Zur Person: Hannah Arendt

Spurensuche in New York

Anlässlich des 30. Todestags von Hannah Arendt, die am 4. Dezember 1975 in New York starb, erinnern sich Weggefährtinnen an die Wissenschaftlerin. Sie teilten ihre Kinoleidenschaft und vermissen die Gespräche, die Warmherzigkeit, den Witz.

Lotte Köhler über Hannah Arendts Gesundheit

So haben alle, die Hannah Arendt gut kannten, sie in Erinnerung: Ein strahlendes Lächeln; weit ausgebreitete Arme, die einladen, sich umarmen zu lassen. Dieses Schwarz-Weiß-Foto einer schon betagten Hannah Arendt hängt in der Wohnung ihrer Biografin Elisabeth Young-Bruehl.

Ein anderes Geschenk von Hannah Arendt an ihre Schülerin, findet nur zu besonderen Gelegenheiten Verwendung: eine zierliche, goldene Damenarmbanduhr. Young-Bruehl erzählt, dass sie die Uhr nur bei besonderen Gelegenheiten trage, und "immer, wenn ich einen Vortrag über sie halte."

Noch heute kommen der Biografin die Tränen, wenn sie lange von Hannah Arendt erzählt. Ihr fehlt, was auch alle anderen vermissen: die Gespräche, die Warmherzigkeit, der Witz.

Gedankenwege

Die 86-jährige Lotte Köhler war 20 Jahre lang eng mit Hannah Arendt befreundet. Sie lernten einander über den emigrierten deutschen Literaturwissenschaftler Benno von Wiese kennen.

Einem Gespräch mit Hannah Arendt hing man auf dem Nachhauseweg immer im Gedanken nach, erinnert sich die in Rostock geborene Lotto Köhler. Die ehemalige Germanistik-Professorin an der City University of New York hat auch lange Zeit Hannah Arendts Nachlass verwaltet. Das obliegt nun Jerome Kohn, dem letzten Assistenten Hannah Arendts an der New School of Social Research in New York.

Man könne sie mit niemand anderem vergleichen, sagt auch Jerome Kohn: "Man hat nie gewusst, was sie als nächstes sagen würde. In Gesprächen ging es nicht darum, zu einem Schluss zu kommen, sondern darum, von einem ins andere zu gehen."

Zweite Heimat New York

Hannah Arendt und Heinrich Blücher kamen 1941 nach New York. Anfangs lebte das Ehepaar Blücher gemeinsam mit Hannah Arendts Mutter Martha in möblierten Zimmern; für den Lebensunterhalt sorgten jüdische bzw. protestantische Organisationen.

Auch nach der Veröffentlichung von "Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft" waren die Blüchers nicht gerade reich. "Sonst", erinnert sich Lotte Köhler, "wäre man wohl kaum in einen eher bescheidenen Ort wie Palenville, in den Catskills, eine hügelige Waldregion nördlich von New York, auf Sommerfrische gefahren."

Leidenschaft Kino

Hannah Arendt und Lotte Köhler gingen leidenschaftlich gern ins Kino. Lotte Köhler erinnert sich etwa an die Filme "Elvira Madigan" und "Letztes Jahr in Marienbad". Gespräche waren Hannah Arendt und ihrem "tribe", dem Stamm, wie sie ihre Emigranten-Freunde nannte, immer wichtig. Doch dabei, erzählt Lotte Köhler, sei es nicht ausschließlich um Hochintellektuelles oder Politik gegangen.

Später zogen die Blüchers an den Riverside Drive, eine seriöse Wohngegend mit gepflegten Althäusern aus dem frühen 20. Jahrhundert auf der Upper West Side von Manhattan. Von Hannah Arendts Arbeitszimmer aus fiel der Blick auf den Riverside Park, dahinter den Hudson, dann das Ufer des Nachbarstaates New Jersey und, ein Stück nördlich, die George Washington Bridge. Heute zieht vor den Fenstern mit Flussblick auch die Stadtautobahn des Westside Highway vorbei.

Auf Hannah Arendts Schreibtisch waren drei Gegenstände konstant: zwei Fotos - ein Porträt von ihrer Mutter und eines von Martin Heidegger sowie eine kleine Büste von Sokrates.

Brillanz und scharfe Zunge

In Hannah Arendts Seminar aufgenommen zu werden, war für Studenten etwas Besonderes. Sie traf jeden einzelnen Bewerber vorher zu einem Einzelgespräch. Das war durchaus mit Angst verbunden. Denn Hannah Arendt war nicht nur für ihre Brillanz, sondern auch für ihre scharfe Zunge bekannt. Dummheit, erzählt Jerome Kohn, sei ihr unerträglich gewesen, und ihr Urteil über Menschen fiel oft harsch aus. Er erinnert sich an einen Studenten, der einen Aufsatz über Heidegger geschrieben hatte. Hannah Arendt gefiel dieser Aufsatz.

"Dann ging dieser junge Mann auf ein Jahr zum Sprachstudium nach Deutschland", so Kohn. "Von dort schrieb er einen weiteren Aufsatz und schickte ihn Hannah Arendt. Und sie sagt zu mir: Etwas muss mit diesem jungen Mann passiert sein. Dieser Aufsatz ist grauenhaft. Nach seiner Rückkehr suchte er dann Hannah Arendt auf. Nun hatte er in dem Jahr sehr zugenommen. Und sie sagte nachher: 'Also das ist mir schon öfters aufgefallen, - wenn sie dick werden, verlieren sie den Verstand.' Genau das waren ihre Worte. Was sagt man darauf?"

Imponierende Gestalt

Für die Studenten war Hannah Arendt eine imponierende Gestalt. Bei ihren Vorträgen sei sie wie eine Primadonna dagestanden, sagte die amerikanische Literatin und enge Arendt-Freundin, Mary McCarthy. Das machte es freilich umso schwieriger, bei Veranstaltungen unauffällig zu bleiben, erinnert sich Elisabeth Young-Bruehl. Anfang der 1970er Jahre etwa diskutierten die Studenten der New School, ob sie aus Protest gegen den Vietnamkrieg streiken sollten.

"Es war eine sehr hitzige Debatte, zu der ich Hannah Arendt begleitet habe", erzählt Young-Bruehl. "Wir sind hinten im Saal gestanden. Und sie war gefesselt von dem, was sich abspielte: Leute brüllten einander an; brutale Wortgefechte. Sie war fasziniert. Sie wollte sich jedoch keinesfalls daran beteiligen. Ein paar Mal wurde sie erkannte und man sagte zu ihr: 'Doktor Arendt, sagen Sie doch, was Sie sich denken.“ Worauf sie sagte: Das ist nicht meine Versammlung.'"

Hannah Arendt arbeitete bis zuletzt. Ihr letztes Werk, "Das Leben des Geistes" blieb unvollendet. Ihr Tod im Dezember 1975 kam nur für Nichteingeweihte plötzlich.

Service

Hannah Arendt, "Der Liebesbegriff bei Augustin. Versuch einer philosophischen Interpretation",
Philo Verlag, ISBN 3825703436

Hannah Arendt, "Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft", Piper, ISBN 3492210325

Hannah Arendt, "Vita activa oder Vom tätigen Leben", Piper, ISBN 3492236235

Hannah Arendt, "Eichmann in Jerusalem. Ein Bericht von der Banalität des Bösen", Piper, ISBN 3492203086

Hannah Arendt, "Macht und Gewalt", Piper, ISBN 349220001X

Wikipedia - Hannah Arendt
TU Dresden - Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung
Uni Oldenburg - Hannah-Arendt-Zentrum
newschool.edu - Hannah Arendt Center
Hannah Arendt Preis für politisches Denken e.V.
Hannah Arendt.Net