lang. Eine Diplomarbeit ist ein Klacks gegen einen Hosenkauf. Eine Diss ist dagegen wie eine Fingerübung. Eine Habil eine nette Nachmittagsbeschäftigung. Der Kleiderhausprobierzellenschlag ist der häufigste, Weichinger!"

Noch bevor ich dem sonst so gefestigten Literaturdozenten etwas Aufmunterndes zuflüstern konnte, schob er mir den Packen neuer Hosen durch den Probierzellenspalt und erstarrte im nächsten Augenblick. "Vorsichtig umdrehen, Weichinger, dort, bei den Markenjeans, das ist doch der eitle..." - "Genau", fiel ich dem nun erschrockenen Literaturdozenten ins Wort: "Den hast Du unlängst in der Presse verrissen." - "Spinn ich, und die dort bei den Schnürlsamthosen..." - "Die ist schon lange ein Er. Ihn hast Du in 'Ex libris' verrissen." Kastberger schluckte und lugte eingeschüchtert über meine Schulter. "Der dort, der gerade mit der Rolltreppe in die Herrenabteilung kommt, der Typ mit der Lederjacke, das ist doch dein Dichterfreund, Weichinger." - "Den hast du in der 'Literarischen Soiree' verrissen." - "Ein Komplott, Weichinger, eine Verschwörung! Als ob der Hosenkauf nicht schon schwer genug wäre und nun noch diese Meute verrissener Dichter. Flucht, Weichinger! Unser nächstes Ziel ist die Änderungsschneiderei. Dort weiß man, wie man Löcher stopft."