Fairness am Weltmarkt: eine Schimäre?
Die mit dem Gütesiegel
Insgesamt 15 Millionen Euro im Jahr werden allein in Österreich mit Fairtrade-Produkten umgesetzt. Allein im Vorjahr gab's eine Steigerungsrate von 33 Prozent. Ob allerdings alle Produkte unter fairen Bedingungen erzeugt und auch gekauft werden, ist fraglich.
8. April 2017, 21:58
Cealnor-Vorsitzender Welisson dos Santos zur Kooperative
Insgesamt 80 Prozent des in Europa getrunkenen Orangensaftes kommen aus Brasilien. Allerdings stammt davon nur ein kleiner Teil aus fairem Handel. Damit künftig die Produkte auch unter fairen Bedingungen erzeugt werden, sind neben zahlreichen privaten Initiativen verschiedener Nicht-Regierungsorganisationen Kooperativen wie etwa Coagrosol oder Cealnor gegründet worden, die u. a. Kinderarbeit verbieten, sich für den biologischen Anbau stark machen und auch für gerechte Löhne der Erntehelfer sorgen.
In Österreich gibt es das in den Farben blau, grün und schwarz gehaltene "Fairtrade-Gütesiegel" schon seit 1993. Die Preise sind zwar ein bisschen teurer als herkömmliche Waren, aber die Konsumenten wissen dafür, dass diese Lebensmittel unter menschenwürdigen Bedingungen hergestellt worden sind. Initiativen wie Coagrosol oder Cealnor in Brasilien zeigen bereits im sozialen Bereich einzelne Teilerfolge. Den Welthandel haben sie jedoch noch nicht revolutioniert; im Gegenteil! Sie sind höchstens ein Tropfen auf dem heißen Stein.
Wie funktioniert Fairtrade?
Der so genannte faire Handel läuft folgendermaßen ab: Die Abnehmer in Europa garantieren den Produzenten einen festen Preis für ihre Produkte, unabhängig von den Schwankungen auf dem Weltmarkt, und sie zahlen auch einen Teil davon schon im Voraus, damit die Produktionskosten abgedeckt werden können. Dazu kommt noch eine Prämie von 100 US-Dollar pro Tonne Orangen, die zweckgebunden in Gemeinschafts- und Entwicklungsprojekte fließt.
Umgekehrt müssen die beteiligten Kooperativen und Kleinproduzenten bestimmte Auflagen erfüllen: Keine Kinderarbeit, keine Verwendung unerlaubter Chemikalien, und sie müssen selbst gerechte Löhne zum Beispiel an Erntehelfer bezahlen. Die beteiligten Partner erhalten dafür ein Zertifikat für fairen Handel, das auch regelmäßig überprüft wird.
Kooperative Coagrosol
350 Real, umgerechnet etwa 100 Euro, verdient etwa ein Plantagenarbeiter in der Region rund um Itapolis - der so genannten "Welthauptstadt der Orange" im wohlhabenderen Süden von Brasilien, 400 Kilometer westlich von Sao Paolo. Doch Arbeit gibt es meist nur sechs Monate im Jahr.
Die Kooperative Coagrosol - ein Zusammenschluss von 48 Orangenbauern, gegründet im Jahr 2000 - dient daher vor allem dazu, mit den kleineren Produzenten die wirtschaftliche Basis in der Region zu erhalten und der problematischen Abwanderung in die Slums der brasilianischen Großstädte entgegenzuwirken. Die Fairtrade-Prämien werden vor allem für Bildungsmaßnahmen und Sozialeinrichtungen verwendet. Besonders stolz ist der in der Kooperative Coagrosol für solche Sozialprojekte zuständige Gewerkschafter Paulo Celho Mourini z. B. auf Computerkurse, in denen Erwachsenen wie Kindern die Gelegenheit geboten wird, sich kostenlos weiterzubilden.
War in den ersten Jahren die Zusammenarbeit mit internationalen Fairtrade-Partnern noch nicht ganz problemlos, weil der versprochene Absatz in Europa langsamer als geplant vor sich ging und die Bauern erst recht einen Teil der Orangen-Ernte zu schlechten Bedingungen an regionale Agrarkonzerne verkaufen mussten, nützt inzwischen Coagrosol die Vorteile der Partnerschaft, wie ihr Geschäftsführer Reginaldo Vicentim betont: "Den Genossenschafts-Mitgliedern wurde im Laufe der Zeit bewusst, dass sie auch selbst Anstrengungen für die Vermarktung unternehmen und ihre Produktion diversifizieren müssen - zum Beispiel in Richtung biologischem Anbau".
Kooperative Cealnor
In der mittel-brasilianischen Provinzstadt Rio Real im Bundesstaat Bahia - eine der Orangen-Hochburgen des Landes - wurde die landwirtschaftliche Kooperative Cealnor gegründet. Sie besteht aus 23 ländlichen Organisationen. Auch in dieser Kooperative sieht Ihr Vorsitzender Welisson dos Santos viele Vorteile für sein Land, die vor der Gründung noch nicht existent waren: "Im Gegensatz zu früher wissen wir, dass wir unsere Produkte sicher verkaufen und auch einen ordentlichen Preis und finanzielle Unterstützung für unsere Sozialarbeit bekommen. Damit werden zum Beispiel landwirtschaftliche Experten finanziert. Den Kleinbauern wird auch geholfen, Boden für eigene Landwirtschaft zu erwerben. Im Gegenzug müssen die Bauern allerdings garantieren, dass sie keine Kinderarbeit in Anspruch nehmen, bei der Produktion die Umwelt schonen und selbst gerechte Löhne auszahlen".
Obwohl der Bundesstaat Bahia durch vermehrte Regenfälle begünstigt ist, weil dort viele Arten von tropischen Früchten wachsen, ist der Lebensstandard in dieser Region jedoch sichtbar noch unter dem auch nicht gerade berauschenden brasilianischen Durchschnitt. Die Bauern leben noch in ärmlichen Hütten. Die Straßen sind übersät von Schlaglöchern, die weitläufigen Feldwege versinken bei Regen im Morast. Die kleinen Produzenten haben hier auch mit der agro-industriellen Konkurrenz im eigenen Land zu kämpfen, da das meiste Land den Agrarkonzernen gehört. Ein paar hundert Kleinbauern aus der Region haben jedoch vor einigen Jahren die Möglichkeit aufgegriffen, mit den europäischen Fairtrade-Organisationen zusammenzuarbeiten und ihr Orangensaft-Konzentrat zu den für sie vorteilhaften Bedingungen zu exportieren.
Strenge Auflagen
Sylvia Calfat, die für die FLO - die Fairtrade Labelling Organization arbeitet - jene internationalen Dachorganisation, die die teilnehmenden Produzenten regelmäßig auf die Einhaltung der Grundsätze des fairen Handels überprüft, betont: "Um die Fairtrade-Prämien zu bekommen, sind umfangreiche Kriterien zu erfüllen - etwa wie demokratisch die betreffende Bauern-Organisation ist, ob die Mitglieder mitentscheiden können oder ob es eine ordentliche Buchhaltung gibt. Wir kontrollieren natürlich auch, ob verbotene Pestizide verwendet werden oder ob Kinder arbeiten und verlangen ordentliche Arbeitsverträge und gerechte Löhne, erst dann wird das Fairtrade-Gütesiegel zuerkannt".
Diese Mindeststandards müssen eingehalten werden. Erst dann gibt's die Fairtrade-Prämien. Gerade aber die kleinen sozialen Erfolge wie etwa eine Abendschule, in der Kleinbauern zwischen 16 und 60 Lesen und Schreiben lernen oder ein Kindergarten samt Kinderkrippe, der es Frauen ermöglicht, auch Geld zu verdienen, ohne die Kinder tagsüber ohne Aufsicht zu lassen, stimmen optimistisch für die Zukunft.
Dass diese Teilerfolge jedoch Zeit brauchen, um im Großen zu wirken, liegt auf der Hand. Der Ökonom Paulo Mesquita von der Organisation Sebrae, die brasilianische Kleinbetriebe fördert, bringt es auf den Punkt: "Wer in einem Dritte-Welt-Laden oder Supermarkt in Österreich zu einem fair gehandelten Orangensaft greift, der hat sicher noch nicht die Weltwirtschaft revolutioniert oder alle Probleme Brasiliens gelöst".
Download-Tipp
Ö1 Club-Mitglieder können die Sendung nach Ende der Live-Ausstrahlung im Download-Bereich herunterladen.
Links
Fairtrade Austria
EZA international
EZA Austria