Warum Krieg?
Ein Briefwechsel
1932 forderte der Völkerbund Albert Einstein auf, mit einer Person seiner Wahl in einen öffentlichen Meinungsaustausch über ein frei gewähltes Thema zu treten. Der Physiker entschied sich für das Thema Krieg und den Gesprächspartner Sigmund Freud.
8. April 2017, 21:58
Sie sind sich nur einmal im Leben begegnet, in Berlin während der Neujahrsferien des Jahres 1927: Albert Einstein und Sigmund Freud, die Väter von Relativitätstheorie und Psychoanalyse.
Sigmund Freud wurde 1856, vor 150 Jahren, in mährischen Freiberg, heute Pribor geboren; Albert Einstein starb 1955, vor 50 Jahren, im amerikanischen Princeton. Zwischen diesen beiden Jubiläen, der Geburt des Psychologen und dem Tod des Physikers, liegen 100 Jahre wissenschaftlicher Erkenntnis, zu der beide Denker revolutionäre Beiträge geliefert haben.
Revolutionär der Physik
Albert Einstein erschütterte am Beginn des 20. Jahrhunderts mit seiner Speziellen und Allgemeinen Relativitätstheorie das Fundament der klassischen Physik. Er relativierte die Begriffe von Zeit und Raum, er erkannte, dass Materie und Energie nur zwei Seiten ein- und derselben Medaille sind und er legte mit einer neuen Gravitationstheorie ein heute größtenteils immer noch gültiges Modell unseres Kosmos vor.
Der Ausnahmephysiker, dessen Lebenswerk das "Internationale Weltjahr der Physik 2005" gewidmet war, erschloss mit seinen Theorien ein sichtbares Universum, das vor ungefähr 13,6 Milliarden Jahren mit dem Urknall entstanden ist und sich seither ausdehnt.
Der unsichtbare Kosmos der Seele
Sigmund Freud, der Jubilar 2006, drang mit seiner Psychoanalyse in den nicht minder ausgedehnten, aber unsichtbaren Kosmos der Seele ein, er stieß in das dunkle Reich der Träume vor und er entdeckte das "Unbewusste" als Triebfeder des menschlichen Handelns.
Wohlwollen und Respekt
Das Verhältnis zwischen den beiden großen Denkern war von gegenseitigem Wohlwollen und ironischem Respekt geprägt - von mehr wohl nicht. Albert Einstein schrieb über Sigmund Freud:
Abgesehen von Schopenhauer gibt es für mich niemanden, der so schreiben kann oder könnte.
Freud antwortete:
Wenn Einstein meinen Stil und meine Darstellungskunst lobt, zeigt das nur, ein wie wohlmeinender Mensch er ist. Er möchte mich anerkennen, für den Inhalt meiner Schriften fehlt ihm aber das Verständnis. Darum lobt er wenigstens den Stil.
Einige Monate nach dem Neujahrstreffen im Jahr 1927 wurde Albert Einstein der Vorschlag gemacht, sich auf "Freuds Couch" einer Psychoanalyse zu unterziehen. Der Physiker lehnte dankend ab:
Ich möchte gerne im Dunkel des Nicht-Analysiertseins verbleiben.
Und Sigmund Freud äußerte unmittelbar nach dem Treffen mit Einstein in Berlin 1927:
Er ist heiter, sicher und liebenswürdig, versteht von Psychologie soviel wie ich von Physik, und so haben wir uns sehr gut gesprochen.
Das Thema Krieg
Im Juli 1932 kam es zwischen dem weltberühmten Physiker und dem Vater der Psychoanalyse zu einem einmaligen Briefwechsel über das Thema Krieg. Albert Einsteins zentrale Frage in seinem kurzen Brief lautete:
Gibt es eine Möglichkeit, die psychische Entwicklung der Menschen so zu leiten, dass sie den Psychosen des Hasses und Vernichtens gegenüber widerstandsfähiger werden?
Sigmund Freuds ausführliche Antwort folgte im Dezember und fiel eher pessimistisch aus. Er sah "keine Aussicht auf Erfolg, die aggressiven Neigungen abschaffen zu wollen", fügte aber am Ende seines Briefes hinzu:
Vielleicht ist es keine utopische Hoffung, dass der Einfluss der beiden Momente, der kulturellen Einstellung und der berechtigten Angst vor den Wirkungen eines Zukunftskrieges, dem Kriegführen in absehbarer Zeit ein Ende setzen wird.
Doch es sollte der Skeptiker Freud Recht behalten. 1933, als der Briefwechsel in kleiner Auflage erschien, standen mit der Machtergreifung Hitlers in Deutschland die Zeichen wieder unverkennbar auf Krieg.
Albert Einstein emigrierte noch im selben Jahr nach Amerika, sein sporadischer Brieffreund Sigmund Freud 1938 nach England.
Hör-Tipp
Ö1 Extra, Sonntag, 1. Jänner 2006, 22:05 Uhr
Download-Tipp
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Links
Sigmund Freud Museum Wien
Freud-Institut
Wiener Psychoanalytische Vereinigung