Alaskas Ureinwohner gegen Bohrtürme
Weißer Mann, schwarzes Gold
Unter Präsident Carter wurden weite Teile Alaskas unter Naturschutz gestellt, Präsident Bush will jetzt Ölgesellschaften dort bohren lassen. Die Folgen für Grizzlys, Wölfe, Karibus, aber auch für die indigenen Völker Alaskas, wären gravierend.
8. April 2017, 21:58
Stimmen aus dem Volk der Gwich'In in Arctic Village
Alaska ist die letzte Wildnis der USA, aber bleibt sie es auch? George W. Bush will nämlich den Ölfördergesellschaften freie Hand geben und nun auch im unter Naturschutz stehenden ANWR - dem "Arctic National Wildlife Refuge" - Öl bohren lassen. Ziel des Präsidenten: Die USA sollen vom ausländischen Öl unabhängiger werden.
Naturschutz oder Ölförderung?
Noch in diesem Monat wird der US-Kongress in Washington entscheiden, ob der größte Naturpark der Vereinigten Staaten - das "Arctic National Wildlife Refuge" - weiterhin Naturschutzgebiet bleibt oder ob er den Ölfördergesellschaften übergeben wird.
Naturschutz oder Ölförderung? Was wird der Regierung wichtiger sein? Wer wird sich durchsetzen? Die indigenen "Gwich'In" - die "First Nations" Alaskas - oder die mächtigen Interessen von Politik und Ölmultis?
Das traditionelle Leben der Gwich'In
Die etwa 7.000 Gwich'In, einer der Stämme der indigenen Völker im Norden Alaskas, wo auch das insgesamt 80.000 Quadratkilometer umfassende größte Schutzgebiet für Wildtiere in den USA liegt, nennen ihr Land "heiliger Ort, wo alles Leben beginnt". Seit Jahrtausenden leben sie in Symbiose mit den etwa 130.000 Geweih tragenden Karibus, einer größeren Variante der europäischen Rentiere.
"Unsere Ahnen haben uns das Land hinterlassen. Sie haben uns gelehrt: Bewahrt es und verkauft nicht. Das ist es, was uns reich macht. Jeden von uns", sagt Dena Tritt. Ihre Heimat: die Höhenzüge der Brooks Range - jener Gebirgskette, die Alaskas Tundra und Küste vom endlosen Hinterland trennt. Ihr Zuhause heißt Arctic Village, ein kleines Dorf mit 152 Einwohnern, die in 67 Hütten aus rohen Holzbrettern und Wellblechdächern leben. Vor jeder Tür eine Wassertonne. Es gibt keine Kanalisation. Kein fließendes Wasser. Keine Toiletten. Natur pur.
Mit Jobs und billigem Öl geködert
"Ihr glaubt, wir leben hier in Armut, aber wir sind reich. Kein Geld der Welt kann dieses Leben, das wir führen, aufwiegen. Ich hoffe, man begreift, wie wichtig uns unser traditionelles Leben ist", sagt sie in Richtung US-Regierung.
Was Ölförderung bedeutet, haben die Gwich'In schon einmal erlebt, als Ende der 1970er Jahre die 800 Meilen lange Trans-Alaska-Ölpipeline gelegt wurde. Das an der Küste des Polarmeeres in Prudhoe Bay entdeckte und geförderte Öl - knapp 20 Prozent der gesamten US-Produktion - floss über ihr Gebiet - von Prudhoe-Bay nach Valdez, dem nördlichsten eisfreien Hafen der westlichen Hemisphäre. Der Köder: Jobs und billiges Öl:
"Das haben sie uns damals versprochen. Arbeitsplätze und billiges Benzin. Nichts davon geschah. Für die Öljobs haben sie Texaner eingeflogen, sie 30 Tage in Alaska wohnen lassen, sie dann eingebürgert, damit auf dem Papier alle Jobs nach Alaska gingen", sagt Calvin, ein älterer Dorfbewohner von Arctic Village.
Jährliche Schweigegelder
Die indigenen Völker Alaskas haben vom Segen des Öls bisher tatsächlich wenig gespürt. In Arctic Village zahlen sie sechs Dollar für die Gallone Benzin. Doppelt so viel wie an jedem anderen Ort in den USA. Zwar bekommen auch die Gwich'In - wie alle Einwohner Alaskas - jedes Jahr einen Scheck vom Staat. Die Einnahmen des Bundesstaates aus dem Verkauf der Ölrechte werden auf alle Bürger umgelegt und verteilt: 1.200 bis 2.000 Dollar für jeden. "Schweigegeld", nennen es die Indigenen:
"Wir leben hier alle von der Natur. Sie versorgt uns mit Elchen, Karibu, Fisch, mit Holz für unsere Häuser und für's Feuer. Was sollen wir mit dem Geld? Hier in der Wildnis kann man sich nichts drum kaufen. Hier ist kein Laden", sagt ein weiterer Einheimischer verbittert: "Wenn die Karibu verschwinden, haben wir keine Lebensgrundlage mehr".
Naturschützer warnen
Es ist wissenschaftlich und auch soziologisch wichtig, diese Wildnis zu erhalten, speziell für Amerika, einem Land, dessen Antlitz quasi aus der Wildnis herausgeschnitzt wurde, so die einhellige Meinung von Naturschützern. "Der Schutz all dessen bewahrt auch den Charakter der USA", sagen unisono Andy Baker, ein studierter Biologe und Robert Thompson, ein Eskimo aus Kaktovik, dem nördlichsten Ort Amerikas direkt am Polarmeer. Sie beide organisieren Rafting-Touren auf dem Hula-Hula-River, einem von drei Flüssen, die das Naturschutzgebiet ANWR durchkreuzen.
Auch Robert, ein Eskimo vom Volk der Inupiat, sieht das genauso: "Dieses Wasser kann man trinken. Es ist nicht nur für die Menschen, sondern auch für die Eisbären, Grizzlys, die Wölfe, Moschusochsen, Polarfüchse, Adler, Schwarzbären und Millionen von Wandervögeln überlebensnotwendig. Diese Tiere haben keine Lobby".
Vereinzelte Pro-Stimmen
Aber nicht alle Inupiat sind gegen die Ölbohrungen: "Ich bin für die Ölförderung, aber nur auf dem Land. Wenn im Meer ein Unfall beim Bohren passiert, wie soll dann das Wasser geschützt werden und unsere Wale? Davon leben wir", sagt eine Bewohnerin von Kaktovik, dem einzigen Ort, der auch innerhalb von ANWR liegt.
Die Native Corporation, eine Art Genossenschaft der Eskimos, hat die Bodenrechte für die fragliche "Area 1002". Und die Inupiat haben Anteilscheine. Jedem einzelnen hier gehört ein Stückchen des bisher geschützten und deshalb für sie nutzlosen Landes. Daher glauben dort einige, wenn sie ihre Bodenrechte für teures Geld an die Konzerne abtreten können, käme der Fortschritt.
Entscheidung Ende September
"Wenn die Menschen in Kaktovik denken, sie machen hier ein gutes Geschäft mit dem Öl, dann werden sie am Ende mit viel weniger da stehen, als sie sich von diesem Teufelspakt erhoffen", so hingegen die überwiegende Mehrheit der "First Nations" in Alaska.
Die Entscheidung darüber, ob gebohrt wird oder nicht, fällt jedenfalls Ende September vom amerikanischen Kongress. Die Republikaner haben diese Entscheidung über das Schicksal von ANWR als Anhang in den Haushaltsentwurf 2006 geschrieben. Passiert der Haushalt den Kongress, rücken in den nächsten Jahren die Bohrtrupps an.
Download-Tipp
Ö1 Club-Mitglieder können die Sendung nach Ende der Live-Ausstrahlung im Download-Bereich herunterladen.
Hör-Tipp
Diagonal, 17. September 2005, 17:05 Uhr: Zum Thema Erdöl - Vor dem Ende einer Epoche
Links
ANWR - Arctic National Wildlife Refuge
Wikipedia - Trans-Alaska-Pipeline