Eine moderne Ehe

Wahlverwandt und ebenbürtig

An der Seite von Wilhelm Humboldt, dem Wissenschaftspolitiker, der die nach ihm benannte Berliner Universität begründete, stand eine starke, eine ebenbürtige Frau. Die Ehe von Caroline und Wilhelm Humboldt beschreibt Hazel Rosenstrauch in ihrem Buch.

Allein schon seine sprachphilosophischen und staatstheoretischen Schriften würden Wilhelm von Humboldt zur herausragenden Figur machen. Dass der Tegeler Adelsspross und Bruder des Naturforschers Alexander von Humboldt darüber hinaus als reformfreudiger Bildungspolitiker die Geschichte des deutschen Schul- und Hochschulwesens über zwei Jahrhunderte hinweg entscheidend mitgeprägt hat - Stichwort: Humboldtsches Bildungsideal - sichert dem preußischen Paradeintellektuellen auch heute noch einen festen Platz unter den Titanen der deutschen Klassik.

Die Publizistin Hazel Rosenstrauch unternimmt es nun, der Frau an Humboldts Seite, Caroline von Humboldt, den ihr gebührenden Platz zukommen zu lassen. In ihrem Buch "Wahlverwandt und ebenbürtig" zeichnet Rosenstrauch die vierzig Jahre dauernde Geschichte der Humboldtschen Ehe nach. Dass Caroline sich dabei keineswegs mit der Rolle der bewundernden Gattin zufriedengab, belegt bereits der umfangreiche Briefwechsel der Eheleute, der insgesamt 3.200 Druckseiten umfasst.

Caroline war wie ihr Mann ein starker Charakter, hoch gebildet und der Idee der individuellen Freiheit zugetan. Sie war, schreibt Humboldt, die "lebendige Kraft", die auf ihn eingewirkt habe.

Von Rousseau beeinflusst

Als Caroline und Wilhelm sich in den späten 1780er Jahren kennenlernen, sympathisieren beide mit den Ideen der Französischen Revolution. Den Gewaltexzessen der jakobinischen Linken stehen sie freilich ablehnend gegenüber. Kein Wunder, entstammen doch beide der preußischen Aristokratie, die, wie der europäische Adel insgesamt, um Privilegien und Pfründe fürchtete.

Wilhelm wie Caroline genossen als Kinder eine fundierte Ausbildung, die Griechisch- und Französisch-Unterricht ebenso einschloss wie Zeichnen und Musizieren. Offenbar war es Caroline, geborene Dacheröden, die in Sachen Liebeswerbung die Initiative ergriff. Rasende Leidenschaft allerdings, daran lässt Hazel Rosenstrauch keinen Zweifel, war es nicht, was Caroline und Wilhelm von Humboldt aneinander band.

Die beiden haben ihre Liebe entworfen, lange bevor Gefühle ein unverzichtbarer Bestandteil der Ehe wurden. Caroline hat acht Kinder geboren, getröstet, beweint oder unter die Haube gebracht. Sie hat, wie das die modernen Frauen der Oberschicht damals rousseauistisch beeinflusst taten, ihre Kinder selbst gestillt. Von den acht Kindern sind drei im Kindesalter gestorben. Das war zu ihrer Zeit nicht ungewöhnlich, aber ungewöhnlich war die Art, in der sich Wilhelm an der Erziehung der Kinder beteiligte. Abgesehen von Ammen und Erziehern, die stets zur Verfügung standen, waren beide Eltern für die Kinder da, beide haben die Kinder unterrichtet, wenn es gerade an einem Hauslehrer fehlte. Wilhelm ließ die Kleinen in seinem Arbeitszimmer spielen und unterrichtete auch die Mädchen.

Gleichberechtigte Partnerin

Caroline war nicht nur "Gattin und Göttin" ihres Mannes, wie Rosenstrauch formuliert, sie war dem berühmten Gelehrten vor allem auch gleichberechtigte Partnerin. Werke von Aischylos und Pindar übersetzten die Humboldts gemeinsam. Zugleich führte man das, was man eineinhalb Jahrhunderte später eine "offene Beziehung" genannt hätte.

Sowohl Caroline wie Wilhelm haben ihre Liebe nicht auf den Ehepartner beschränkt. Es war eine moderne Ehe, Freiheit war beider Liebesgöttin.

In den langen Phasen der Trennung, zu denen Wilhelms Tätigkeit als preußischer Diplomat beitrug, gönnten sich die Humboldts außerhäusige Liebschaften. Wilhelm scheint eine nicht nur platonische Liaison mit der Arztfrau Johanna Motherby in Königsberg unterhalten zu haben, Caroline wiederum hielt sich den Kunstfreund Wilhelm von Burgsdorff einige Jahre lang als Hausfreund. Dennoch: Die Ehe der Humboldts hielt fast vierzig Jahre - bis zu Carolines Tod 1829.

Dissens um Juden

Eine der wenigen Fragen, in denen es zwischen den Eheleuten Dissens gab, war die sogenannte Judenfrage. Wilhelm von Humboldt - auch hier ganz liberaler Aufklärer - setzte sich für die rückhaltlose Gleichberechtigung der Juden ein, Gattin Caroline dagegen erweist sich in ihren Briefen, zumindest den späteren, als scharfe Antisemitin:

"Es ist der einzige Fehler, den ich an dir kenne. (...) Das Einzige, wozu sich die Juden ihrer Bürgerrechte bedienen, ist das Schachern und Handeln. (...) Wenn ich was zu sagen hätte, ich ließe sie drei Generationen nicht handeln und alle zwanzigjährigen Jünglinge, ohne irgendeine Ausnahme als die der körperlichen Gebrechlichkeit, wären Soldaten. Da wollte ich wetten, dass in fünfzig Jahren die Juden als Juden vertilgt wären.

Das sind natürlich Sätze, bei denen es einem heute die Schuhe auszieht. Hazel Rosenstrauch bemüht sich um historische Relativierung. Nach dem Holocaust lese man solche Tiraden eben anders als vor 200 Jahren, schreibt sie.

Judenfeindschaft ist, im Unterschied zu damals, heute peinlich, zumal bei so klugen und sympathischen Leuten. Trotzdem stellt sich die Frage: Was hat Caroline so furios gemacht?

Profundes Zeit- und Sittenbild

Kurz bevor sie sich ihrem Gemahl gegenüber derart "furios" geäußert habe, sei Caroline bitter enttäuscht aus einer Liaison mit dem um 16 Jahre jüngeren jüdischen Hypnotiseur und Mesmeristen David Ferdinand Koreff hervorgegangen, schreibt Hazel Rosenstrauch. Enttäuschte Liebe als Motiv? Warum nicht?

Außerdem, so argumentiert Rosenstrauch, erlebte Caroline, die Tochter eines aristokratischen Grundbesitzers, mit Verbitterung die zunehmende Verarmung des preußischen Landadels mit, ihrer eigenen Klasse also, während jüdische Bankiers und Kaufleute auch in Preußen die Avantgarde eines immer selbstbewusster auftrumpfenden Kapitalismus bildeten. Antisemitismus als antimodernistischer Reflex: eine Erklärung, die stichhaltig klingt, durchaus auch im Lichte späterer Erfahrungen, etwa im 20. Jahrhundert.

Hazel Rosenstrauch hat ein profundes Zeit- und Sittenbild des ausgehenden 18. und frühen 19. Jahrhunderts geschrieben, eine lesenswerte Monographie über eine verblüffend moderne Ehe.

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Buch-Tipp
Hazel Rosenstrauch, "Wahlverwandt und ebenbürtig. Caroline und Wilhelm von Humboldt", Die Andere Bibliothek, Eichborn-Verlag

Links
Hazel Rosenstrauch
Eichborn - Wahlverwandt und ebenbürtig