Humor als künstlerisches Gebilde
Notizen zu Woody Allens Komik
Woody Allen begann als Witzeschreiber. Bald entdeckte er den Film als sein Medium. Allens Texte, Bücher und Filme zeigen die Welt zumeist aus der Sicht des Verlierers. Vom jüdischen Humor inspiriert, gibt er sich den Ängsten und Neurosen des Großstadtmenschen hin.
8. April 2017, 21:58
Zitat von Woody Allen, gelesen von Peter Matic
Das Leben ist traurig, und es ist auch lustig, und die Menschen haben sich Formen erfunden, ästhetische, künstlerische "Gebilde, "Gehäuse, um einander genau diese Trauer oder diese Belustigung zu bewahren und mitzuteilen. Klassisch heißen die genannten Formen "Tragödie und "Komödie.
Zwischen "Tragödie und "Komödie gibt es ebenso offene wie auch klammheimliche Verabredungen, unterschwellige Beziehungen, seltsame Ähnlichkeiten und auch banale Differenzen. Ein Komiker ist jemand, der versuchen wird, das Traurige und das Lustige mit einem Witz zu sagen.
Am Anfang eines berühmten Films von Woody Allen geschieht genau das. Der Film heißt in der deutschen Fassung "Der Stadtneurotiker, in der amerikanischen "Annie Hall, und da sitzt Alvy Singer, "gespielt von Woody Allen, und zwar, wie es im Drehbuch heißt, "vor einem neutralen Hintergrund und spricht direkt in die Kamera.
Er hat am Anfang nichts zu sagen, nur einen, und dann einen zweiten Witz zu erzählen: "Es gibt da einen alten Witz. Äh: Zwei ältere Damen sitzen in einem Berghotel - sagt die eine: 'Gott, das Essen hier ist wirklich schrecklich! - sagt die andere: 'Stimmt, und diese kleinen Portionen! - Na ja, und im Wesentlichen sehe ich so auch das Leben. Voll Einsamkeit und Elend und Leid und Kummer. Und dann ist es auch noch schnell vorbei. Ein ... mein anderer Lieblingswitz ist der, den man - äh - Groucho Marx zuschreibt, der aber meines Wissens zuerst in Freuds "Der Witz und seine Beziehung zum Unbewussten auftaucht. Und der geht so - ich kann jetzt natürlich nicht wörtlich zitieren, äh: 'Ich möchte nie einem Club angehören, der Leute wie mich als Mitglieder aufnimmt. Das ist der Schlüsselwitz, seit ich erwachsen bin, was meine Einstellung zu Frauen angeht.
Ein Komiker ist jemand, der versucht, das Traurige und das Lustige des Lebens mit einem Witz zu sagen - genau von der Art ist der Witz über die Klage, das Essen sei grauslich, und dann seien auch noch die Portionen so klein. Und das Leben sei elend und obendrein noch schnell vorüber.
Die Selbstbehauptung der komischen Figuren Allens rührt aus einem Mangel an Selbstbewusstsein her - der Mangel wird überspielt, "überkompensiert, vor allem was Frauen betrifft. Der kleine Mann ist sexualisiert, denkt ständig an Sex, aber wie kann er, der sich nicht begehrenswert vorkommt, eine Frau, die ihn begehrt, noch schätzen, also noch begehren? Niemals einem Club, der einen aufnimmt, beitreten! Woody Allen war (und ist) der Komiker einer sexualisierten Epoche, was ja auch heißt, dass er, oder besser: seine komische Figur, den Ansprüchen des Begehrens und des Begehrtwerdens nicht wirklich gewachsen war. Seltsam: Wer sich auf dem Gebiet der Macht oder auf dem der Sexualität zu viel oder zu wenig zutraut, dient als Quelle des Komischen.
Hör-Tipp
Die Sendung "Contra" steht am Sonntag, 27. November, 22:05 Uhr, ganz im Zeichen von Woody Allen, der dieser Tage seinen 70. Geburtstag feiert. Unter dem Titel "Die Ewigkeit dauert lange, besonders gegen Ende" wird u. a. auch das Weltumspannende des jüdischen Humors behandelt.
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Woody Allen