Ausbeutung statt Toleranz am Beispiel Bangladesch

Kleiner Preis - großer Wert?

Ausbeutung nannten längst vergessene Autoren wie Karl Marx oder Friedrich Engels, was heute etwa in Bangladesch in Textilbetrieben der Normalzustand ist. Die Nutznießer sind vor allem europäische Konzerne wie etwa Tchibo, H&M, ZARA oder KarstadtQuelle.

Statements von Näherinnen in Bangladesch

Wer kennt sie nicht, die "geilen" Sprüche über "Geiz" oder "Blödmänner" in der Werbung. Man zwingt die Verbraucher geradezu, nur noch auf den Preis einer Ware zu achten, der Wert wird immer zweitrangiger. Die Folge: Discounter und Ketten boomen; Billigläden wachsen wie Schwammerln aus Europas Boden und profitieren davon.

Gesetze und Verhaltenskodizes der europäischen Unternehmen, die die Ware kaufen, werden dabei häufig nicht eingehalten. Durch niedrige Bezahlung und unzulängliche Beschäftigungsbedingungen wird Billigware en masse produziert, wie im Folgenden am Beispiel Bangladesch ersichtlich ist.

Jede Woche eine neue Welt

Mit diesem Motto lockt Tchibo jede Woche Schnäppchenjäger in die rund 160 Tchibo-Eduscho-Filialen in Österreich. Längst ist der Umsatz mit Töpfen oder Kleidung größer als der mit Kaffee. Textilien wie Sportkleidung oder flauschige Pyjamas bilden einen Großteil des Angebots.

In Deutschland ist Tchibo bereits der achtgrößte Textilhändler und machte 2004 einen Umsatz von 8,3 Milliarden Euro. Tchibo lässt ebenso wie andere europäische Textilhändler (u. a. H&M, Karstadt-Quelle oder ZARA) einen großen Teil der Textilien in Bangladesch nähen. Warum, liegt auf der Hand ...

Ausbeutung pur

Bangladesch gilt als korruptestes Land der Welt. Die Löhne sind niedrig und die Gewerkschaften schwach. Mit Fertigtextilien verdient Bangladesch drei Viertel seiner Exporteinnahmen. In mehr als 4.000 Kleiderfabriken arbeiten fast zwei Millionen Menschen; 85 Prozent davon sind Frauen. Die europäischen Unternehmen schätzen die billigen und geschickten Näherinnen. Doch der Preis für die Billigwaren ist hoch ...

Die Näherinnen arbeiten zwölf bis 14 Stunden am Tag, manchmal sogar nachts und auch an ihrem freien Tag. Sie bekommen häufig keinen Krankheitsurlaub und keinerlei Pensionszahlungen. Wer einer Gewerkschaft beitritt, wird entlassen. Bei Fehlern werden sie angebrüllt und geschlagen: "Wenn ich einen Fehler mache, beschimpfen mich die Aufseher!“ berichtet etwa Näherin Sabina von Giant Garment, einem Zulieferer von Tchibo: "Sie schlagen mich mit der Schere oder dem Maßstab. Sie ziehen mich an den Haaren oder werfen mir die Garnrolle an den Kopf“.

Lügen für die Inspektoren

Die europäischen Händler andererseits schmücken sich mit Verhaltenskodizes, die den Konsumenten zeigen sollen, bei der Produktion sei alles in bester Ordnung. Doch die Arbeiterinnen berichten, dass sie im Falle von Kontrollen instruiert werden, welche Antworten sie zu geben hätten. Aus Furcht vor Entlassung wagen sie es nicht, die Wahrheit über die sklavenähnlichen Arbeitsbedingungen zu sagen:

“Wir sind arm und müssen unsere Eltern versorgen. Also lügen wir die Inspektoren an und sagen ihnen, was sie hören wollen“, hört man inoffiziell.

Tödlicher Preiskampf

Dass Kontrollen die Einhaltung der Gesetze nicht sicherstellen, wurde auf grausame Art erst in der Nacht zum 11. April 2005 deutlich: Ein achtstöckiges Fabrikgebäude in der Industriestadt Savar nordwestlich von Dhaka krachte in sich zusammen. 64 Menschen kamen ums Leben; noch mehr wurden zum Teil schwer verletzt. Unter den Opfern befanden sich auch Frauen, obwohl Nachtarbeit für Frauen verboten ist.

Der Grund für den Einsturz: Die vier oberen Stockwerke der Fabrik waren ohne Baugenehmigung errichtet worden. Neben der Trauer ist die Wut bei den Verletzten und Hinterbliebenen groß, denn bis heute warten sie auf eine angemessene Entschädigung. Bis auf eine Ausnahme haben die europäischen Händler bis jetzt keinerlei Verantwortung gezeigt.

Statt Boykott: Druck auf die Händler

Trotz dieser schockierenden Zustände plädieren die Gewerkschafter in Bangladesch nicht für einen Boykott der Waren, sondern fordern die Konsumenten in Europa auf, Druck auf die europäischen Händler auszuüben, damit diese ihre Verantwortung wahrnehmen:

"Ihr Konsumenten habt die Macht, Druck auf eure Händler auszuüben“, fordert Nazma Akter, die Leiterin der Arbeitnehmerinnenorganisation Awaz: "Ihr habt das Glück, unsere Kleidung kaufen zu können, und ihr müsst uns helfen, dieses Problem für die armen arbeitenden Frauen hier zu lösen".

Erste Reaktionen

Als Reaktion auf die Kampagne für saubere Kleidung und die Recherchen des ORF hat Tchibo einen Kurswechsel angekündigt und eine Consulting-Firma damit beauftragt, Vorschläge zu erarbeiten, wie die Missstände beseitigt werden können.

Wie man als einzelner aktiv werden kann, darüber informiert die Homepage der Clean-Clothes-Kampagne.

Hör-Tipp
Journal-Panorama, Montag, 16. Jänner 2006, 18:25 Uhr

Download-Tipp
Ö1 Club-Mitglieder können die Sendung nach der Ausstrahlung 30 Tage lang im Download-Bereich herunterladen.

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