Ria Rosas Bühnenshows aus dem frühen 20. Jahrhundert

Eine Oma des Feminismus

In New York hatte die 1899 in Neapel geborene Sängerin Ria Rosa ihr eigenes Theater, ihre Bühnenshows präsentierte sie aber auch in ihrer Heimatstadt. Ihre satirischen Lieder richteten sich gegen die benachteiligte Stellung der Frau in der Gesellschaft.

Ausschnitt aus "Non Mi Seccare"

Ihre Bühnenshows präsentierte sie sowohl in Neapel wie in New York, wo sie ihr eigenes Theater hatte. Die Rede ist von Ria Rosa - eine Anfang des 20. Jahrhunderts gefeierte Interpretin satirischer neapolitanischer Lieder, die sich vor allem gegen die benachteiligte Stellung der Frau in der Gesellschaft richteten.

Preferisco il novecento

Geboren als Maria Rosaria Liberti im Neapel des Jahres 1899, beginnt Ria Rosa bereits mit 16 Jahren öffentlich aufzutreten. Mit einer rotzfrechen, zuweilen ins Ordinäre oder Vulgäre abgleitenden Stimme begrüßt sie etwa euphorisch das 20. Jahrhundert:

"Mein Verlobter ist nicht modern“, singt sie, "der hängt am 19. Jahrhundert, aber mir gefällt das 20ste. Ich will rauchen, zum Strand gehen, Schwimmen, Tennis spielen, zum Pferderennen, und außerdem will ich rauchen. Und nachher will ich rauchen. Und dann will ich wieder rauchen“.

Dieses Lied mit dem Titel "Preferisco il novecento" wurde das musikalische Motto feministischer Forderungen in Italien. Dabei war Ria Rosa sozuagen eine Feministin ante litteram, also bevor es das Wort überhaupt gab, eine Proto-Feministin. In ihrer Heimatstadt sprach und sang Ria Rosa im breiten neapolitanischen Dialekt das Volk direkt an. Und sie pries mit fast futuristischem Pathos die neuen technischen Errungenschaften wie den Aeroplan und das Radio.

Neapel und Feminismus

Das seien alte Bekannte, sagen Neapel-Ethnologen, denn es habe seit Jahrhunderten hier diesen parthenopeischen Familientypus gegeben, wo die Frauen im Inneren der Familie, im Haus ein Matriarchat betrieben hätten. Mutig, anmaßend, aggressiv - so sei die typische neapolitanische Frau. Was mit aller Vorsicht vor Vorurteilen und Verallgemeinerungen zu genießen ist.

Ria Rosas Feminismus war sicherlich einer, der vor allem auf Alltäglichkeiten und nicht auf Gesetzesänderungen abzielte. Es ging ihr nicht gleich um die großen Rechte, sondern um die kleinen Freiheiten: sich zu kleiden, wie sie will, hinzugehen, wo sie will, und zu tun, was sie will: Frauen könnten auch wild sein und keine Schaufensterpüppchen; sie könnten rauchen, Künstler werden, Ball spielen und mit dem Flugzeug fliegen. Frauen könnten tun, was sie wollen, denn die Männer brauchten die Frauen ohnehin so, wie sie Luft und Wasser benötigen.

Das Fest von Piedigrotta

Das Attribut "Oma des Feminismus" bekam Ria Rosa freilich erst in älteren Jahren, denn damals war sie noch blutjung und weit vom Großmutter-Dasein entfernt. Jedes Jahr nahm sie am Fest von Piedigrotta teil - ein klassisches neapolitanisches Fest im Herbst rund um die Kirche Santa Maria di Piedigrotta, in dessen Rahmen sozusagen der Songcontest Neapels stattfand. Und Ria Rosa war Jahr für Jahr eine gefeierte Künstlerin bei diesem Wettbewerb.

La Sceneggiata

Als Ria Rosa 19 Jahre alt war, ging gerade der Erste Weltkrieg zu Ende. Der italienische Staat brauchte Geld und verfiel auf die nicht sehr originelle aber naheliegendste Idee: Steuererhöhungen. Davon waren u. a. Musikveranstaltungen betroffen. Das Theater dagegen blieb steuerbegünstigt. Daher erfand man die "Sceneggiata" - die dramatische Bearbeitung des Schlagers, was bedeutete, dass, bevor man Lieder auf der Bühne zum Besten gab, einige Szenen rund um die Lieder geschrieben wurden. Damit galt das Ganze als Theater, und man sparte Steuern.

Es gab zwei Ausprägungen der "Sceneggiata". Bei der neapolitanischen ging es immer um Liebe und Betrug; meist war es die Frau, die untreu wurde. In "Little Italy" dagegen, wo die "Sceneggiata" von Emigranten für Emigranten gegeben wurde, spielte die ferne Heimat eine Rolle, die soziale Lage, Arbeit und Ausbeutung. Ria Rosa sollte in beiden Schulen der "Sceneggiata" reüssieren.

Von Neapel nach New York

Auch wenn Ria Rosa in den "Sceneggiata"-Inszenierungen auftrat, behielt sie in ihren Texten den frauenrechtlichen Anspruch. Damit war es erst vorbei, als die Faschisten 1922 an die Macht kamen, die von speziellen Frauenrechten nicht viel wissen wollten.

Ria Rosa wusste aber, dass sie auch in den USA eine große Anhängerschaft hatte - all die Emigranten aus Süditalien und Sizilien, die sich in New York, in "Little Italy", angesiedelt hatten. Daher verabschiedete sie sich von Neapel und gründete in "Little Italy" eine eigene Theatergruppe für ihre "Sceneggiata".

A Seggio Elettrica

Bald aber drohte der italienischen Sängerin durch einen Aufsehen erregenden Prozess gegen zwei italienische Einwanderer fast wieder die Ausweisung aus den USA. Die Gewerkschafter und Anarchisten Bartolomeo Vanzetti und Nicola Sacco wurden wegen Raubmordes zum Tod durch den elektrischen Stuhl verurteilt, obwohl die beiden Alibis für die fragliche Zeit hatten. Entlastungszeugen wurden nicht vernommen, Beweismittel zurückgehalten und ein parteiisches Geschworenengericht auf den Fall angesetzt. Doch alle Proteste halfen nichts. 1927 - sieben Jahre nach ihrer Verhaftung - wurden Sacco und Vanzetti hingerichtet.

1924 - drei Jahre vor der Urteilsvollstreckung - ergriff auch Ria Rosa mit einer "Sceneggiata" Partei für die beiden Landsleute. "A Seggia Elettrica" hieß die Inszenierung - "Der elektrische Stuhl". Die Polizei stufte das Stück als subversiv ein. Die drohende Ausweisung war dann auch wohl mit ein Grund für einen unverbindlicheren Titel: "Die unglückliche Mutter", "Mamma Sfurtunata".

Bis 1937 pendelte die italienische Sängerin zwischen Neapel und New York. Dann blieb sie in den USA, wo sie hochbetagt 1988 starb.

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