Ein Überblick
NS-Kunstraub in Österreich
All die bekannten Fälle von Kunstraub aus jüdischem Besitz sind, wie dieses Buch beweist, nur die Spitze eines Eisberges. Der Band befasst sich auch mit dem Umgang dieser Enteignungen nach 1945. Und der wirft kein gutes Bild auf Österreich.
8. April 2017, 21:58
Das Buch von Gabriele Anderl und Alexandra Caruso ist ein Sittenbild, das bei der Lektüre dieses Sammelbandes entsteht; ein Bild von Habgier und Skrupellosigkeit, die auch noch nach 1945 den Umgang mit den beraubten Opfern prägten.
Im Kunsthistorischen Museum in Wien hängt beispielsweise immer noch eine Tafel, auf der einigen Donatoren für "Förderung und Vermehrung seiner Bestände" gedankt wird. Unter den Namen fänden sich einige, die nach 1945 genötigt worden seien, das Museum zu beschenken, um andere Kunstwerke ausführen zu können, schreibt der Journalist und Verleger Hubertus Czernin in seiner Einleitung. Czernin hat ja als einer der ersten mit seiner "Bibliothek des Raubes" das Thema Kunstraub in Österreich aufgegriffen.
"Gutgläubiger Erwerb" schädigt die Opfer
Mehrere Beiträge dieses Buches befassen sich mit der komplizierten Rückstellungsgesetzgebung und -praxis, vor allem mit dem höchst problematischen 3. Rückstellungsgesetz, das den Begriff des "gutgläubigen Erwerbs" einführte, wogegen die Geschädigten in den seltensten Fällen den Gegenbeweis antreten konnten. Insgesamt hatten es die Opfer nach 1945 extrem schwierig, das ihnen Geraubte zurückzubekommen.
Spät, erst 1998, nach dem Skandal um die in den USA beschlagnahmten Klimt-Bilder aus der Sammlung Leopold, hat man in Österreich damit begonnen, sich mit dem Kunstraub während der NS-Zeit und dem Vorgehen danach systematisch zu befassen. In diesem Jahr erst wurde das Kunstrückgabegesetz beschlossen.
Jede Menge Profiteure
In Österreich setzte unmittelbar nach dem so genannten Anschluss 1938 die Systematik der Beraubung ein. Privatleute drangen in die Wohnungen ihrer Nachbarn ein, lokale Museen bemühten sich sofort, Zugriff auf begehrte Kunstobjekte und jüdische Sammlungen zu bekommen. Involviert waren Bundes- und Ländermuseen, Kunsthandel und Kunsthändler und das Wiener Dorotheum. Insgesamt gab es eine ganze Reihe von Profiteuren.
Die "Erwerbungen" von Raubkunst durch staatliche und lokale Museen sowie deren Haltung zu Rückstellung und Restitution nach 1945 wird in diversen Beiträgen im Buch detailliert und höchst informativ geschildert.
Claudia Sporer-Heis zum Beispiel befasst sich mit der Restitution jüdischen Eigentums am Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum, wo seit 1998 Provenienzforschung betrieben wird. Martin Kofler schreibt über die hochinteressante Geschichte der Albin-Egger-Lienz-Sammlung im Museum der Stadt Lienz Schloss Bruck. Sein Fazit: Ohne die spezifischen Umstände der NS-Zeit wäre der Aufbau der Egger-Lienz-Sammlung in Osttirol undenkbar gewesen.
Dubiose Ankäufe
Monika Mayer stellt in ihrer Auseinandersetzung mit der Österreichischen Galerie zwischen 1938 und 1945 den damaligen Direktor Bruno Grimschitz in den Mittelpunkt, den Hubertus Czernin einmal als den "Hauptakteur bei der Arisierung der Wiener Kunstsammlungen" charakterisiert hat. Während seiner Zeit kamen - nebst vielen anderen Kunstwerken - übrigens auch die Klimt-Gemälde "Adele Bloch-Bauer I", "Adele Bloch-Bauer II" sowie "Apfelbaum I" in die Österreichische Galerie.
Weitere Kapitel widmen sich dem komplizierten Thema des Kunsthandels und der höchst zweifelhaften Rolle des Dorotheums (siehe auch der "Fall Whiteman"); beleuchtet werden auch die Aktivitäten einzelner Kunsthändler während der NS-Zeit wie etwa jene des Salzburger Galeristen Friedrich Welz, die Gert Kerschbaumer aufgearbeitet hat.
Spannend zu lesen
Insgesamt liegt hier ein Buch vor, das sich trotz der komplizierten Materie überaus spannend liest und immer wieder zu ungläubigem Staunen führt. Auch wenn viele Teilbereiche - wie etwa die Rolle der Gestapo beim Kunstraub - weiterhin unerforscht sind, so ist dieses wichtige Buch doch eine erste umfassende Darstellung. Bleibt nur zu hoffen, dass sich für weitergehende Forschungen zu diesem Thema auch Geldgeber finden mögen.
Mehr zum "Fall Whiteman" in oe1.ORF.at
Buch-Tipp
Gabriele Anderl, Alexandra Caruso, "NS-Kunstraub in Österreich und seine Folgen", Studien Verlag, ISBN 3706519569