Goldene Grazer Opern-Jahre
Die legendäre Ära Carl Nemeth
Als eines der wichtigsten Opern-Zentren Österreichs gilt außer der Wiener Staatsoper und den Salzburger Festspielen die Grazer Oper. Und als legendäre Ära gilt die Zeit von Intendant Carl Nemeth, der das Haus von 1972 bis 1990 führte.
8. April 2017, 21:58
Wenn in Österreich von Oper die Rede ist, dann meistens von der Wiener Staatsoper, eventuell noch von den Salzburger Festspielen und sozusagen außer Programm spricht man in diesen Tagen auch noch vom Theater an der Wien. Aber es gibt und gab selbstverständlich auch außer diesen Zentren wichtige und interessante Stätten in Österreich, wo gut, ja teilweise hervorragend und weit über die Grenzen unseren Landes anerkannt, höchst erfolgreich Oper bzw. Musiktheater gepflegt wurde und auch weiterhin wird. Eine jener Institutionen, die in dieser Beziehung einen ganz besonderen Platz einnimmt, ist die Grazer Oper.
Und als eine besonders erfolgreiche, ja bereits legendäre Periode in ihrer Geschichte gilt die Ära von Carl Nemeth, der das Haus von 1972 bis 1990 fast zwei Jahrzehnte lang führte. Dem 2002 verstorbenen Intendanten, der am 11. Jänner seinen 80. Geburtstag gefeiert hätte, trauern zahlreiche Opern-Enthusiasten - und nicht nur jene aus Graz - bis heute nach.
Das Spezifische der Ära Nemeth
Was war das Spezifische an der Ära von Carl Nemeth, die immerhin die längste in der Geschichte des Hauses war? Wohl kaum die Tatsache, dass in dieser Zeit mehr als 3.000 Vorstellungen stattfanden. Interessanter ist schon die Anzahl seiner Premieren zwischen 1972 und 1990, die trotz eines nicht gerade überdotierten Budgets stattfanden: das waren nämlich immerhin 165 in den Sparten Oper, Operette, Musical und Ballett.
Das Auffallendste in dieser Intendanten-Ära war die ganz besondere Mischung, die die Grazer Oper auch zu einem Anziehungspunkt für Musik-Enthusiasten weit über die Grenzen von Graz und Österreich hinaus gemacht hat. Denn man konnte hier Raritäten erleben, die bei uns entweder noch nie oder zumindest seit langem nicht mehr gespielt wurden.
Start mit Bellinis "Puritanern"
Carl Nemeth hat sein Wirken in Graz mit Vincenzo Bellinis Belcanto-Rarität "Die Puritaner" am 6. Oktober 1972 begonnen, und das trotz ernsthafter Bedenken etwa von Marcel Prawy. Aber Nemeth ließ sich nicht abschrecken - und der Erfolg gab ihm Recht.
Und ein weiteres dieser so melodienreichen Werke, Bellinis "La Somnambula" (Die Nachtwandlerin), brachte Nemeth 1975 heraus. Und für dieses Fach brachte er Maestro Argeo Quadri, den er noch von seiner Tätigkeit in der Wiener Volksopern-Direktion bestens kannte, nach Graz. In den Hauptpartien waren damals Sona Ghazarian und Adolf Dallapozza zu hören - in einer Inszenierung des späteren Bregenzer Festspielchefs Alfred Wopmann.
Erste "Lucia" Gruberovas in Graz
Der italienische Belcanto feierte mit Opern von Bellini, Donizetti und Rossini in Graz also eine Renaissance, wenn natürlich auch nicht jede Produktion ein gleich hohes Niveau hatte.
Donizettis "Lucia di Lammermoor" im Juni 1974 geriet jedenfalls zu einem Triumph und auch nachfolgende Reprisen boten herausragende Leistungen. So etwa im Dezember 1975, als Carlo Bergonzi als Edgardo gastierte und dabei Edita Gruberova als Partnerin hatte, die damals in dieser Rolle ihr Debüt feierte. Was übrigens eine alte Tradition war, dass angehende Weltstars gerade in Graz oft ihre späteren Glanzrollen sozusagen ausprobierten.
Sternstunden mit Taddei und King
Zu einer wahren Sternstunde in der Grazer Operngeschichte entwickelte sich auch ein Gastspiel von Giuseppe Taddei am Ende der Spielzeit 1982/83 in seiner Lieblingspartie als Simon Boccanegra. Damals wollte der Applaus noch lange nach dem Fallen des Eisernen Vorhangs nicht enden, so dass Taddei sich halb abgeschminkt in einer Loge schließlich noch einmal dem Publikum zeigen musste.
Großen Eindruck als packender Verdi-Interpret machte ebenso James King bei seinem "Othello"-Gastspiel im Oktober 1973 zusammen mit der ebenfalls gastierenden Schwedin Siw Wennberg.
Internationale Stars
Viele internationale Stars haben in der Ära von Carl Nemeth in Graz gastiert: So z. B. Birgit Nilsson, die mit dem Met-Tenor Barry Morrell 1974 in Puccinis "Tosca" gastierte. Als Scarpia war Thomas Tipton zu hören, der sich dann in München niederließ.
Auch mit Musicals erfolgreich
Und ebenso war Nemeth auf dem Gebiet der Operette sowie des Musicals erfolgreich. Einer der herausragendsten in diesem Genre war 1973 die Grazer Erstaufführung von "Anatevka" mit dem leider schon verstorbenen Oskar Czerwenka als Milchmann Tevje.
Carl Nemeth (1926-2002)
Carl Nemeth wurde am 11. Jänner 1926 in Wien geboren, wo er Musikwissenschaft und Germanistik studierte und zum Doktor der Philosophie promovierte. Bald danach führte ihn sein Berufsweg 1964 ins Betriebsbüro der Wiener Volksoper, wo Albert Moser Direktor war.
Mit den Erfahrungen aus dieser Zeit konnte er schließlich 1972 die Grazer Oper übernehmen - und zwar etwas überstürzt, weil sein Vorgänger überraschend um vorzeitige Entlassung aus seinem Vertrag bat.
Mozart, Wagner und Alte Musik
Ebenso vorbildlich war Nemeths Mozart- und Wagner-Pflege in seiner Direktionszeit. Aber auch auf dem Spezialgebiet Alte Musik hat Carl Nemeth in Graz Pionierarbeit geleistet: So etwa mit Händels "Alcina", die im März 1980 ihre Grazer Erstaufführung in einer Inszenierung von Harry Kupfer erlebte. Damals konnte man im Wiener "Kurier" von einer musikalischen Offenbarung und von einem "Triumph für Harry Kupfer", der dem Grazer Opernhaus, wo er in der Saison 1973/74 mit "Elektra" seine erste Regie im Westen führte, seither verbunden war.
Hör-Tipp
Apropos Oper, Dienstag, 10. Jänner 2006, 15:06 Uhr
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Grazer Oper