Die Pachuco-Kings Don Tosti und Lalo Guerrero
Swing chicas Patas - Swing little Feet
Pachucos wie etwa Don Tosti und Lalo Guerrero waren die Helden der nordamerikanischen Latino-Subkultur in den 1940er Jahren: Prä-Rock-'n'-Roll-Rebellen in weitgeschnittenen Zoot-Suits mit pomadisierten Haaren und Spanglish-Geheimsprache.
8. April 2017, 21:58
Ausschnitt aus dem "Bundesbahn-Blues auf Spanisch"
Kennen Sie den Bassisten und Bandleader Don Tosti oder den Sänger Lalo Guerrero und seine Band "Los 5 Lobos"? Ist Ihnen etwa der "Muy Sabroso Blues" geläufig? Nein?
Dann haben Sie etwas versäumt, denn dieser Blues ist so etwas wie ein Pendant zu unserem Bundesbahn-Blues, nur auf Spanisch, interpretiert von den beiden letzten, erst kürzlich verstorbenen Vertretern der so genannten Pachuco-Musikkultur - ein Stil, der nach dem Zweiten Weltkrieg den ganzen Südwesten der USA überflutete.
Lost in Translation
Pachucos waren die Helden der nordamerikanischen Latino-Subkultur in den 1940er Jahren: Prä-Rock-'n'-Roll-Rebellen in weitgeschnittenen Zoot-Suits, mit pomadisierten Haaren und Spanglish-Geheimsprache.
Pachuco-Musik mischt Jazz, Boogie, Mambo und Rhythm 'n' Blues. Sie war aber keineswegs nur eine lupenreine Latino-Subkultur, sondern auch der Versuch der Immigranten aus Mexiko in den Südwesten der USA, mit der Musik des großen Bruders im Norden klar zu kommen. Es ging um das Gefühl, zwischen zwei Kulturen verloren gegangen zu sein - "Lost in Translation" - und in der kreativen Aneignung des Fremden, einen neuen, einen dritten Weg zu gehen.
Der "Pachuco Boogie"
Dieser Song - eingespielt von Don Tosti, der das Genre 1948 in großem Stil loskickte - war eine erste symbolische Manifestation des erwachenden Selbstbewusstseins der Immigranten-Communities in Kalifornien und den benachbarten Bundesstaaten. Er soll angeblich mehr als eine Million Mal verkauft worden sein. In den gesprochenen Teilen des Stückes wird stolz der so genannte "Calo-Slang" ausgestellt - eine Art Geheimcode der Spanisch sprechenden Hipster, der von den Gangs im Segundo Barrio von El Paso erfunden wurde und sich schnell zur Sprache der Eingeweihten, der Initiierten in der ganzen Region, entwickelte.
Calo ist ein Parallel-Phänomen zum Jive Talk der Afroamerikaner und galt seinerzeit als Eintrittskarte in die Imperien des coolen Wissens. Wer Calo beherrschte, der war dabei. Die anderen mussten draußen bleiben und zusehen, wenn die bösen Buben spielten.
Frühe Punks und Los Tarzanes
Man kann den Pachucos nicht vorwerfen, dass sie sich wie verantwortungsvolle Staatsbürger aufgeführt hätten. Man muss sie sich eher als frühe Punks vorstellen, die mit weitgeschnittenen, eleganten Zoot-Suits Modebewusstsein demonstrierten und mit ruppigen Gebahren die Straßen verunsicherten. Es ging um einen rebellischen Lifestyle, komponiert aus Mode, Musik und Sprache.
Dieser Stil beschränkte sich übrigens nicht nur auf den Süden der USA, sondern wurde auch in Mexiko selbst ausgelebt. Dort allerdings trugen die Pachucos lange Haare im Stile von Johnny Weissmüller und wurden Los Tarzanes genannt. Lange, bevor der Rock 'n Roll das Bild der aufmüpfigen Jugendlichen, die nicht wissen, was sie tun, weltweit kodifizierte, führten die jungen Latin Americans eine besonders stilbewusste Variante des "juvenile delinquent" vor.
Joints, Wein, Weib und Gesang
Joints hatten die Pachucos übrigens auch, wovon der "Marijuana-Boogie" von Lalo Guerrero farbenprächtig erzählt. Aber im Gegensatz zu den Hippies aus den Wohlstandszonen führten die Calo sprechenden Latino-Rebellen auch eine Art Klassenkampf. Die Mode war hier nicht Selbstzweck, sondern Mittel der Selbstermächtigung und Selbstbehauptung - gewissermaßen das "i am somebody" der afro-amerikanischen Bürgerrechtsbewegung, übersetzt in die Sprach- und Dresscodes der Pachucos.
Vordergründig geht es in den Pachuco-Songs vor allem um Wein, Weib und Gesang. Don Tosti hat beispielsweise einen erfolgreichen "Wine-O-Boogie" aufgenommen. Aber hinter dem hysterischen Partyfieber versteckt sich ein ziemlich sinistrer sozialhistorischer Hintergrund. Die Immigranten aus Mexiko, die sich in großer Zahl vor allem in East L. A. niederließen, kamen meist aus dem ländlichen Raum und mussten sich erst einmal an die urbanen Strukturen der an den Rändern ausfransenden Megalopolis gewöhnen. Dazu kam fast einhellige Ablehnung von seiten der alteingesessenen Amerikaner.
Die Bohnenfresser
Die Hearst-Presse mobilisierte gegen die so genannten "Bohnenfresser" und sah die Souveränität der Nation durch Unterwanderung bedroht. Es kam zur direkten Konfrontation der jungen Latinos mit der schweigenden Mehrheit - durchaus vergleichbar mit den afro-amerikanischen Unruhen in Watts im Jahr 1965, wenn auch weniger blutig.
Ein Stück wie das Instrumental "Frijole Boogie", gezupft von Jorge Cordoba, hat somit symbolischen Mehrwert, denn Frijoles - Bohnen - sind das Grundnahrungsmittel der Mexikaner und auch der Immigranten.
Als Pachuco in Vergessenheit geriet
Während damals an der Ostküste traditionell eher die genuin lateinamerikanischen Stile regierten, fand im Südwesten die große Vermischung statt. Ensembles wie Conjunto Alamo, Los Hermanos Yanez und Conjunto San Antonio spielten alles, was irgendwie tanzbar war - aber mit deutlicher Schlagseite zu amerikanischem Jazz, Boogie und Western Swing.
Mit dem Aufkommen des Rock 'n Roll war die Sache dann ziemlich gegessen. Neue elektrische Stile wie der Chicano Sound eroberten die Jugendszenen und eine davon wurde sogar weltberühmt: Santana. Von den Pachuco-Pionieren konnten nur einige wenige ihre Karrieren in Gang halten und auch nur dann, wenn sie als Sessionmusiker oder Soundtrackspieler in Hollywood Multitasking betrieben. Als Don Tosti - der King of Pachuco Boogie - starb, wurde die Musik endgültig zum Material für Archäologen und Reissue-Labels, die noch die entlegensten Subgenres für die Nachwelt konservieren wollen.
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Wikipedia - Pachuco