Wahrzeichen Erzberg

Eisen auf immerdar

Schon in vorrömischer Zeit wurde am steirischen Erzberg Eisenerz abgebaut. Im Spätmittelalter und in der frühen Neuzeit wurden die "Radmeister", die Besitzer der Schmelzöfen, wohlhabend, und auch heute noch wird Erz gewonnen.

Eisenerz, das war immer auch gleichbedeutend mit dem Erzberg. Ohne dieses größte Eisenerzvorkommen Mitteleuropas wäre die Entwicklung des Ortes vermutlich ganz anders verlaufen. Und so ist die riesige Stufenpyramide des Erzbergs, die das Stadtbild beherrscht wie ein von Giganten errichtetes prähistorisches Kolossalbauwerk, ein Wahrzeichen von Eisenerz.

Stadt mit Problemen

Das Industriezeitalter geht zumindest in den materiell hoch entwickelten Staaten zu Ende. Für Eisenerz bringt das große Probleme, die Bevölkerungszahl ist stark rückläufig. Dabei war den Eisenerzern einst ein gutes Auskommen für alle Zeit versprochen worden: "Eisen auf immerdar".

Der Sage nach haben die wackeren Eisenerzer nämlich einen Wassermann gefangen. Für seine Freilassung bot er ihnen "Gold für 10 Jahr, Silber für 100 Jahr, oder Eisen auf immerdar". Die klugen Eisenerzer haben bekanntlich das Eisen gewählt und sie haben jahrhundertelang von ihm gelebt. Sagenhaft reich wurden sie dabei freilich nicht. Und 1986 wurde der Untertagebau sogar ganz eingestellt.

Bergbau seit Jahrtausenden

Im Tagbau werden jährlich noch immer etwa 2,1 Millionen Tonnen Erz gefördert, das sind zwei Drittel der Menge, die in den 1960er Jahren abgebaut wurde. Die Zahl der Beschäftigten jedoch hat sich dramatisch verringert. Fanden in den 1960er Jahren noch über 4.000 Bergleute am Erzberg Arbeit, so sind es heute nur etwa 200, also gerade einmal ein Zwanzigstel.

Die relativ hohe Fördermenge mit nur wenigen Beschäftigten ist vor allem auf den technischen Fortschritt zurückzuführen. Die neuesten Lastwagen etwa, die das Gestein hinunter zu den Zerkleinerungs- und Aufbereitungsanlagen transportieren, können mit einer einzigen Fuhre 130 Tonnen befördern.

Schon in keltischer und römischer Zeit wurde am Erzberg das Erz abgebaut. Im Jahr 712 soll mit dem Bergbau dann neuerlich begonnen worden sein. 1294 erhielt der Ort seinen heutigen Namen und wurde "im Eysenärtz" genannt, nachdem er zunächst "Innerberg" geheißen hatte.

Schloss Leopoldstein

Nur einen Kilometer außerhalb von Eisenerz, in der prachtvollen Gegend am Leopoldsteiner See, dessen smaragdgrünes Wasser von hohen Felswänden eingefasst ist, steht ein architektonisches Schmuckstück: das ehemalige Jagdschloss Leopoldstein. Es würde sich hervorragend als exklusives 5-Stern-Romantikhotel eignen, aber zu Eisenerz passt es wohl besser, dass junge, sportbegeisterte Lehrlinge darin untergebracht sind.

Internatsdirektor Harald Schnedl vergleicht das ihm anvertraute Gebäude gerne mit Neuschwanstein und betont, dass die denkmalgeschützte Innenausstattung aus dem 19. Jahrhundert von den Jugendlichen respektiert wird. In den herrschaftlichen, mit Zirbenholz vertäfelten Speisesälen der Wittelsbacher, die das Schloss Ende des 19. Jahrhunderts im Stil der damaligen Zeit renovieren ließen, speisen heute die Jugendlichen. Die meisten sind wegen der nordischen Schiausbildung da. Und bei manchen, die im Schloss Leopoldstein gewohnt haben, hat diese Ausbildung sogar zu internationalen Erfolgen geführt.

Der Schichtturm, ein Wahrzeichen von Eisenerz
Am 24. Februar 1581 beschlossen die Eisenerzer Radmeister, so hießen die Besitzer der Schmelzöfen, auf einer Anhöhe über dem westlichen Ufer des Erzbaches ein Wachthaus zu bauen und mit einer Glocke zu versehen, die die Knappen zur Arbeit, also zur Schicht rufen sollte. Statt eines Wachthauses wurde jedoch ein stattlicher Turm im Renaissance-Stil gebaut.

Die Feuerwache, bisher im Turm der Oswaldikirche untergebracht, wurde in den Schichtturm verlegt, von dem aus man die ganze Stadt überblicken kann. Heute ist der Schichtturm ein Wahrzeichen von Eisenerz, auch wenn er seine früheren Aufgaben verloren hat.

Heute, über 400 Jahre nach seiner Fertigstellung, steht der Schichtturm unter der Obhut von Hans Gross. Er ist ein weit gereister Mann, der mehrere Jahre als Entwicklungshelfer in Peru verbracht hat und Südamerika bis hinunter nach Patagonien und Feuerland kennt. Seit einigen Jahren ist er in Pension und wohnt im Schichtturm. Auf einer über 400 Jahre alten Holzstiege steigen wir mit ihm zur Glocke hinauf, die mit ihrem Geläut die Eisenerzer Bergleute zur Arbeit rief. Nicht nur die mit Edelmetall angereicherte Glocke, auch der hölzerne Glockenstuhl ist über 400 Jahre alt. Das mächtige Holzgerüst wurde mit einer Mischung aus Stierblut und Ochsengalle wirkungsvoll gegen den Holzwurm imprägniert.

Abends geht es im Schichtturm oft hoch her. Hans Gross hat aus dem historischen Bau auf der Anhöhe einen beliebten Treffpunkt gemacht. Im Erdgeschoß des uralten Turmes, zwischen grob verputzten Wänden und unter einer rohen Holzdecke, sitzt man an einem riesigen, quadratischen Tisch beisammen und musiziert. Hans Gross ist mit seiner Teufelsgeige dabei, auf die er zuoberst einen Sombrero mit mächtiger Krempe montiert hat, den er vor Jahren aus Mexiko mitgebracht hat.

Einwohnerschwund

Noch in den 1960er Jahren hatte Eisenerz 14.000 Einwohner, heute ist ihre Zahl auf knapp 6.000 gesunken. Tendenz: weiter fallend. Viele Wohnungen und Geschäfte stehen leer, und auch so mancher Gasthof wartet auf einen neuen Wirt. Im "Gasthaus zur Gemütlichkeit" ist schon lange Sperrstunde, der "Gasthof zum Radmeister" wurde von der "Pizzeria Venezia" übernommen. Aber auch die hat mittlerweile aufgegeben. Im Haus "Zum Heiligen Geist", an dessen Fassade in Stuckmedaillons die vier damals bekannten Kontinente dargestellt sind, hat sich ein Kebab-Laden einquartiert und fristet eine bescheidene Existenz.

Bürgermeister Gerhard Freiinger ist keiner, der vor den Problemen seiner Stadt die Augen verschließt. Daher hat er ein Projekt gestartet, dessen Ziel der Rückbau der Infrastruktur, aber auch der Abriss überflüssig gewordener Wohnanlagen ist. Betroffen davon sind vor allem Ortsteile an der Peripherie. Doch auch weite Teile des historischen Stadtzentrums stehen leer. Sie sollen eventuell in ein Hotel umgewandelt werden.

Zwar ist Eisenerz heute die "älteste" Stadt Österreichs - die mit dem höchsten Durchschnittsalter, doch gerade die ältere Generation sucht nicht nur den Massentrubel. Und so sieht der Bürgermeister die Krise als Chance: Eisenerz könnte eine Art Vorreiter der alternden Gesellschaft sein, mit deren Problemen es fast alle hoch zivilisierten Staaten zu tun bekommen.

Es gibt wahrlich schlechtere Plätze für den Lebensabend. Rundum herrliche Natur und in der Stadt Geschichte in Form von Architektur, wohin man schaut: Sgraffito-Fassaden, Renaissance-Arkaden, gotische Torbögen, und auf der anderen Seite Wohnbauten aus allen Epochen der Industrie. Diese eigentümliche Mischung macht den besonderen Reiz von Eisenerz aus. Hinzu kommt der vom Menschen geformte Berg, dessen monumentale Pyramide die Stadt überragt.