Wie sich eine Familie gegen das Nazi-Regime wehrte
Gegen den Strom
"Zwei Brüder mehr" oder "Wie vier Geschwister Widerstand leisten mussten". "Menschenbilder" aus dem Jahr 1985 mit und über Alfred, Archangela und Florentin Langthaler und Anna Hackl, geborene Langthaler, die sich der "Mühlviertler Hasenjagd" widersetzten.
8. April 2017, 21:58
Vier Geschwister der Familie Langthaler stellen sich vor
Mauthausen, 2. Februar 1945, 0:50 Uhr: Aus dem Todesblock des Konzentrationslagers brechen etwa 500 sowjetische Kriegsgefangene aus. Die SS ruft die Bevölkerung auf, die geflohenen "Schwerverbrecher" nicht entkommen zu lassen. Der Volkssturm wird mobilisiert, die "Mühlviertler Hasenjagd", bei der fast alle Flüchtlinge ermordet werden, nimmt ihren Lauf.
Die meisten Leute in der Umgebung beteiligen sich an der Hetzjagd, einige verhalten sich teilnahmslos oder schweigen aus Angst vor den Folgen. Nur einige wenige helfen den Flüchtlingen, darunter die Familie Langthaler.
Anna Hackl erinnert sich
"Unser Vater, der auch viel in Mauthausen im Steinbruch arbeitete, hat viel von den armen Menschen im Lager gesprochen, von den Frauen und Kindern, die bitterlich geweint haben. Es ist auch durchgedrungen, dass dort sehr viele in die Gaskammer kommen und sterben müssen", erinnert sich Anna Hackl, geborene Langthaler, an damals. Sie ist die jüngste Tochter jener Familie, die in der Nacht vom 1. auf den 2. Februar 1945 während der größten Massenflucht aus dem damaligen KZ Mauthausen zwei der flüchtenden KZ-Hälftlinge in ihrem Bauernhaus in Winden in der Gemeinde Schwertberg versteckt hat:
"Ich war damals knapp 14 Jahre alt. Auf dem Weg zur Kirche habe ich gesehen, wie sie mit einem Lastauto die halbtoten und toten Häftlinge eingesammelt haben. Ich hab das dann meiner Mutter erzählt und wir haben beschlossen, wenn zu uns jemand kommt, ihn zu verstecken. Am 3. Februar um ca. 6 Uhr früh hat es dann bei der rückwärtigen Haustür geklopft".
"Ich komme aus Linz"
Der Bruder Annas, Alfred Langthaler, der beim Volkssturm arbeitete, war ebenso zu Hause. Er schlief gerade, als ihn die Mutter rief: "Du, Freil, da ist einer da", erinnert sich der spätere Landwirt. "Ich komme aus Linz", habe der Flüchtling gesagt, "ich bitte um ein Essen": "Er ist sehr misstrauisch gewesen, als ihn Mutter hereinließ. Erst als er gemerkt hat, dass nur Familienmitglieder im Haus gewesen sind, darunter auch Schwester Archangela und Bruder Florentin, der gerade acht Tage Urlaub nach einem Wehrdichtungslager hatte, ist er ruhiger geworden".
Archangela Langthaler - später Ordensschwester in Oberösterreich - erzählt, dass ihr Vater der Mutter anfangs Vorwürfe gemacht hat, weil sie durch ihre Hilfe die ganze Familie gefährdet hat. Schließlich habe er dann aber doch eingewilligt, dem Flüchtling Unterschlupf zu gewähren: "Den zweiten Flüchtling, der sich am Heuboden versteckt hat, haben wir dann erst vier, fünf Tage später zu Gesicht bekommen", erinnert sie sich.
Angst vor Hausdurchsuchungen
Florentin Langthaler, später Prior in Salzburg, hatte mit den beiden Flüchtlingen die engste Beziehung, denn auch er wurde drei Monate lang bis Kriegsende versteckt, weil er nicht zur SS einrücken wollte. "In jener Zeit war die Angst vor Hausdurchsuchungen durch die SS und ihre Spürhunde sehr groß", sagt er:
"Wir wussten, dass wir alle dran waren, wenn sie uns entdeckt hätten. Ich war das Mittelglied zwischen Familie und Flüchtlingen. Ich habe zwar nicht im Matratzenlager am Dachboden geschlafen, aber im Stock darunter. Mit den beiden Russen hatte ich einen sehr guten Kontakt. Sie haben mir auch von den Greueltaten erzählt, die in Mauthausen geschehen sind, vom Todesblock, wo alle umgebracht wurden".
"Wir haben immer das Gefühl gehabt, dass uns jeder ansieht, dass wir was zu verbergen haben", beschreibt Anna Hackl die Angst vor Entdeckung. "Erst als der Tag der Befreiung am 8. Mai 1945 kam, waren wir alle erleichtert".
Warum diese Hetzjagd der Mühlviertler?
Alfred Langthaler, der ja selber bei der Jagd auf die Flüchtlinge dabei war, erzählt: "Von den Volkssturmmenschen hat keiner einen umgebracht, soviel ich weiß. Die Flüchtlinge sind von der SS als 'Schwerverbrecher' hingestellt worden. Freilich waren einige dabei, die da und dort eingebrochen haben und nicht um Hilfe gefragt haben. Nur zu verständlich in dieser Lage".
Warum aber dennoch alle, die sie erwischten, niedergemetzelt worden sind, ist auch Florentin Langthaler ein Rätsel: "Wir konnten das alle nicht begreifen. Wir haben ja auch Leute gekannt, die Flüchtlinge töteten; das waren keine ausgesprochenen Nazis. Aus welchen Gründen sie das gemacht haben, ist bis heute nicht fassbar. Es hätten ja mehrere versteckt werden können, nicht nur bei uns". Und Anna Hackl ergänzt: "Die haben einen Kurzschluss gehabt und laut Befehl gehandelt. Vielleicht haben sie sich durch den Schock, es könnte ihr Leben gefährdet sein, so verhalten".
"Sie haben vielleicht auch nicht diese religiöse Überzeugung gehabt, die in unserer Familie vorherrschte, also das christliche Motiv. Unsere Mutter hat immer gesagt, so wie sie möchte, dass ihre Buben heimkommen, will sie auch, dass Nikolai und Michail zu ihren Müttern heimkommen. Außerdem wusste halt jeder, dass, wenn jemand erfährt, dass man geholfen hat, man als Nächster im KZ landet", betont Florentin Langthaler.
Die Revanche nach Kriegsende
Auch nach Kriegsende war das Leben in Schwertberg nicht gerade leicht. Die Revanche der Russen kam auf dem Fuße: "Auch die KZler sind reihenweise von den Russen in der Nacht rausgeholt und erschlagen worden. Frauen wurden vergewaltigt. Es war eine schwere Zeit. Andere sind nach Russland verschleppt worden. Wir haben's natürlich gegenüber den Russen leichter gehabt, aber auch meine Schwester Archangela musste oft vor den Russen flüchten; Anna war ja noch ein Kind", betont Florentin Langthaler.
Erst nach und nach sei alles besser geworden, meint auch Anna Hackl, die das Elternhaus übernommen hat und noch heute die Landwirtschaft bewirtet: "Meiner Schwester und mir ist nichts passiert. Wir haben da wirklich durch die Zwei einen großen Schutz gehabt. Nikolai und Michail waren eigentlich wie Brüder zu uns. Durch die fürchterliche Todesangst sind wir zusammengewachsen. Sie haben zu unserer Familie gehört, und dadurch war auch irgendwie ein geschwisterliches Verhältnis da".
Späte Ehren
Jahre später ist eine große Feier im Lager Mauthausen gewesen, wo auch die beiden damaligen Flüchtlinge Nikolai Zimkolo und Michail Rybtschin ein Wiedersehen mit Familie Langthaler feierten. Die Familie ist auch nach Russland eingeladen worden. Dort hat man ihr bei großen Festlichkeiten hohe Ehren erwiesen.
Zu hohen Ehren kommt nun auch Anna Hackl von österreichischer Seite her. Die inzwischen 74-Jährige beweist auch heute noch - 60 Jahre danach - ihren unermüdlichen Einsatz in vielen Schulen mit ihren Vorträgen über die damalige Zeit und leistet somit einen wesentlichen Beitrag wider das Vergessen. Im November wurde sie mit dem "Florian", einem Preis für besondere Zivilcourage, vom Land Oberösterreich ausgezeichnet. Am Montag, 12. Dezember, erhält sie nun den Menschenrechtspreis des Landes Oberösterreich.