Johann Kresnik im "Künstlerzimmer" zu Gast
Das Theater als künstlerische Waffe
Mit Spannung wird sein neues Stück, das nicht nur die Herbst-Saison, sondern auch die neue Volkstheater-Ära unter Michael Schottenberg einleitet, erwartet: Regisseur und Choreograf Johann Kresnik. Sein neues Stück "Spiegelgrund" wird am Sonntag uraufgeführt.
8. April 2017, 21:58
"Es ist unglaublich, was nach 1945 passiert ist"
Es ist das Ereignis der beginnenden neuen Theatersaison: Der neue Volkstheater-Direktor Michael Schottenberg eröffnet am Sonntag mit Johann Kresniks "Spiegelgrund". Der Regisseur und Choreograph stellt für diese Uraufführung die als "unwertes Leben" gebrandmarkten Kinder in den Mittelpunkt und stützt sich dabei auf Fakten und Aussagen von Überlebenden.
Anlässlich der bevorstehenden Premiere hat Maria Rennhofer Johann Kresnik, den Begründer des Choreografischen Theaters, über die Thematik des neuen Stücks sowie über sein politisches Engagement für eine gerechtere Welt, das sich durch seine ganze Theaterarbeit zieht, befragt.
"Ein unglaublicher Stoff"
Kresnik, der Spezialist für starke Theaterbilder, hat gemeinsam mit dem Dramaturgen Christoph Klimke anhand von dokumentarischem Material und Aussagen eines ehemaligen Zöglings ein Stück über die absonderliche Praxis in der Nazi-Fürsorgeanstalt "Am Spiegelgrund" und deren ärztlichen Leiter Heinrich Gross erarbeitet.
Warum er sich gerade für diesen Stoff so interessiere, erklärte er in einem APA-Interview: "In meinem ganzen Leben habe ich mich mit der Nazi-Vergangenheit beschäftigt, sowohl in der Oper, als auch in Schauspiel und Tanz. Der Fall Gross ist ja ein unglaublicher Stoff, wenn man bedenkt, dass man in Österreich auch nach 1945 diese Leute gedeckt hat, und zwar alle Parteien."
Werkzeugschlosser-Lehre statt Malerei
Johann Kresnik wurde am 12. Dezember 1939 in St. Margarethen in Kärnten als Sohn eines Bergbauern geboren. Als Dreijähriger musste er mit ansehen, wie sein Vater, ein Wehrmachtssoldat, von Partisanen erschossen wurde. Später heiratete seine Mutter den Sektionsleiter der KP Steiermark, in dessen Grazer Haus die Familie auch lebte. Nach der Hauptschule plante Kresnik ein Malereistudium in Wien, musste aber auf Drängen der Mutter eine Lehre als Werkzeugschlosser absolvieren.
Daneben statierte er an den Vereinigten Bühnen Graz, wo er auch eine Tanzausbildung absolvierte. Nach ersten Erfolgen flüchtete der junge Tänzer 1960 aber vor dem Bundesheer-Einberufungsbefehl nach Bremen. 1962 ging er nach Köln und arbeitete dort als Solotänzer u. a. mit großen Choreografen wie George Balanchine, John Cranko und Maurice Bejart. Bald ließ Kresnik das klassische Ballett hinter sich.
1968 Ballettdirektor in Bremen
Aus Gedichten von schizophrenen Gugginger Patienten erarbeitete er 1967 sein erstes eigenes Stück "O sela pei", 1968 thematisierte er in "Paradies?" u. a. das Attentat auf den deutschen Studentenführer Rudi Dutschke. Im selben Jahr wurde er von Kurt Hübner als Ballettdirektor an das Bremer Theater engagiert.
Das am Bremer Tanztheater von ihm entwickelte Choreografische Theater versuchte, Sozialkritik in oft schockierende Bildersprache zu gießen. Bis 1978 entstanden u. a. die Ballette "Kriegsanleitung für Jedermann", "Die Nibelungen", "Jesus GmbH" und in Wien, wo in den 1970er Jahren im Theater an der Wien regelmäßig Kresnik-Choreografien gezeigt wurden, "Masada".
Demontage von Mythen
Zwischen 1979 und 1989 leitete Johann Kresnik das Tanztheater am Theater der Stadt Heidelberg. Hier und auch später nach seiner Rückkehr nach Bremen benutzte er immer wieder Biografien realer Figuren, um ihren Mythos zu demontieren.
Dazu gehören z.B. "Sylvia Plath", "Pasolini", "Ulrike Meinhof", "Frida Kahlo", "Nietzsche" oder "Francis Bacon". Daneben kreierte Kresnik u. a. "Macbeth" zur Musik von Kurt Schwertsik und in der Ausstattung von Gottfried Helnwein und arbeitete auch verstärkt als Schauspielregisseur.
Heimat Berliner Volksbühne
Von 1994 bis 2002 war Kresnik mit seinem Ensemble an der Berliner Volksbühne engagiert. Hier kamen u. a. "Rosa Luxemburg", eine umstrittene Arbeit über Ernst Jünger und "Garten der Lüste" heraus. 1999 brachte er Szenen aus Karl Kraus' "Die letzten Tage der Menschheit" in einem U-Boot-Bunker in Bremen zur Aufführung. Im selben Jahr versuchte er am Burgtheater mit "Wiener Blut" eine Demontage von Österreich-Mythen.
Wie häufig vorher und nachher - so etwa im Jänner 2004 in Bremen, als er mit zehn nackten Frauen in einer Kirche "Die zehn Gebote" aufführte - wurde Kresnik dabei der Versuch, einen Skandal zu provozieren, vorgeworfen. Seit seinem Ausscheiden aus der Berliner Volksbühne ist Kresnik mit seinem Ensemble in Bonn unter Vertrag. 2003 inszenierte er Ibsens "Peer Gynt" bei den Salzburger Festspielen und ließ dabei Red Bull-Dosen auf die Bühne regnen.
Auch bildender Künstler
Kresnik ist auch als bildender Künstler tätig. So zeigte er etwa 1999 in der Kärntner Landesgalerie eine aus zwölf Stationen bestehende Rauminstallation.
Für das zeitgenössische Theater fordert er - in einem Gespräch mit der dpa - vehement eine Re-Politisierung ein: "Wir dürfen nicht nur Unterhaltung, sondern müssen Stoff für Diskussionen anbieten."
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