Nizons erste Jahre in Paris

Das Fell der Forelle

Knapp zwei Dutzend Bücher hat Paul Nizon seit seinem Debüt im Jahr 1959 veröffentlicht, darunter Meilensteine wie "Canto" oder "Das Jahr der Liebe". In seinem neuen Roman erzählt Nizon nun, literarisch verfremdet, von seinen ersten Pariser Jahren.

Mitte der 1970er Jahre brach Paul Nizon alle Zelte hinter sich ab: Der Schriftsteller steckte damals, in seinem 47. Jahr, in einer tiefen Lebens- und Ehekrise, als er beschloss, seinen Wohnort Zürich für immer zu verlassen und nach Paris zu gehen. Die ersten Jahre in der französischen Hauptstadt waren hart. Nizon verschanzte sich in einer kleinen, von einer Tante geerbten Wohnung, schaute fern, trieb sich in Nachtlokalen und Hurenbars herum, versank in einer tiefen Depression. Erst durch die Arbeit des Schreibens gewann er langsam wieder Boden unter den Füßen. Seit knapp 30 Jahren lebt der Schweizer Schriftsteller nun schon in seiner Zufluchtsstadt Paris; hier hat er nach bitteren Anfangsjahren so etwas wie eine Heimat gefunden.

In seinem Roman "Das Fell der Forelle" erzählt Nizon nun, literarisch verfremdet, von den ersten Pariser Jahren. Er habe die schlimmstmögliche Wendung durchspielen wollen, die sein Leben damals hätte nehmen können, erzählt der Autor, und die schlimmstmögliche Wendung wäre gewesen, wenn er zu jener Zeit, wie erahnt oder befürchtet, den Verstand verloren hätte.

Geheimnisvolle Lithografie

Frank Stolp heißt der Ich-Erzähler in Nizons neuem Roman. Der eigenartig traumverlorene Protagonist entstammt einer berühmten Zirkusfamilie, behauptet er, seine Vorfahren hätten seinerzeit als Trapezkünstler und Luftakrobaten Furore gemacht. Zu Beginn des Romans findet sich Stolp in einer kleinen Wohnung im 18. Pariser Arrondissement wieder, er hat sie, wie einst Nizon, von einer Tante geerbt. Während er auf ziellosen Spaziergängen durch Paris irrt, verliert er sich immer mehr in Hirngespinsten und wirren Träumereien.

Paul Nizon begleitet seinen Helden auf ausgedehnten Pariser Spaziergängen. Als Flaneur am Rande des Nervenzusammenbruchs beobachtet Frank Stolp das Treiben auf den Straßen und Boulevards, er besucht einen Zirkus, gerät auf dem Boulevard Saint-Michel in eine Großdemonstration und entdeckt in einem Schaufenster eine seltsame Lithografie:

Nebenan war ein Kürschnergeschäft. In der Auslage, ganz nah am Schaufensterglas, auf einer Staffelei ein kolorierter Stich mit einer pelzgekleideten koketten Dame, ich entzifferte den Titel: "Das Fell der Forelle". Das Fell der Forelle? Sollte das ein Witz sein? War Forelle der Spitzname einer einst populären Diva oder Halbweltdame? Entkleidungskünstlerin, Allerweltsverführerin, die nackt im Pelzmantel aufzutreten pflegte?

Seltsame Liebe

Das Rätsel der Forelle wird bis zum Schluss nicht gelöst. Auf knapp 120 Seiten erzählt der Autor die Geschichte eines Ich-Verlusts, aber auch eine Liebesgeschichte. In einer Bar lernt Nizons Held eine Frau namens Carmen kennen. Er geht mit ihr aus, dann geht er mit ihr ins Bett.

Als wäre es ausgemacht, gingen wir zu ihr. Und da liebten wir uns. Und als ich abzog, dachte ich, es ist nicht nur das Hungerstillen: Wer lange aus dem geschlechtlichen Stromkreislauf ausgeschlossen bleibt, fällt aus der Welt. Das ungestillte Begehren führt zur Dämonisierung des weiblichen Geschlechts. Umgekehrt ist der Blick des Mannes, der vom Weibe kommt, der menschenfreundlichste Blick. Amen. Ich dachte es auf dem Rückweg.

Wie Paul Nizon scheint auch Stolp unter, sagen wir's vorsichtig, Bindungsängsten zu leiden. "Nur keine Ménage à deux, denkt er, nur das nicht." Frei nach Karl Kraus: Mit ihr schlafen - gern, aber keine Intimitäten. Eine verpasste Chance.

Buch-Tipp
Paul Nizon, "Das Fell der Forelle", Suhrkamp-Verlag, ISBN 3518417118