Erstaunliche Medikamentenstudien

Mit allen Mitteln

Gesundheitsausgaben sind heiß umstritten. Verantwortlich für die Kostensteigerungen im medizinischen System sind unter anderem das zunehmende Lebensalter, aber auch neue, angeblich bessere Präparate, die um ein Vielfaches teurer sind als alte Arzneien.

Bei genauerem Hinsehen sind Wirkungssteigerungen der mit Superlativen verkauften neuen Medikamente oft minimal, die Preissteigerung hingegen maximal. Ein Grund mehr, genau hinzusehen, wie wir unsere Gesundheits-Gelder ausgeben. Sie machen in Österreich 7,6 Prozent des Bruttoinlandsproduktes aus - ein Prozent weniger als im OECD-Schnitt.

Der Gesundheitsmarkt ist ein Markt, auf dem vor allem eines verkauft wird: Hoffnung. Deshalb sind nicht alle Gesundheits-Entscheidungen vernünftig, sondern zum Teil das Resultat eines erfolgreichen Marketings.

Number needed to treat

Ein interessanter Wert in einer Medikamentenstudie ist die so genannte number needed to treat (NNT), also jene Zahl die darüber Auskunft gibt wie viele Menschen mit diesem Medikament behandelt werden müssen um einen zu heilen. So ist es laut Markus Müller, Vorstand der Abteilung für klinische Pharmakologie am AKH-Wien, keine Seltenheit, dass man laut Studie 300 Leute über einen Zeitraum von fünf Jahren mit diesem Medikament behandeln muss, um ein Leben zu retten.

Anders ausgedrückt, von diesen 300 profitieren 299 gar nicht von einem fraglichen Medikament, egal ob sie es nehmen oder nicht - sie sterben oder sterben nicht. Das heißt auch: 299 der 300 Patienten nehmen das Medikament umsonst, müssen aber allfällige Nebenwirkungen in Kauf nehmen.

Unsere Vorstellung von der Wirksamkeit von Medikamenten scheint massiv überzogen zu sein. Natürlich gibt es Medikamente die eine sehr gute Wirkung erzielen, wie zum Beispiel die medikamentöse Therapie des Magengeschwürs. Die NNT liegt bei der Behandlung von Magengeschwüren bei eins. Jeder der diese medikamentöse Therapie nimmt profitiert also davon.

Im Gegensatz dazu liegt laut Markus Müller die NNT im Bereich der Cholesterinsenkung bei 300.

Wirksamkeit von Medikamenten

Von wenigen Ausnahmen abgesehen wirken Medikamente nur bei einem Teil der Patienten. In der öffentlichen Darstellung gerät aber fast jedes neue Mittel zum Wundermittel, zur Sensation. Denn auf Grund der Medienberichterstattung bekommen die Menschen laut Claudia Wild, Medizinspezialistin am Institut für Technikfolgenabschätzung in Wien, den Eindruck: Sobald ein Medikament für eine Krankheit zugelassen ist, wirkt dieses Medikament für alle Erscheinungsformen und Krankheitsstufen dieser Erkrankung.

Außerdem wird suggeriert, dass alle Patienten auf dieses Medikament gleich gut ansprechen, dem ist aber absolut nicht so. Wenn die Ansprechraten 30, 40 oder 50 Prozent erreichen, wenn also jeder zweite oder dritte Patient darauf anspricht, dann ist das laut Claudia Wild ein Erfolg. Das wissen jedoch die meisten Menschen nicht.

Falsche Studien

Für Aufsehen hat kürzlich eine Veröffentlichung des griechischen Epidemiologen John Ioannides gesorgt. Der an der Ioannina School of Medicine lehrende Forscher hat behauptet, mehr als die Hälfte aller medizinischen Studien sei falsch. Aus den unterschiedlichsten Gründen: einmal, weil zum Beispiel zu wenige Patienten untersucht wurden oder weil die Wirkung einzelner Parameter wie von Blutwerten überschätzt wurde.

Sogar in der traditionellen Epidemiologie werden fünf von sechs Veröffentlichungen in den renommiertesten Journalen innerhalb weniger Jahre widerlegt, hat Ioannides festgestellt. Als größte Fehlerquelle bei Studien ortet er, dass viele Untersuchungen an zu wenigen Patienten gemacht würden.

Außerdem spielen in der Medizin finanzielle Interessen stark in die Anlage einer Studie hinein, ebenso wie die traditionelle Nähe zwischen Ärzten und der Pharmaindustrie. "Je heißer ein wissenschaftliches Feld ist", so Ioannidis, "umso geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dass man sich auf Studienergebnisse verlassen kann."

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