Jonkes poetisch-absurde Sprachfantasie

Die versunkene Kathedrale

Im Wiener Akademietheater fand bereits die zweite Premiere der neuen Burgtheatersaison statt: die Bühnenfassung eines Gert-Jonke-Textes. Inszeniert wurde "Die versunkene Kathedrale" von der jungen Berliner Regisseurin Christiane Pohle.

Zuerst rinnt ein Schlafzimmer aus, dann ein ganzer See. Raum, Zeit und die Dinge führen ein Eigenleben in Gert Jonkes neuem Stück "Die Versunkene Kathedrale", das am Sonntagabend im Akademietheater Wien uraufgeführt worden ist. Vor allem aber ist es die Sprache, die sich bei Jonke verselbständigt und zu einem lebendigen Wesen wird. Regisseurin Christiane Pohle bringt die poetisch absurde Sprachfantasie mit Witz auf die Bühne. Das Premierenpublikum zeigte sich von Text, Inszenierung und Ensemble gleichermaßen begeistert und amüsiert.

Skurrile Ouvertüre

Ein Bestattungsunternehmer hat mit professionellen Begräbnis-Shows unglaublichen Erfolg. Die Aufführungen werden gestürmt: "Die letzten Allerheiligen zum Beispiel waren ein einziges großes Theatertreffen im Zentralfriedhof, welches es mit den Wiener Festwochen spielend aufnehmen könnte." Nun soll auch das Ensemble der besten Bühne der Stadt für ein Friedhofsgastspiel engagiert werden. Diese Szene ist die Ouvertüre zu dem Stück "Die versunkene Kathedrale" von Gert Jonke.

Erstarrungskrankheit und ertrunkene Stadt

Aus dem dreiteiligen Auftragsstück des Burgtheaters eine stringente Handlung herauszuarbeiten, ist nicht einfach: Es geht zunächst um die Heimkehr eines Paares von seiner Hochzeitsreise. Im Disput über das verlorene Glück werfen die beiden Partner einander die fantasievollsten Schimpfworte an den Kopf ("Nepp, Krepp, Sepp, Depp" u. ä.). Die beiden werden in der Folge von einer seltsamen Verlangsamungs- und Erstarrungskrankheit befallen und von ihren Eltern in ein Therapiezentrum eingeliefert.

Außerdem ist der Wörthersee unter einer Eisdecke einfach ausgelaufen und hat damit eine "ertrunkene Stadt" mitsamt der titelgebenden "versunkenen Kathedrale" wieder freigegeben: "Sie wird wohl bald wegfliegen wollen, um sich einen neuen See zu suchen, aber vielleicht sollte ihr jemand erklären, dass sie im Falle ihres Hierbleibens, obwohl sie nur mehr aus ihrem eigenen Schatten besteht, sofort Anspruch auf eine Mindestrente in der Höhe des Existenzminimums hätte."

Am Ende schließlich scheint das Auslaufen des Wörthersees eine zweite Landnahme zu ermöglichen, eine neue Chance auf neues Glück. Wer will, kann in diesem Triptychon Anspielungen auf Sündenfall, Inferno und Paradies entdecken.

Kreativer Umgang mit Sprache

Jonke ist mehr an Sprachbildern und -melodien, Gedankensprüngen und assoziativen Wortketten als an narrativer Logik interessiert. Skurrilität und Sprachwitz waren seit jeher die Markenzeichen des 59-jährigen Kärntner Autors, der 1977 den ersten Bachmann-Preis gewann und 2003 für seine "Chorphantasie" einen Nestroy für das beste Stück erhielt.

Mit seinem neuen Werk gibt er Publikum und Regie jedoch mehr Rätsel auf als gewohnt. Die junge deutsche Regisseurin Christiane Pohle, die bereits die Uraufführung der "Chorphantasie" inszenierte, hat die Herausforderung angenommen. "Es ist eine ganz große Seltenheit, dass sich jemand traut, in einer so kreativen Weise Sprache und Realität neu zu erfinden", wird sie jüngst in der Zeitschrift "Die Bühne" zitiert.

Mehr dazu in Ö1 Inforadio

TV-Tipp
Christiane Pohle ist am Montag, 19. September 2005, 22:30 Uhr Live-Gast in "Treffpunkt Kultur", wo sie auch zum Ausgang der bundesdeutschen Wahl Stellung nehmen wird.

Mehr dazu in tv.ORF.at

Veranstaltungs-Tipp
Gert Jonke, "Die versunkene Kathedrale", ab Sonntag, 18. September 2005, Akademietheater,
Ö1 Club-Mitglieder erhalten ermäßigten Eintritt (10 Prozent).

Link
Burgtheater - Die versunkene Kathedrale