Eine Spurensuche

Beruf: Agentin?

Es war das letzte große Interview, das Gottfried von Einem Ende des Jahres 1995 gab. In diesem Gespräch hat er eindrücklich seine Mutter beschrieben und seine übergroße - lange Zeit unerwiderte - Liebe zu ihr. Aber: War sie wirklich eine Spionin?

Gleich die erste Recherche zu Gerta-Luise von Einem, im Munzinger-Archiv, bringt Überraschendes: "Agentin.", steht dort zu lesen, samt einer Kurzfassung einer wirklich abenteuerlichen Biografie; niemand würde wagen, so etwas zu erfinden.

Es wird das Bild einer attraktiven Frau gezeichnet, die in großem Stil lebt, als wäre sie steinreich: immer auf Reisen, mit eigenem Chauffeur und Kammermädchen in eleganten Limousinen, wohnt sie ausschließlich in luxuriösen Hotels, hat Freunde in aller Welt. Mit Musikgrößen, Wilhelm Furtwängler oder Bruno Walter, verkehrt sie ebenso wie mit bedeutenden Politikern wie Winston Churchill. Zu Gerta-Luises Bekanntenkreis gehören aber auch Nazigrößen.


Ausschnitt aus der ORF-Dokumentation "Top Secret - Frauen in der Spionage" aus dem Jahr 2006.

Spionage in den Salons?

Gerta-Luise Riess von Scheurnschloß, 1889 geboren, Tochter einer kurhessischen Offiziersfamilie, hatte 1911 unter ihresgleichen geheiratet. William von Einem ist im Ersten Weltkrieg österreichisch-ungarischer Militärattaché in Bern, einem Zentrum der Spionage. Nach dem Krieg kehrt er nach Wien zurück, Frau, Kinder und Personal beziehen ein großes Anwesen in Norddeutschland, in Malente. Dort wachsen die drei Kinder unter Obhut von Großmutter, Dienerschaft und Hauslehrern auf. Gerta-Luise von Einems Salons in Paris und in Berlin sind beliebte Treffpunkte der großen Gesellschaft.

Als Fiktion wäre dieses Leben nicht glaubhaft. Aber wie so oft schreibt das Leben die interessantesten Geschichten.

Gerne nutzten Geheimdienste solche Gelegenheiten, um Informationen zu sammeln - aber welche Informationen können das sein? Was bedeutet Spionage in einem solchen Zusammenhang - weitab vom romantischen Klischee? Die Gestapo verhaftet Gerta-Luise 1938 wegen Verdachts der Spionage, verurteilt sie aber wegen schwerer Devisenvergehen - was auch immer das in einem Unrechtsstaat bedeutet haben mag. So sind auch die Dokumente über Gerta-Luise, die sich heute im Bundesarchiv in Berlin befinden, nur bedingt aussagekräftig. Ebenso ist der Vorwurf der Bestechung und Spionage in Zusammenhang mit dem Todesurteil, das ein Militärgericht in Paris über sie verhängt, fragwürdig - steht doch Frankreich 1940 kurz vor einer Niederlage gegen Nazideutschland.

Gerta-Luise kommt vorerst davon, nach dem Krieg hält sie sich versteckt, wird verhaftet, flieht, indem sie aus dem Zug springt, wird aber erneut festgenommen.

"Mata Hari 2"

Nach zwei Jahren im Gefangenenlager in Fresnes südlich von Paris steht sie vor dem Militärgericht, das sie acht Jahre zuvor in Abwesenheit wegen Spionage und Bestechung zum Tod verurteilt hat. "Mata Hari 2" wird sie in den Schlagzeilen der französischen Zeitungen genannt, die ihren Fall, wie auch beim ersten Prozess, groß aufgemacht auf den Titelseiten bringen. Dann wird es ruhig um sie.

Wie Gerta-Luise von Einem die letzten Jahre ihres Lebens verbracht hat, ist nicht bekannt. Es existieren keine Briefe aus dieser Zeit, auch Gottfried von Einem liefert in seiner Autobiografie keine Aufschlüsse. Da sie in einem früheren Brief eine Frau in Ludwigsburg erwähnt, bei der sie auf einer Reise Unterkunft gefunden hat, kann vermutet werden, dass sie dort ihre letzte Lebenszeit verbringt. Gerta-Luise von Einem stirbt am 3.März 1964 in Ludwigsburg.

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