Gazprom, ein Konzern hält sich eine Stadt

Russland und sein Erdgas

Nowij Urengoj ist eine Stadt, in der man nicht alt werden kann. Etwa 100.000 Einwohner leben dort unter schwersten Wetterbedingungen über dem größten Erdgasfeld der Welt. Sie sind einzig und allein vom Erdgas und von einem Konzern abhängig. Wie lange noch?

Einheimische über das Leben in der Rohstoff-Stadt

Die Stadt Nowij Urengoj liegt am Polarkreis in Sibirien. Ihre 100.000 Einwohner leben nur von einem: dem riesigen Erdgasfeld, das sich unter der Stadt befindet. Gegründet wurde Nowij Urengoj vom russischen Staatskonzern Gazprom, ohne den auch heute nichts in der Stadt geht.

Eine Kolonie am Ende der Welt

Eine lebensfeindlichere Umgebung ist kaum denkbar: Minus 60 Grad im Winter, über 40 Grad plus im Sommer. Trotzdem leben in Nowij Urengoj an die 100.000 Menschen, und sie leben nur von einem: dem Erdgas. Schon bei der Fahrt vom kleinen Airport ins Zentrum der Stadt säumen Kesselanlagen den Straßenrand. Hie und da verläuft ein Pipeline-Rohr über dem sandigen Boden - alles in allem eine irreale Gegend, in der es im Sommer nie wirklich dunkel und im Winter nie wirklich hell wird.

Was die Leute, die sich hier in Plattenbau-Siedlungen niedergelassen haben, dazu bewegt, an diesem unwirtlichen Ort zu bleiben, ist natürlich die finanzielle Besserstellung, denn in der Rohstoff-Stadt verdienen sie deutlich besser als der russische Durchschnittsverdiener. Daher lautet das Motto allgemein: Geld verdienen und wieder abhauen.

Wie lange noch?

Das Gasfeld in Nowij Urengoj war bei seiner Entdeckung in den 60er Jahren das größte der Erde: 220 Kilometer lang, 60 Kilometer breit und über 4.000 Meter tief. Doch langsam neigen sich die Vorräte in Nowij Urengoj dem Ende zu.

Bereits jetzt ist die oberste, die größte Gasschicht zu zwei Dritteln aufgebraucht. Es wird immer schwieriger, Gas zu fördern, und die Gasarbeiter bewegen sich immer weiter Richtung Norden zu immer schwerer zugänglichen Gasfeldern. Es scheint nur noch eine Frage der Zeit zu sein, bis die Gasvorräte für immer aufgebraucht sind.

Der umstrittene Konzern

Gas ist für Russland mehr als eine Energiequelle: Es ist ein Mittel der Außenpolitik, und Gazprom als größter russischer Konzern spielt dabei eine wesentliche Rolle. Versuche, Gazprom transparenter zu machen, sind bisher gescheitert.

Etwa ein Viertel der gesamten Staatseinnamen der russischen Föderation wird von diesem einen Konzern bestritten. Kein Wunder, dass die Kontrolle über Gazprom politisch heftig umstritten ist. Die wenigen Reformer, die es in der russischen Regierung noch gibt, wollen Gazprom zerschlagen und den Gasmarkt liberalisieren. Andere sehen im Konzern vor allem eine Möglichkeit, große Summen für nicht-offizielle Ziele des Staates auszugeben.

Größter Erdgasproduzent der Welt

Der Export von Erdgas und Erdöl ist zur wichtigsten Stütze der russischen Wirtschaft geworden. Die Erdgas- und Erdölproduktion machen insgesamt etwa 60 Prozent des russischen Exports und ungefähr ein Viertel des Bruttosozialproduktes aus.

Russland ist überhaupt der größte Erdgasproduzent der Welt und nach Saudi-Arabien auch der zweitgrößte Ölproduzent. Auch Österreich bezieht mehr als 80 Prozent seines Erdgases aus Sibirien. Von den 38 Milliarden Kubikmetern Erdgas, die durch die 5.000 Kilometer lange Pipeline von Westsibirien bis nach Baumgarten gepumpt werden, bleiben sechs Milliarden in Österreich, das sind drei Viertel des österreichischen Verbrauchs. Der überwiegende Teil wird nach Deutschland, Italien, Frankreich, Slowenien, Kroatien und Ungarn weitergeliefert. An dem Transit verdient die OMV.

Politische Kontrolle nimmt überhand

Die Einnahmen aus dem Energiesektor sorgen auch für politische Stabilität. Die Kontrolle des Energiesektors wird daher zu einem immer wichtigeren Thema in Russland. Zu sehen war das zuletzt am klarsten beim Vorgehen des Kreml gegen den Erdölkonzern Yukos: Yukos ist inzwischen zerschlagen, sein Gründer Michail Chodorkowski in einem sehr fragwürdigen Prozess zu sieben Jahren Haft verurteilt worden.

Doch auf das Leben der Menschen in Nowij Urengoj wirkt sich dieser politische Streit kaum aus. Sie lassen sich die extremen Umweltbedingungen durch überdurchschnittlich hohe Löhne abgelten und machen sich nur über eines Sorgen: Was passiert mit ihrer Großstadt im hohen Norden, wenn das Gas in etwa 30 Jahren zu Ende geht?

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