Der Präsidentschaftswahlkampf 1986

Wiesenthal und die Innenpolitik

Als 1986 im österreichischen Präsidentschaftswahlkampf Fotos von Kurt Waldheim in Wehrmachtsuniform auftauchen, telefoniert Eugen Freund mit Simon Wiesenthal. Der "Nazi-Jäger" verteidigt den Kandidaten der ÖVP gegen schwerwiegende Vorwürfe.

Ich habe nur eine persönliche Erinnerung an Simon Wiesenthal - und die liegt schon lange zurück. Aber immerhin, sie fand zu einer Zeit statt, in der österreichische Innenpolitik so spannend war wie schon lange nicht mehr.

März 1986: Kurt Waldheim ist der Kandidat der ÖVP für die Präsidentschaftswahlen. Plötzlich wird aus dem angesehenen, langjährigen UNO-Generalsekretär ein ranghoher Nazi. Fotos, die ihn auf einem Flughafen in Jugoslawien in der Uniform des "Dritten Reiches" zeigen, machen die Runde. Waldheim selbst hält das ganze für eine "Kampain", ausgelöst vom Jüdischen Weltkongress in New York.

Ich rufe Simon Wiesenthal an. Er verteidigt Kurt Waldheim. "Da ist nichts dahinter", erklärt mir der "Nazi-Jäger" am Telefon. Was er über Waldheims Tätigkeit in Jugoslawien wisse, frage ich ihn. "Ach, da war nichts, Waldheim war ein niederrangiger Bürokrat", erwidert Wiesenthal. Ob er mir jene Stelle in Ludwigsburg nennen könne, die Unterlagen über Teilnehmer am jugoslawischen Feldzug haben soll. "Ja", sagt Wiesenthal, "das kann ich schon, aber dort gibt's nichts über Waldheim".

Ein Anruf bei Alfred Streim von der Zentralstelle zur Ermittlung von NS-Verbrechen bringt genau das Gegenteil ans Tageslicht: "Um wen geht es, Waldheim? Lassen Sie mich nachsehen ... Ach ja, da habe ich einen 'Kurt Waldheim', gesucht wegen Mordes ..." "Sind sie sicher?", frage ich den Leiter des Instituts, "dass es sich um den gleichen Waldheim handelt, der jetzt als Bundespräsident kandidiert?" "Ja, sicher", lautet die Antwort, "das geht aus seiner Funktionsbeschreibung hervor."

Simon Wiesenthal hat Kurt Waldheim immer verteidigt - nicht unbedingt, wenn es darum ging, ob dieser die Wahrheit gesagt habe, aber ganz bestimmt, wenn es um schwerwiegendere Vorwürfe ging. Am Ende hat Wiesenthal wohl recht gehabt: Echte Beweise dafür, dass Waldheim Kriegsverbrechen begangen habe, sind nie aufgetaucht - was Wiesenthal aber schon so früh so sicher gemacht hat, ist schwer zu ergründen.

Vielleicht lag es an seiner mehr als gestörten Beziehung zu Bruno Kreisky, der sich ja - das scheint heute unbestritten zu sein - mit seinem Kollaborationsvorwurf (Wiesenthal soll mit den Nazis zusammengearbeitet haben) geradezu schäbig gegenüber dem Überlebenden mehrerer Konzentrationslager verhalten hat.

Hätte Wiesenthal Waldheim fallen gelassen, hätte das dem damaligen SPÖ-Kandidaten großen Auftrieb gegeben - aber es ist anders gekommen, und das ist längst Geschichte. Und an den großen Verdiensten, die sich Simon Wiesenthal im Laufe seines langen Lebens erworben hat, ändert auch diese kleine Anekdote nichts.

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