Jeden Mittwoch
Zitate-Ping-Pong
Jeden Mittwoch, 18:00 Uhr, Punkt, treffen sich Klaus Kastberger, der Literaturdozent, und ich, der Ö1 Redakteur, Endstelle D, Nussdorf. Eine Ausnahme bilden lediglich jene Mittwoche, an denen Rapid in der Champions League wieder einmal knapp verliert.
8. April 2017, 21:58
Wir trotzen Hitze und Kälte, Regen und Sonne. Wir gehen, weil gegangen werden muss, und wir gehen, weil man beim Gehen, laut Thomas Bernhard, besser denken kann. Mag das Selbstgespräch seinen Reiz haben, noch reizvoller ist der gedankliche Austausch mit einem Zweiten.
Die Arme hinter dem Rücken verschränkt, oder in Manteltaschen vergraben, den Blick auf den Boden gerichtet, geben wir das Bild zweier etwas schrulliger Privatgelehrter ab, zumal auf diesem Weg, der in der Regel von Friedhofsbesuchern, Hundehaltern, Wanderern und Heurigengehern frequentiert wird.
Kastberger, der arbeitsame Literaturdozent, hat sich unlängst über "Letzte Sätze", der Produktionsweise des Endes literarischer Texte, habilitiert, und so entbehrt es nicht der Ironie, dass wir bei unserem Spaziergang auf dem Beethovengang in letzter Zeit dazu übergegangen sind, uns mit berühmten ersten Romansätzen gegenseitig auf die Probe zu stellen. Sätze wie: "Heute ist Mama gestorben", Camus, "Der Fremde", oder: "Ich bin nicht Stiller", Frisch, "Stiller".
Einer spielt aus, und der andere versucht adäquat zu kontern. Spielt Kastberger, der vife Literaturdozent, mit der "Wiener Gruppe" aus, dann sollte ich mit ersten Sätzen von Artmann, Rühm, Achleitner, Bayer oder Wiener zurück spielen. Doch auch das verwandte Feld wie Jandl, Mayröcker, Okopenko bis hin zu den "Töchtern, Söhnen" und "Enkeln" der Wiener Gruppe fallen darunter, also: Jelinek, Priessnitz, Schmatz, Röggla. Fiele einem von uns jedoch auf einen Schmatz-Winner nur noch der Romananfang von Stifters "Witiko" ein, hätte dieser "verloren". Es kommt gewiss nicht oft vor, dass man mit Schmatz Stifter schlagen kann, doch so und nicht anders sind nun mal unsere Regeln.
Die Erfahrung zeigt, dass es mit unserem Zitate-Ping-Pong in Höhe des Heurigen S. ein Ende hat. Ob die nun anschließende Weinjause daran schuld trägt, weiß ich nicht, getreu dem Motto, der Durstigere gibt nach. Dieser Heurige ist der Fixpunkt unserer Etappe.
Wir kehren unbehindert von den Öffnungszeiten ein, weil wir wissen, wo Stammgäste läuten müssen, um Einlass zu erhalten. Der so genannte Verlierer übernimmt die Zeche. Die besteht aus je zwei Vierteln Riesling, einem Schmalzbrot für den hungrigen Kastberger und einem Liptauerbrot für mich. Die Heurigenfee Rosi stellt uns die ersten beiden Gläser stets mit den Worten, "Für die zwei G'scheiterln" auf den Tisch.
Letzte Woche ging die Zeche an mich, wie auch die Wochen zuvor. Kastberger, der gefinkelte Literaturdozent, hatte mich mit der vorhin erwähnten Wiener Gruppe in die Enge getrieben, ich konterte so gut ich konnte mit Werner Kofler. Der ist zwar weder Sohn, noch Enkel, auch kein Urenkel, Vetter, Vater oder gar Opa der Gruppe, allein, er ist ein Karl Kraus unserer Tage. Wie jener, der damals auch keiner Jung-Wien-Gruppe angehörte, ist Kofler eine Ein-Mann-Armee im faulen Staate Österreich, und Kastberger, der listige Literaturdozent, legte auch keinen Protest gegen mein Konterspiel ein. Ich wusste, dass Kastberger Kofler schätzt, und so konnte ich mich entlang des Schreiberbachs ganz gut mit dem grimmigen Werner Kofler verteidigen. Doch just als der Heurige S. in unseren Blick geriet, befiel mich diese unerklärliche Konzentrationsschwäche.
Das war auch in den Vorwochen mein Problem, und diese Konzentrationsschwäche angesichts des Heurigen S. ließ wieder einmal Kastberger, den gnadenlosen Literaturdozenten, als Sieger aus unserem Zitate-Ping-Pong hervorgehen. Der Heurige S. gerät in unser Blickfeld, augenblicklich befällt mich eine Konzentrationsschwäche und - so mein Verdacht - Kastberger, der schlaue Literaturdozent, hat dies längst bemerkt und hebt sich ein Trumpfass bis zum Schluss auf, um mir den finalen Stoß zu versetzen. Irgendetwas Unverständliches sagte er, worauf ich ihn nur entgeistert anblickte, dort der Heurige S., da das Unverständliche, Gruber, sagte er noch, Marianne Gruber. Ich gab auf.
Für nächsten Mittwoch bin ich besser vorbereitet. Ich bin diesmal dran auszuspielen und ich werde die Existenzialisten vorgeben: Beckett, Camus, Kafka, Onetti, mein Feld.
Als ich unlängst bei mir zu Hause aufräumte, kamen mir ein paar eigene Gedichte der frühen Jahre unter. Meine Tochter, 13 Jahre alt, amüsierte sich köstlich über die in der Brecht-Nachfolge verfassten Zeilen, die sie allesamt für Schrott erklärte. Nur ein Zweizeiler entzückte sie derart, dass ich mir seitdem Gedanken über die Desillusioniertheit Pubertierender mache. Er lautet so: "Die Sonne geht auf, die Scheiße fängt an." Diesen Satz werde ich mir bis zum Schluss aufheben, wenn der Heurige S. schon ins Blickfeld gerät, und Kastberger, der hinterlistige Literaturdozent, sich wieder einmal als vermeintlicher Sieger wähnt, dann werde ich ihn auspacken, diesen Satz, und wenn er, der verblüffte Dozent, mich dann ratlos anblickt, werde ich triumphierend sagen: Weichinger, Robert, Urenkel von Sam. Und wenn seine Augen dann noch immer fragen, werde ich lässig ergänzen: Beckett, die Zeche geht auf dich!