Zum Tod des Schlagersängers Luigi Tenco
San Remo, Hotel Savoy, Zimmer 219
Wenige Stunden nach seinem missglückten Auftritt beim Schlagerfestival von San Remo wird der Sänger Luigi Tenco im Hotel Savoy tot aufgefunden. Seit seinem mysteriösen Tod ist er ein unvergessener Held der italienischen Popmusik.
8. April 2017, 21:58
Ausschnitt aus Luigi Tencos "Vedrai vedrai"
So gut wie keiner kennt hierzulande den Schlagersänger Luigi Tenco. Dagegen sind in italienischen Städten Straßen und Plätze nach dem unverrgessenen Helden der Musica popolare benannt; und nicht nur seine alten Aufnahmen verkaufen sich dort nach wie vor, sondern auch jüngere zeitgenössische Sängerinnen nehmen immer wieder seine Hits neu auf. Wie kam es zu dieser ungeheuren Popularität des ledigen Kindes einer Kleinbäuerin?
Mysteriöser Tod
San Remo. 26. Jänner 1967. Erster Tag des Festivals della Canzone. Am Nachmittag haben Luigi Tenco und seine Freundin, die Sängerin Dalida, einen Fototermin im Garten des Casinos. Sie posieren unter Palmen. Beide haben ständig Zigaretten in der Hand. Von den Klatschreportern werden sie als Liebespaar gehandelt. Dalida lächelt, Tenco schaut angespannt. Ist er nun doch nicht so siegessicher, wie er in den letzten Wochen getan hat? Abends die Vorausscheidung. Zuerst geht Tenco auf die Bühne und singt, dann kommt Dalida mit ihrer Version von Tencos "Ciao amore ciao". Es ist ein Liebeslied, aber vor dem Hintergrund der von der Not erzwungenen Arbeitsmigration, und insofern recht politisch.
Das Lied fliegt sofort aus dem Bewerb. Von 900 möglichen Stimmen bekommt es nur 38. Um 1 Uhr früh entscheidet auch noch eine so genannte Fachjury, dass beide Künstler nicht am Finale teilnehmen dürfen. Gegen 2 Uhr 15 findet Dalida ihren Luigi in seinem Zimmer mit der Nummer 219 im Hotel Savoy tot auf, mit einer Schusswunde. Das Festival geht an den folgenden Tagen ungehindert weiter. Lucio Dalla tritt mit dem Lied "Bisogna saper perdere" auf - "man muss verlieren können". Und Luigi Tencos Festival-Misserfolg "Ciao amore ciao" verkauft danach innerhalb weniger Tage 80.000 Platten, mehr als doppelt soviel wie er bei seinem bisher größten Erfolg, "Vedrai vedrai", verkauft hat.
Unfall? Selbstmord? Mord?
Unmittelbar nach Tencos Tod erlebt die Gerüchtebörse eine Hausse. Unfall, Selbstmord oder Mord? Die polizeilichen Ermittlungen werden ziemlich rustikal geführt. Da sieht man etwa auf einem Foto, wie ein Polizist auf dem Kofferraumdeckel eines Autos vor dem Hotel Savoy eine Zeitung ausgebreitet hat; darauf ist Tencos Tascheninhalt, Schlüssel, Brieftasche, Ausweis, aber auch die Pistole aufgelegt. Die Fotos aus dem Hotelzimmer zeigen Unstimmigkeiten. Einmal liegt neben der Leiche eine Walther Ppk-Pistole - Tencos eigene - auf anderen Bildern wieder ein anderes Fabrikat.
Journalisten beginnen Hintergründe zu recherchieren und Zweifel an der offiziellen Selbstmord-Version anzumelden.
36 Jahre später
2003 - unglaubliche 36 Jahre später - eröffnet die Staatsanwaltschaft von San Remo die Untersuchung neu. Noch immer darf spekuliert werden: Eine Frauengeschichte? Zwar hatte Dalida ausgesagt, sie hätte Tenco demnächst heiraten wollen, doch vermutlich war er auf eine ganz andere scharf, eine gewisse Valeria, der er kurz vor seinem Tod noch geschrieben hatte.
Andere wiederum glauben an eine mafiose Geschichte im Musikbusiness. Korruption und San Remo sind nämlich zwei Seiten der gleichen Medaille. 2003 nannte die Finanzpolizei konkrete Zahlen: Es hätte richtige Preislisten auf dem Weg zum Erfolg gegeben. Junge Talente hätten umgerechnet 50.000 Euro an fragwürdige Festivalagenten zahlen müssen, um in die engere Wahl der besten Acht zu kommen. Unter die besten 16 kam man schon für 20.000 Euro.
Vielleicht war der Tod aber nur eine logische Folge der Enttäuschungf Tencos? "Man erschießt sich sicherlich nicht wegen eines Liedes, schreibt etwa der Musikjournalist Gianni Borgna, "aber vielleicht bringt man sich wegen der Zustände um, die hinter einer bestimmten Art von Lied stehen. Und Borgna meint damit Lieder wie jenes von Tenco, das wie ein aktueller Kommentar zur Jugendarbeitslosigkeit anhebt: "Mi sono innamorato di te" - "Ich hab mich in dich verliebt, weil ich sonst nichts zu tun habe".
Ehrliche Lieder verstauben nicht
Es ist müßig, darüber zu spekulieren, ob ein lebender Luigi Tenco es in Italien zu einem vergleichbaren Kultstatus gebracht hätte wie der unter zumindest teilweise fragwürdigen Umständen zu Tode Gekommene. Mittlerweile hat der San Remo-Initiator Amilcare Rambaldi, enttäuscht von der Entwicklung des Schlagerfestivals, den "Club Tenco" gegründet, der einen jährlichen Bewerb für anspruchsvollere Cantautori veranstaltet, auch in San Remo.
Tatsache ist jedenfalls, dass Tencos Lieder weiter existieren und nicht verstauben, sondern benützt werden. Erst im Jahr 2004 enstand der Film "Cinq fois deux" -"Fünf mal zwei" - mit Valeria Bruni Tedeschi, in dessen Soundtrack sich zwei Tenco-Lieder im Original und eine Tenco-Interpretation von Wilma Goich wiederfinden. Tatsache ist auch, dass heute wie damals die Lieder von Luigi Tenco das Publikum ansprechen, denn sie sind antikonformistisch, frei von Vorurteilen und versuchen ehrlich zu sein.
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Club Tenco
Luigi Tenco - Biografie und Diskografie (ital.)