Eine Bestandsaufnahme entlang der Ostküste

Sri Lanka ein Jahr nach der Flut

40.000 Tote, ein halbe Million Obdachlose: Der Tsunami vom 26. Dezember des Vorjahres hat Sri Lanka schwer getroffen. Ein Jahr später sind viele Überlebende noch immer am Wiederaufbau ihrer Existenz, und das wird noch Jahre so sein.

Stimmen über die Situation im Fischerdorf Komari

Wenn man an der Ostküste Sri Lankas Richtung Norden fährt, ist auch ein Jahr nach der verheerenden Flutkatastrophe das Ausmaß der Schäden noch deutlich sichtbar. Ganze Landstriche sind noch immer verwüstet. Zwischen abgestorbenen Palmen häuft sich der Schutt, Ruinen, wohin man schaut; teilweise stehen nur die Grundfesten der Häuser im Sand.

Was man jedoch ebenso sieht, sind die zahlreichen Schilder der Hilfsorganisationen wie Care, Caritas, Rotes Kreuz oder SOS Kinderdorf. Sie beschriften die zahlreichen Übergangshäuser, die teilweise auf den Grundfesten von zerstörtern Häusern errichtet worden sind. Der Wiederaufbau läuft auf Hochtouren, doch wird er auch teilweise gebremst: einerseits durch mangelhafte Koordination und wenig erfahrene Baufirmen, andererseits durch politische Streitigkeiten und Bürokratie.

Zu wenig professionelle Baufirmen

Insgesamt halten sich derzeit etwa 40 Hilfsorganisationen in Sri Lanka auf, darunter auch die in Österreich gegründete SOS-Kinderdorf-Organisation, die schon seit 20 Jahren in Sri Lanka tätig ist und sich jetzt auch am Wiederaufbau beteiligt. In der Nähe des Fischerdorfes Komari an der Ostküste sollen von Spendengeldern aus Österreich insgesamt 750 Häuser entstehen. Etwa 20 Häuser sind bereits bezugsfertig.

Der Leiter von SOS-Kinderdorf in Sri Lanka, Cedrick de Silva, ist dennoch unzufrieden. Ihm ist der Baufortschritt zu langsam. Schuld sind generell unprofessionelle Baufirmen, die weder Fristen einhalten, noch so bauen, wie es vorgeschrieben ist. Mit billigen Baumaterialien wolle man offenbar einen höhreren Profit machen, ärgert sich de Silva. Möglicherweise müssen sogar eine ganze Reihe von halbfertigen Häusern wieder abgerissen werden.

60.000 Übergangshäuser und Notlager

Wegen der Verzögerungen beim Bau von neuen Häusern leben die meisten Überlebenden bis auf Weiteres in so genannten Übergangshäusern. Das sind bessere Hütten aus Holz, etwa 20 Quadratmeter groß, mit Betonboden und einer Kochnische. Das Dach ist meist aus Palmstroh. Mehr als 60.000 derartige Übergangshäuser stehen im ganzen Land und bieten derzeit für rund 200.000 Menschen eine Unterkunft. Aber auch etliche Notlager sind zu sehen, wenn man an der Ostküste entlang Richtung Norden fährt.

In der Provinz Batticaloa, wo etwa 15.000 Häuser zerstört worden sind, ist der 25-jährige Student William Charlis in einem jener Notlager untergebracht. Er ist es gewohnt, unter ärmlichen Verhältnissen zu leben, denn gerade der Osten litt 20 Jahre unter dem Bürgerkrieg zwischen den Tamil Tigers, einer hier lebenden Rebellenorganisation, und den singhalesischen Regierungstruppen:

"Seit dem Waffenstillstand vor drei Jahren ist es wirtschaftlich wieder bergauf gegangen. Doch diese Naturkatastrophe hat uns wieder zurückgeworfen. Es ist, als ob uns zwei Tsunamis getroffen hätten: zuerst der Krieg und jetzt die Flutwelle", klagt er, und es wird deutlich, warum: Manche Menschen haben gerade ein Fahrrad, die wenigsten ein Moped, geschweige denn ein Auto. In der Lagune stehen Männer im Wasser, um zu fischen - Boot haben sie keines.

Keine Häuser direkt am Strand

In den Städten ist das Leben weniger trist. In der Provinzhauptstadt Batticaloa herrscht reges Treiben, als ob keine Flutkatastrophe stattgefunden hätte. Nur am Strand sieht man noch immer Zerstörungen: Überreste einer Kirche oder die Ruinen zertrümmerter Häuser oder Reste von Fischerbooten.

Im Fischerdorf Kayankerni, eineinhalb Autostunden nördlich von Batticaloa, hat der Tsunami 260 Häuser weggeschwemmt. Nur zwei Ziegelhäuser blieben unbeschädigt. Auch hier sind zahlreiche Übergangshäuser errichtet worden. Direkt am Strand liegen sie jedoch nicht mehr, denn die Regierung hat generell nach dem Tsunami eine 200 Meter breite Schutzzone festgelegt.

Auch neben dem Übergangslager wird gebaut. Rund 80 neue Fertigteilhäuser sollen hier entstehen: Teile aus einer Art Styropor werden dabei auf die Grundfesten gestellt, darüber kommt Spritzbeton. Ein Vorteil ist dabei, dass diese Häuser sehr schnell aufgestellt werden können sowie erdbeben- und sogar wirbelsturmsicher sein sollen, sagt Jesse Lilligren von jener amerikanischen Firma, die die Fertigteile liefert.

Das Gebiet der Tamil Tigers

Je weiter man nach Norden kommt, desto schleppender geht der Wiederaufbau voran. Warum dies so ist, erklärt der Projektleiter Di Vaca Radnadurai vom SOS-Kinderdorf: "Das Problem ist, dass es nicht genug ausgebildete Arbeiter in Sri Lanka gibt und derzeit alle auch gleichzeitig bauen". Schon die Verhandlungen über den Wiederaufbau waren hier schwierig, denn nur etwa einen Kilometer weiter nördlich von Kayankerni beginnt das Gebiet der Tamil Tigers. Wer hier bauen will, muss nicht nur die Bürokratie der Regierung überstehen, sondern braucht auch die Zustimmung der tamilischen Rebellenorganisation.

Noch weiter nördlich in der Region Trincomalee hat auch das österreichische Rote Kreuz ein Wiederaufbauprojekt gestartet. Häuser für mehr als 400 Familien sollen hier entstehen. Gemeinsam mit dem Schweizerischen Roten Kreuz will man etwa 2.000 Häuser aufbauen. "Bis alle fertig sind, wird es etwa zwei Jahre dauern", sagt Andrea Winter, die seit Februar für das Rote Kreuz in Sri Lanka ist.

Die Tsunami-Shelters

Beim UNHCR, dem UNO-Flüchtlingshilfswerk in Colombo, schätzt man, dass es insgesamt wohl noch vier bis fünf Jahre dauern wird, bis alle Betroffenen des Tsunami ein fertiges Haus über dem Kopf haben. Doch der Häuserbau wird nicht das Einzige sein, was künftig noch zu tun sein wird, denn die Menschen werden noch lange brauchen, bis sie sich von dieser Naturkatastrophe erholt haben.

Um den Leuten die Rückkehr in jene Gebiete zu erleichtern, die der Tsunami verwüstet hat, sollen daher auch Zufluchtsorte, so genannte "Tsunami-Shelters", geschaffen werden. Sie sollen drei Stockwerke hoch sein und auf Stelzen stehen. Cedrick de Silva dazu: "Viele Menschen hier sind skeptisch und wollen nicht in die neuen Häuser ziehen. Sie haben Angst. Mit diesen Tsunami-Shelters wird das sicher besser". Auch acht Sozialzentren und ein weiteres Kinderdorf sollen von der Organisation SOS-Kinderdorf an der Ostküste Sri Lankas entstehen. Die Menschen sollen so auch dann noch Hilfe erhalten, wenn der Tsunami in anderen Ländern bereits in Vergessenheit geraten ist, wird betont.

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Links
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ORF Kundendienst - Programmschwerpunkt in TV und Radio
SOS-Kinderdorf
Rotes Kreuz
Caritas
Nachbar in Not