Korea auf dem Weg zur Filmweltmacht

Seitensprung nach Fernost

Das Gastland der diesjährigen Buchmesse in Frankfurt, Südkorea, erregt seit einigen Jahren durch einen Filmboom Aufsehen, bei dem sich Wirtschaftlichkeit, künstlerisches Niveau und Unterhaltungswert die Waage halten.

Es gibt zwei Dinge, die man als Cineast während der Viennale nicht tun soll. Erstens: einen kleinen Seitensprung machen und sich einen Film aus dem regulären Kinoprogramm ansehen - womöglich in einem Multiplex. Zweitens: den großen Seitensprung denken und sich nach einer anderen Stadt sehnen - womöglich nach einer Stadt wie Frankfurt, die eigentlich für die Sehnsüchte der Literaturliebhaber zuständig ist. Nicht genug, dass Frankfurt mit seiner Buchmesse im Oktober alles anlockt, was irgendwie mit Büchern zu tun hat, anlässlich des diesjährigen Buchmesse-Schwerpunktthemas gibt es im Frankfurter Filmmuseum auch noch eine Filmschau aus einem Land, das gerade dabei ist, Film-Weltmacht zu werden.

Sex, Crime & Quality

Schon seit einigen Jahren sorgt Korea, genau genommen Südkorea, auf internationalen Filmfestivals für Aufsehen - mit Filmen, die spannender sind als handelsübliches Hollywood-Unterhaltungskino, phantasievoller als die schrägsten Hongkongfilme, mutiger als große Teile des europäischen Autorenkinos. Da werden Morde inszeniert, bei denen nicht der gegebene Anlass, sondern das atemberaubende ästhetische Feingefühl der Rahmeninszenierung für Gänsehaut sorgt ("Nowhere to Hide", 1999). Da tauchen Liebespaare auf, die hauptsächlich Sex und im Übrigen nicht viel anderes im Sinn haben - und das Ganze hat mit Pornografie so wenig zu tun wie "9 1/2 Wochen" mit Filmkunst ("Green Chair", 2004). Da schickt man psychische Wracks ins Rennen, die kaputter, hässlicher und brutaler sind als ein Mafiakiller und dabei so viel Mitgefühl erregen, dass die für das rührendste Melodram übliche Tränenration kaum ausreicht ("Old Boy", 2004).

Korea erlebt derzeit einen Filmboom, angesichts dessen man im Westen vor Neid erblassen könnte. Während den Kinos hier das Publikum wegläuft, müssen dort Vormittagsvorstellungen den Andrang abfedern, der im Abendbetrieb nicht mehr aufzufangen ist. Hat Hollywood den europäischen Markt fest im Griff, spielen in Korea erfolgreiche heimische Produktionen amerikanische Blockbuster regelmäßig an die Wand. Und das in einem Land, dessen Filmbestände bis 1945 vollständig vernichtet wurden und in dem Fremdbestimmung und Zensur die Entfaltung einer eigenständigen Filmszene bis in die 90er Jahre des 20. Jahrhunderts verhindert haben.

Offenheit und Protektionismus
Die möglichen Gründe für die beispiellose Prosperität des jungen koreanischen Films sind zu vielfältig, um zu einem Erfolgsrezept zusammengefasst zu werden. Aber es gibt zumindest zwei Umstände, die vor allem der europäischen Filmbranche zu denken geben sollten: Erstens - auf künstlerische Ebene - das weitgehende Fehlen von Berührungsängsten, das ein unbekümmertes Verwischen der obsoleten Grenzen zwischen Unterhaltung und Kunst zur Folge hat. Man bedient sich trivialer und populärer heimischer Traditionen und durchsetzt sie mit dem Formenrepertoire des westlichen Autorenkinos. Man spielt auf der Klaviatur des Melodrams oder des Martial-Art-Kinos und kreiert dabei faszinierende avantgardistische Figuren. Das Ergebnis sind Filme, die im Inland Kassenschlager sind und international von Filmkritik und Cineasten bejubelt werden.

Zweitens - auf politischer Ebene - eine Form von Protektionismus, der im neoliberalistisch vernebelten Klima des Westens (Frankreich vielleicht ausgenommen) zwar vorgestrig anmuten mag, dem koreanischen Film aber äußerst zukunftsträchtige Aussichten beschert. Hatte das konsumkapitalistisch getrimmte Publikum Südkoreas auf die Einführung eines Quotensystems, welches heimischen Produktionen 145 Spieltage im Jahr zusichert, zunächst noch zögernd reagiert, spielen koreanische Filme bei weit geringeren Budgets mittlerweile mehr ein als die zahlenmäßig um ein vielfaches überlegenen Amerika-Importe.

Bis es hierzulande so weit ist, kann man sich den Seitensprung in ein Multiplex-Kino während der Viennale ruhig sparen - und sich als Cineast, der (auch) gern unterhalten sein will, auf eine Handvoll koreanischer Filme im Festivalprogramm freuen.

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