Ein Situationsbericht am Rande des Urwalds

Im Reich Fitzcarraldos

Werner Herzogs Film mit Klaus Kinsky hatte einen historischen Schauplatz: Die Stadt im peruanischen Amazonasgebiet, die heute nur noch Reste alten Glanzes zeigt - und aktuelle Probleme: Korruption, Drogen, Vernichtung des Regenwaldes.

Oppositionsführer Elias Velazco klagt an

Man erreicht sie über keine Straße, sondern nur auf dem Wasserweg oder mit dem Flugzeug: Iquitos, die Stadt am Rande des peruanischen Urwalds am Ufer des Amazonas, jene Gegend, in der einst der irische Exzentriker Brian Fitzcarraldo ein Opernhaus errichten wollte. Die einzige Schwierigkeit, die sich Fitzcarraldo in den Weg stellte, war ein Bergmassiv. Indios mussten ein Schiff über den Berg schleppen. Aber Fitzcarraldo scheiterte.

So wie er scheiterten aber nach ihm auch andere. Denn wenn man nach Iquitos, in die Hauptstadt des Departments Loreto, kommt, scheint der durch den Kautschukboom bedingte vorübergehende Reichtum der Stadt verflossen zu sein.

Modernisierung verschlafen

Insgesamt etwa 400.000 Menschen wohnen in der Stadt am Rande des Urwaldes. Die Loretaner fühlen sich von der Zentralregierung im Stich gelassen, nicht nur wegen der fehlenden Verkehrsverbindungen. Lima kehrt Iquitos und dem Tiefland den Rücken zu, Investitionen sind ausgeblieben. Dabei wird seit den 1960er Jahren Erdöl gefördert, aber für die Region Loreto fällt davon wenig ab.

Iquitos wirkt heute noch wie vor fünfzig Jahren. Von Modernität keine Spur. Keine Hochhäuser, keine glitzernden Büros, keine Limousinen. Auch am kleinen renovierungsbedürftigen Airport fehlt die übliche Taxi-Schlange. Dafür aber warten Motocars ...

Die Moto-Taxistas

So nennen sich jene an jeder Ecke stehenden Fahrer, die auf ihren Motorrädern, auf die selbst gefertigte Kabinen ohne Fenster aufgebaut sind, ihre Fahrgäste herumkutschieren. "Sie stellen die wichtigste wirtschaftliche Aktivität in Iquitos dar“, sagt Manuel, 25 Jahre alt, Student an der Hotelfachschule. Auch er verdient sich sein Studium als Moto-Taxista.

Acht Euro Lohn für zwölf Stunden

Mehr als die Hälfte aller gezahlten Löhne gehen an die Moto-Taxistas, die Taxifahrer der Stadt. Zugelassen sind etwa 50.000 Motocars, und jeden Tag sind bis zu 25.000 auf der Straße. "Wir hätten Macht, wenn wir uns in einer Gewerkschaft organisieren würden, aber wir sind in mehrere Verbände aufgeteilt“, sagt Manuel resignierend auf der Fahrt durch die Stadt.

Nur einem Drittel aller Fahrer gehört das Taxi selbst. Die Firma Honda bietet ein Motocar komplett für 1.800 Dollar an. So viel Geld haben die wenigsten. Sie arbeiten als Angestellte eines Taxi-Unternehmens und kommen vielleicht auf acht Euro am Tag, oft auf weniger. Dafür arbeiten sie zwölf Stunden am Tag.

Drogenhandel floriert

Der Tourismus bringt wenig, dafür floriert der Drogenhandel, heißt es bei der Polizei. In der Umgebung wird immer mehr Koka angebaut - so viel, dass damit der kolumbianische und brasilianische Markt versorgt werden kann. Die Plantagen liegen im Dschungel und sind schwer zugänglich, und die Dealer benutzen die Indianer für den illegalen Anbau.

Ein Wandel zum Besseren scheint nicht in Sicht - nicht in Iquitos und nicht in Peru, schimpft die Opposition: "Die Regierung des Herrn Toledo ist eine Fortsetzung des Diktators Fujimori, der sich in Japan aufhält. Die Privatisierungen gehen weiter. Und wer sich wehrt, wird verfolgt. Ein neues Demonstrationsgesetz soll uns einschüchtern. Toledo unterwirft sich allem, was der Internationale Währungsfonds vorschreibt. Er verkauft unser Land stückweise“, beklagt auch Manuel bei der Fahrt durch die Stadt.

Der zentrale Platz ist die Plaza de Armas, der Waffenplatz. In kolonialen Zeiten wurden hier Waffen an die Bürger zur Verteidigung ausgegeben. An der Plaza steht das alte Rathaus, in dem heute das Tourismus-Büro untergebracht ist, daneben das einzige Fünf-Sterne-Hotel im Ort: das El Dorado. Gegenüber die Kathedrale. An der Ecke das so genannte "Eisenhaus“.

Das Venedig Amazoniens

Im Stadtteil Belém liegt der Markt. Man nennt ihn "Venedig Amazoniens“, weil die bescheidenen Holzhäuser auf Pfählen - wie in Venedig - stehen. Seinen Namen verdankt dieser Fleck auch der Tatsache, dass der Amazonas regelmäßig über seine Ufer tritt und dass dann der gesamte Stadtteil unter Wasser steht: “Dann steigt das Wasser bis in die Häuser. Und wenn die Lehmwege unter Wasser stehen, kommen die Bewohner nur mit Kanus in ihre Schlafzimmer. Nach Belém zieht niemand freiwillig, denn eigentlich kann man hier nicht wohnen“, sagt der Taxista Manuel.

Vor dem Tor bieten fliegende Händler und Bäuerinnen an improvisierten Ständen Kostbarkeiten aus der Umgebung an: Tropische Früchte und Fruchtsäfte, Gemüse, Nüsse, Blumen und Salben und Essenzen, denen magische Kräfte nachgesagt werden.

Keine Terroristen

Obwohl im Stadtteil Belém durch den starken Drogenhandel die Kriminalität am höchsten ist, finden Guerillas hier keinen Unterschlupf, denn der Terrorismus hat im peruanischen Tiefland nie Fuß fassen können: "Der 'Sendero Luminoso' - der 'Leuchtende Pfad'“ - war im Hochland und in Lima aktiv, aber hier zum Glück nicht. In Peru ist das Problem des Terrorismus dank der Militärs und der Geheimdienste gelöst“, so Manuel. Noch als Kind erlebte er in den 1980er Jahren einen 13 Jahre lang dauernden Bürgerkrieg, der insgesamt 25.000 Menschenleben forderte und einen Sachschaden in Höhe von 25 Milliarden Dollar verursachte.

Durch die Installierung eines allmächtigen peruanischen Geheimdienstes löschte der damalige Präsident Alberto Fujimori im September 1992 die Anführer des "Sendero Luminoso" aus. Danach unterdrückte er selbst die politische Opposition, löste das Parlament auf und regierte wie ein Diktator. Schließlich versank er wie sein Vorgänger Alan Garcia in Korruptionsskandalen und flüchtete nach Japan. Sein Nachfolger Alejandro Toledo schließlich sollte das Land auf den demokratischen Pfad zurückführen. Aber die Leute sind auch von Toledo enttäuscht, obwohl die Wirtschaft stabil, die Inflation unter Kontrolle und das Wirtschaftswachstum stetig ist.

Alles wird verkauft

Der 54-jährige ehemalige Lehrer Elias Velazco leitet die Patriotische Front Loretos, ein breites Oppositionsbündnis gegen die Regierung von Präsident Toledo, in dem sich die Gewerkschaften, Kommunisten, unabhängige Linke und Sozialdemokraten zusammengetan haben. Er klagt nicht nur über das brutale Vorgehen der Polizei bei Demonstrationen, er verurteilt vor allem, dass die Regierung systematisch das ganze Land verkauft.

Auch der Flughafen soll privatisiert werden, und dies sei - so Elías Velazco - besonders dramatisch, da die Stadt nur auf dem Fluss oder auf dem Luftweg zu erreichen sei. Dem Flughafen komme eine strategische Funktion bei der Versorgung und der Entwicklung der Stadt zu. Und damit nicht genug: "Die Regierung ist dabei, auch unseren Urwald zu verkaufen. Zwei Millionen Hektar Dschungel hat sie bereits an multinationale Unternehmen abgetreten, und jetzt hat sie verkündet, weitere 14 Millionen Hektar Urwald zu privatisieren. Die Ausschreibungen sind bereits im Gang. Dann werden die Multis mit ihrer modernen Technologie herkommen und den Wald zerstören", meint er.

Unter dem Deckmantel des Umweltschutzes

Teile des Dschungels werden von der Regierung unter die Verwaltung von ausländischen Nicht-Regierungsorganisationen gestellt, die wirtschaftliche Aktivitäten in diesem Gebiet verhindern sollen. Der World Wide Fund for Nature zum Beispiel ist eine dieser Organisationen, die Regenwald unter ihren Fittichen hat. Sie hatte erst im April Präsident Toledo mit der Auszeichnung "Gift of the Earth" bedacht, weil er am Oberlauf des Rio Purú, in der südöstlichen Ecke des Amazonas-Tieflandes an der Grenze zu Brasilien, ein riesiges Schutzgebiet errichtet hat. Bei der "Patriotischen Front“ vermutet man, dass die nordamerikanische Regierung hinter diesen Plänen steht.

Elias Velazco dazu: "Das 'Kommando Süden' der US-Streitkräfte hat sich hier einquartiert. Sie haben unter dem Vorwand der Drogenbekämpfung einen Stützpunkt in Iquitos, ganz in der Nähe des zivilen Flughafens. Und sie haben flussabwärts, in Sinchicui und in Yurimaguas, Militärbasen eingerichtet. In den nordamerikanischen Schulen erzählen sie den Kindern, dass Amazonien eine internationale Region ist, die der Menschheit gehört. Ich möchte wissen, was die Amerikaner davon halten, wenn wir New York zu einer internationalen Region erklären?"

Sollten die US-Militärstützpunkte ausgeweitet werden, ist künftig zu befürchten, dass der Drogenhandel und der Konsum einen weiteren Aufschwung erhalten werden. Dies haben die Erfahrungen im Nachbarland Kolumbien bewiesen. Keine glücklichen Aussichten also für Iquitos, die Stadt im peruanischen Urwald.

Hör-Tipp
Journal-Panorama, Mittwoch, 11. Jänner 2006, 18:25 Uhr

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Link
Wikipedia - Peru