Ernst Jandl über Gott in der Literatur

Ich klebe an Gott

Der Lyriker Ernst Jandl hat sich in seinem Schaffen immer wieder mit dem christlichen Gott auseinandergesetzt. Provokant und aggressiv, spielerisch-ironisch, aber auch mit großem Ernst ermutigt er auch fünf Jahre nach seinem Tod zum unzensurierten Nachdenken.

ich klebe an gott dem allmächtigen vater, schöpfer himmels und aller verderbnis, und an seinem in diese scheiße hineingeborenen sohn, der zu sein ich selber mich wähne um mich schlagend, um mein maul aus diesem meer von kot in die luft zu halten, und immer noch atem zu kriegen warum nur, weil ich ein von maßloser feigheit gesteuertes schwein bin, unfähig willentlich unterzutauchen ins unausweichliche ...

las Ernst Jandl im Jahr 1998 - etwa zwei Jahre vor seinem Tod - ins Mikrofon. Um welche Gedichte es gehen sollte, hatten wir damals genau vereinbart. Beim Text "vermeide dein leben" hatte er Bedenken, ihn für den ORF zu lesen, und diese Aufforderung, sein Leben selbst zu beenden, einem Publikum zuzumuten.

Schonungslose Offenheit

In diesem Gespräch saß mir ein Mensch von radikaler und schonungsloser Offenheit gegenüber - schonungslos vor allem gegen sich selbst. Jandl sprach vom Tod, der ihm bald bevorstünde, von seinen Selbstmord-Vorstellungen, vom frühen Verlust der Mutter und vom Wunsch, mit seinen Fehlern ins Reine zu kommen. Ich sprach mit jemandem, der keine Position verteidigte, sondern unbeirrt nachdachte - in seinen Gedichten wie im Gespräch über diese Gedichte.

Jandls Antwort auf die Frage nach dem Grund für die poetische Rekonstruktion von Gebeten war überraschend: "In den vorgegebenen, vorgeprägten Texten ist ja doch vieles drinnen, was man selber anstrebt und gar nicht besser ausdrücken könnte. Daher nähert man sich solchen Texten wieder. Diese Texte, ich meine das 'Ave Maria‘ und das 'Vater unser‘, haben einmal eine magische Kraft gehabt für den kleinen Jungen, der ich einmal war. 'längst schon versuche ich/die gängigsten gebete/zu rekonstruieren‘ - das heißt, dass ich diesen Gebeten für mich wieder die Kraft geben will, die sie für mich einmal gehabt haben“.

"aus dem wirklichen leben"

So heißt der letzte Sammelband, der zu Lebzeiten von Ernst Jandl erschienen ist. Lange hatte Jandl das Wort "ich“ in seinen Gedichten vermieden, doch in den letzten Lebensjahren fand seine Biografie zunehmend Eingang in sein Werk. Oft hat er dabei auch mit eigenen Kindheitserinnerungen gearbeitet. In diesem Erinnerungskomplex hat auch eine ausgeprägt katholische Religiosität ihren Platz.

Gebetsfragmente und Floskeln einer rigide-moralisierenden Erziehung - Spuren der verzweifelt-rabiaten Katholizität, an die sich Jandls Mutter geklammert hatte - sind durchsetzt mit schockierenden Verfremdungen, die Obszönitäten, Schimpfwörter und Ausdrücke der Fäkalsprache mit religiösem Wortschatz konfrontieren.

Die Suche nach einem gottesfürchtigen Anfang

Verzweiflung und Zuversicht, Freude über die öffentliche Anerkennung und bohrende Einsamkeit - Ernst Jandl machte daraus nicht jene wohltemperierte Mischung, auf der gutbürgerliche Umgänglichkeit und Verbindlichkeit beruhen; er wich den extremen Erfahrungen nicht aus und hat sie in seinen Gedichten in genau kalkulierter Form verarbeitet. Gerade der unverstellte Blick auf die Negativität ermöglichte ein Gespräch, das auf nichts "Rücksicht“ zu nehmen brauchte und weder auf ein positives noch ein negatives "Bekenntnis“ hinauslief:

"Ich frage mich jetzt als alter Mann, der sich wiederum mit den religiösen Vorstellungen seiner Kindheit - ich will nicht sagen Jugend, denn damals in der Jugend sind die zerbrochen - beschäftigt. Ich frage mich auch, ob das nicht eine Art Verrat an Jahrzehnten meines gottlosen Lebens ist, und suche dann nach einer Erklärung bzw. nach Trost, denn Verräter will man schließlich auch nicht sein. Aber vielleicht lieber den Atheismus seiner Mannesjahrzehnte hinter sich lassen, als auf etwas möglicherweise unerhört Wertvolles, nämlich die Vorstellung des Eingebettetseins des menschlichen Lebens in eine höhere Ordnung, die von Gott bestimmt ist, zu verzichten. Dann lieber vielleicht Jahrzehnte gottlosen Lebens verraten im Sinne von: abschließend hinter sich lassen und den Anschluss an einen, wenn Sie so wollen, gottesfürchtigen Anfang suchen“.


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Wikipedia - Ernst Jandl