Von den Niederlagen des Alltags

Nur keine Versagensängste!

Auf die Schnauze fallen kann man in Berlin genauso oft wie überall anders. Und trotzdem ist es schwer, sich dort als Versager zu fühlen, denn dort werden Versager nicht einfach nur verständnisvoll aufgenommen, sondern mit Hochachtung begrüßt.

Von den glücklichen Arbeitslosen über den "Club der polnischen Versager" bis hin zur Show des Scheiterns: Angesichts der Fülle an gescheiterten Existenzen, die in Berlin Gesicht bekennen, könnte man meinen, dass Scheitern hier zum guten Ton gehört.

Irgendwie ist es ja auch kein Wunder: In keiner anderen deutschen Stadt leben so viele brotlose Künstler und Kulturschaffende wie hier. Diese geballte Ladung an verkannten Genies hat der Stadt auch eine einzigartige Energie gegeben. Anstatt am Weltschmerz zu verzweifeln, schlägt man hier lieber kreativ zurück, um so sein Talent unter Beweis zu stellen.

Büro für Kulturmaßnahmen

Auf diesem Weg ist auch die Ideenwerkstatt von Boris Jöns und Torsten Schwarz entstanden, mitten in Kreuzberg, wo Kultur bestenfalls mit Mulitkulti - oder schlimmstenfalls mit Ghetto - assoziiert wird. Nachdem klar war, dass aus der Karriere als Theaterintendant bzw. Dokumentarfilmregisseur nichts werden würde, mussten ernsthafte Maßnahmen ergriffen werden. Und so wurde eben ein Büro für Kulturmaßnahmen geboren.

Eines der erfolgreichsten Projekte des Büros ist die "Show des Scheiterns". 2002 ins Leben gerufen, geht die Vortragsreihe in diesem Jahr bereits zum vierten Mal auf Tournee. 20 Minuten lang berichten drei bis vier Pechvögel über kleine und große Niederlagen, im Alltag, im Beruf, in der Liebe oder im Reich der Träume und Utopien.

Lustvolles Versagen

Ein Moderator und zwei Experten aus Wissenschaft, Kunst und Kultur kommentieren die individuellen Fehlschläge und versetzen, begleitet von einer Band, den geplatzten Ideen dann den endgültigen Todesstoß. "Es geht nicht darum, Leute zur Schau zu stellen, sondern zu erreichen, dass das Erzählen drüber Spaß macht", erklärt Boris Jöns. "Lustvoll ist es dann, wenn die Referenten merken, dass andere ihnen gerne zuhören und das Publikum merkt, dass sie selbst alle mal gescheitert sind. Da entsteht so ein kathartischer Moment."

Auch wenn hier ein humorvoller Umgang mit dem Scheitern gepflegt wird - von esoterischen Psychohygieneseminaren, die einem Niederlagen als Chance oder gar Geschenk verkaufen wollen, ist die Show weit entfernt. Wenn es ein Motto gibt, dann das: Scheitern ist Scheiße, aber genieren muss man sich dafür trotzdem nicht. Denn nur wer etwas versucht, kann auch auf die Nase fallen.

Club der polnischen Versager

Ein paar U-Bahn-Stationen weiter steht der Absturz an der Tagesordnung. In Berlin Mitte kippt man den Kummer einfach weg. Wie hier im "Club der polnischen Versager", einem der vielen kleinen Underground-Clubs, abseits der schicken Flaniermeile rund um den Hackeschen Markt. Scheitern wird hier nicht nur als Normalität, sondern als zentraler Lebensinhalt gefeiert.

Der Club ist Galerie, Konzertraum und Forum für Lesungen, Filmvorführungen und Performances von polnischen und Künstlern von anderswo. 50 Leute passen in den kleinen Raum. Doch an manchen Abenden findet sich nicht mehr als ein Besucher. Ein Grund zum Feiern, denn wenn hier etwas verachtet wird, dann sind es Geltungssucht und Drang nach Ruhm und Erfolg. "Der Verein wendet sich insbesondere an die Geringgeschätzten, Übersehenen oder gar Verachteten", heißt es dementsprechend im Manifest der polnischen Versager. "Unseresgleichen gibt es nicht viele in der Stadt", heißt es weiter. "Ein paar nur. Der Rest, das sind Menschen des Erfolgs. Kaltblütige Spezialisten. Was immer sie auch tun, das tun sie bestens. Wir die Schwachen, weniger Begabten, können kaum etwas erwirken. Aber wir lassen den Terror der Vollkommenheit der anderen über uns ergehen."

Einem Tollpatsch muss geholfen werden

In Polen, sagt Mascha, eine der Betreiberinnen des Clubs, ist der Typus des Versagers alles andere als verachtenswert. Das polnische Wort für Versager - nieudacznik - meint nicht etwa eine trostlose Existenz oder eine bemitleidenswerte Erscheinung, sondern vielmehr einen sympathischen Tollpatsch, dem man helfen oder zumindest wohlwollend zusprechen sollte, wenn ihm wieder mal etwas nicht gelingt.

Anstatt den Balkantypus des Versagers einfach nur als Klischee weiterleben zu lassen, wurde er gleich zur zentralen Leitfigur des Clubs gemacht. Das verpflichtet Künstler, die hier auftreten zwar nicht zwangsläufig zum Scheitern, aber zumindest zu Bescheidenheit.

Verpönt ist es auch, Geld für seine Werke oder Aktivitäten zu verlangen. Niemand wird hier allein dafür bezahlt, dass er sich Mühe gegeben hat. Wer Kunst wie Ware behandelt oder hier nur auftritt, um vom Kultstatus des Clubs zu profitieren, dem droht der Rausschmiss. So weit ist es bisher nicht gekommen, aber ein paar waren haarscharf dran.

Ein Platz für Randfiguren

Vier Jahre lang hat sich der "Club der polnischen Versager" so als sympathische Anlaufstelle für Nischenprogramme und Randfiguren behauptet. Aber ist das streng genommen eigentlich vereinbar mit dem Kern des Konzepts? Müsste der Club nicht eigentlich scheitern, um sich selbst treu zu bleiben? Naja, sagt Mascha, wir sind zwar kompromisslos, aber so kompromisslos nun auch wieder nicht. Und schließlich haben wir mit der Gründung des Vereins unserem Ruf als Versager bereits alle Ehre gemacht.

"Die wahre Geschichte ist", erzählt Mascha, "wir wollten den Club ja eigentlich 'Club der Wahrsager' nennen, aber wir haben das Formular falsch ausgefüllt. Da sind wir bei dem Namen geblieben."

Hör-Tipp
Gedanken, Freitag, 26. Dezember 2008, 13:10 Uhr

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Club der polnischen Versager
Show des Scheiterns