Was in die Kälte kam

So weit unter Kafka

Früher waren die Bücher zu einem erzschmucken Porträt jugendlicher Interessenslagen in der Gemeindewohnung vereint. Heute erleichtert ihnen ein lustig hereinfallender Winter die Wahl zwischen Verfaulen und Erfrieren: im Gartenhaus.

Meine Bücher sind jetzt im Gartenhaus. Das Wasser in meinen Wasserbehältern ist jetzt gefroren. Geht man vors Haus, kann man sehen, dass man unregelmäßigen Atem hat. Nachts träumt man von Rehen, die ans Haus kommen und immer nur von hinten zu sehen sind. Im Haus kann man nicht alle Räume heizen. Die Bücher frieren in Kartons. Die Taschenbücher wölben ihre Deckel. Den Gebundenen und mir ist das gleichgültig. Wir mögen keine Taschenbücher.

Wenn ich von draußen Holz hole, muss ich an den Kartons vorbei und die kränkelnden Taschenbücher anschauen. Die Vorstellung, dass die feuchte Kälte sie umbringt, macht mich rollig. Mein kastrierter Kater sieht mich spitz an. Man kann nicht alles haben. Man begnügt sich mit Besitz von Kartons. Ich stolpere immer über denselben Karton. Obenauf liegt Franz Kafka. Im zweiten Karton ist es Jonathan Safran Foer. Von Foer habe ich "Everything is illuminated" gelesen und nichts verstanden, weil es auf Englisch war..

Die deutsche Übersetzung von heißt "Alles ist erleuchtet". Dieses Buch ist die schlechteste Übersetzung, die ich je in Händen gehalten habe. Es ziemt sich nicht, so persönlich zu urteilen. Aber es ist wahr. Ein Internet-Übersetzungsprogramm hätte das Buch nicht schlechter, sicherlich aber origineller übersetzt. "Deutsche Übersetzung: Google". Niemand würde es brauchen, alle würden es kaufen. Von Internet-Übersetzungsprogrammen übersetzte Bücher zeigen die wahre Fratze des Buchmarkts!

In Karton Nummer drei liegt Raymond Carver oben. Carver habe ich immer griffbereit. Immer griffbereit habe ich im Gartenhaus das Maschinengewehr und Raymond Carver. Manchmal mache ich auf dem Weg zum Holz bei Karton Nummer drei Halt und lese ein paar Anfänge. Der Anfang ist ein Hund. Der liebe Gott hasste den Anfang. Auch ich hasse Hunde. Raymond Carver ist der Gott des literarischen Anfangs. Für mich. Ich hasse Hunde eigentlich gar nicht, ich mag sie nur in der Stadt nicht so gern, wenn sie immer nur kacken …

Wer ist es für Sie?

Der vierte Karton liegt unter dem ersten, weswegen über den ersten auch immer, mehrmals täglich, gestolpert wird. Möglicherweise findet sich einmal jemand, der sich der beiden annimmt. Möglicherweise bekommt der vierte unter dem ersten keine Luft und ist längst erstickt. So weit unter Kafka, rein nach Maßstäben der Tiefenpsychologie betrachtet, täte sich sogar die substanzloseste Übersetzung mit dem Atmen schwer. Möchte sich nicht vielleicht jemand darum kümmern? Ich möchte so gerne wissen, was in "Everything is illuminated" steht.

Es gibt einen weiteren Karton. Darauf steht: "schon schlecht". Darin befanden sich gewisse Bücher. Solche, die man nicht kaufen muss, sondern als Geschenk bekommt. Der "schon schlecht"-Karton wachte stets über meiner Gewissheit, dass man nicht nur letztlich allein ist. Wer solche Bücher kriegt, dessen Karma ist mit der deutschen Übersetzung von Jonathan Safran Foers Buch "Everything is illuminated", "Alles ist erleuchtet", mit viel Fug und jeder Menge Recht zu vergleichen.