Alternativen kirchlicher Jugendarbeit

Kirche und Jugend

Viele Jugendliche empfinden Kirchen als langweilig, konservativ und weltfremd. Gleichzeitig diagnostizieren Pastoraltheologen einen Bedarf der Jugendlichen nach Religion und eine Suche nach Spiritualität. Und Trendforscher orten eine Rückkehr zu alten Werten.

Sozialarbeiterin Maria Scheiblauer zur Jugendkirche

Immer weniger Jugendliche besuchen herkömmliche Gottesdienste. Kirchen werden als konservativ, veraltet und weltfremd empfunden. Dennoch konstatieren Pastoraltheologen einen jugendlichen Bedarf nach Religion und eine Suche nach Spiritualität. Trendforscher sprechen sogar von einer Rückkehr zu alten Werten.

Auf der Suche nach Spiritualität

Kirche wird von vielen Jugendlichen als eine Institution wahrgenommen, die verbietet und einschränkt. "Jugend ist wie ein Most. Der lässt sich nicht halten. Er muss vergären und überlaufen", sagte schon Martin Luther.

Das Revoltieren, das kritische Hinterfragen, aber manchmal auch einfach die Gleichgültigkeit gegenüber Althergebrachtem, Konventionellem gehört zum Jung-Sein dazu. Um dieser Gleichgültigkeit entgegenzuwirken, gibt es nicht nur von kirchlicher Seite, sondern auch von den Jugendlichen selbst zahlreiche Ansätze und Initiativen.

Das Projekt der Katholischen Jugend

Seit einem halben Jahr gibt es in Wien-Margareten die erste Jugendkirche Österreichs, ein Projekt der Katholischen Jugend der Erzdiözese Wien und des Instituts für Pastoraltheologie. Es ist ein offenes Haus, das Jugendliche selbst gestalten können, ein Treffpunkt für junge Leute, die dort ihre Ideen austauschen, diskutieren und musizieren, unterstützt von der Sozialarbeiterin Maria Scheiblauer und einem 34-jährigen Seelsorger, dem Moraltheologen Gregor Jansen:

"Unsere Jugendkirche soll ein Sprachrohr sein, nicht eine Lehrkanzel", betont der deutsche Priester, der bereits seit zehn Jahren in Österreich lebt. Für ihn ist diese Einrichtung eng mit sozialem Engagement verbunden: "Unsere Kirche soll eine Anlaufstelle für jene Jugendlichen sein, die bisher mit Kirche wenig oder gar nichts zu tun haben wollen".

Sampling-Religion

In Österreich leben laut der letzten Volkszählung etwa 380.000 evangelische Christen. Gemeinschaft, Freunde treffen, etwas erleben - das sind für viele Jugendliche Gründe, warum sie ihrer Kirche nicht den Rücken kehren.

In Wien-Neubau haben sich erst kürzlich hunderte evangelische Jugendliche zu einem Friedenstag versammelt. Dabei wurde gemeinsam über Probleme diskutiert, wurden Erfahrungen ausgetauscht und spirituelle Angebote zu einer persönlichen, individuellen Art von Religion erörtert. In der Fachsprache wird diese Art des Zusammensuchens von religiösen Alternativen Sampling-Religion oder Patchwork-Spiritualität genannt.

Das Projekt NeuEvang

Die evangelische Kirche hat vor kurzem auch ein Projekt gestartet, bei dem sich Jugendliche zu Wort melden können. YoungEvang heißt diese Initiative. Doris Hauberger von der evangelischen Jugend Österreich über das neue Projekt:

"Jugendliche sind über dieses Projekt aufgefordert, per Internetplattform, bei Diskussionsveranstaltungen und auch via Post ihre Meinung zu sagen. Dutzende Antwortkarten liegen bereits vor und beweisen, wie wichtig den Jugendlichen die Suche nach neuen religiösen Alternativen ist".

Der Trend zu alten Werten

Auch Trendforscher Andreas Reiter sieht unter Jugendlichen eine große Sehnsucht nach Religion und Spiritualität. Dabei erleben nach seinen Worten vor allem traditionelle Werte eine Renaissance. Disziplin und Leistung etwa stünden wieder hoch im Kurs. Aber auch Treue in der Partnerschaft sei Jugendlichen wichtig. Diese Werte würden postuliert und gelebt, weil Jugendliche in einer unsicherer werdenden Gesellschaft Sicherheit suchen - Werte als Schwimmreifen, an denen man sich im Strudel der Botschaften festhalten könne.

Andreas Reiter vergleicht "Kirche" mit einer "Marke". Um eine Marke optimal verkaufen zu können, müsse die Botschaft, die nach außen transportiert werde, ident sein mit der Identität der Marke.

Kluge Köpfe gesucht

Kirche, Glaube, Religion - das alles ist eng verbunden mit Identität, dem Gefühl der Geborgenheit. Glaubwürdigkeit zu vermitteln, gelingt aber in erster Linie über Persönlichkeiten. Diese Persönlichkeiten sind allerdings noch dünn gesät, aber es gibt sie, und es werden immer mehr.

Auch die spirituellen Events nehmen laufend zu. Es gibt Kirchencafés, an den deutschen Autobahnen werden Trucker-Gottesdienste für Fernfahrer gefeiert. In der Schweiz gibt es die erste Pfarrkeeperin der Welt, eine Psychotherapeutin, die zu Cocktails seelischen Beistand anbietet. Auch in Österreich ist der Aufwärtstrend zu religiösen Alternativen spürbar. Das Engagement der Jugendlichen ist jedenfalls deutlich gewachsen.

Hör-Tipp
Religionsdokumentation, Freitag, 6. Jänner 2006, 9:05 Uhr

Download-Tipp
Ö1 Club-Mitglieder können die Sendung nach Ende der Live-Ausstrahlung im Download-Bereich herunterladen.

Links
Jugendkirche Wien
YoungEvang