Erich Fried im Gespräch

Meister der Lautsprache

"Wer will, dass die Welt so bleibt wie sie ist, der will nicht, dass sie bleibt." Der Literaturwissenschafter Thomas Rothschild war seit 1965 mit Erich Fried befreundet. Das Gespräch entstand 1986 im Stuttgarter Schlossgartencafé, zwei Jahre vor Frieds Tod.

Erich Fried und Thomas Rothschild

Thomas Rothschild: Erzähl mir was über deine Familie, Erich.
Erich Fried: Assimiliertes jüdisches Milieu, Vater Spediteur nach Drop-Out vom Gymnasium, obwohl er sehr intelligent war; als Spediteur gescheitert, weil schon vor der Wirtschaftskrise auf einen Betrüger hereingefallen. Er wollte die ganze Zeit übrigens Schriftsteller werden, womit er niemals Erfolg hatte. Die Sachen waren auch nicht gut. Immer hat er seine Sachen vorgelesen zu Hause, und dabei musste absolute Stille herrschen. Wenn ich gehustet hab zum Beispiel, hab ich eine Ohrfeige gekriegt.

Er kam zufällig drauf, dass er hypnotisieren konnte. Er hat ausgezeichnet hypnotisiert, hat Leute geheilt durch posthypnotische Aufträge, die seit vielen Jahren gelähmt waren. Das kam in die Zeitungen. Die Kuranstalt in Baden hat eine eigene Abteilung für ihn errichtet. Er wurde dann wegen Kurpfuscherei angeklagt und bedingt verurteilt, hat - gegen den Rat seiner Anwälte - Rekurs dagegen eingelegt, sich selbst verteidigt und wurde in zweiter Instanz freigesprochen . Er ist Frontkämpfer gewesen und körperlich furchtbar stolz. Er hat immer gesagt, ich sei ein Krüppel, und er weiß nicht, wie er zu so einem Kind kommt. Und ich hab ihn daher immer gehasst als Kind.

Mutter hat Innenarchitektur studiert und hat dann einen Kunstgewerbeladen in der Burg gehabt, in der Burg-Passage - erst noch Kleinplastiken gemacht für eine Firma Goldscheider in Wien, so im Wiener-Werkstätte-Stil; hat dann Kleiderkollektionen gemacht und auch einige kleine Erfindungen auf dem Gebiet der Modeherstellung. Sie hat im Wesentlichen die Familie erhalten. Wofür sie sich dann gerächt hat, indem sie keinen Menschen mehr erst nehmen konnte, außer sich selbst.

Beide waren im Grund genommen recht unglücklich, eine unglückliche Ehe. Beide haben mich zur Seite genommen und gesagt: "Nur deinetwegen bleib ich in dieser Hölle". Vater hat mich auch öfter in der Nacht aufgeweckt und gesagt "Du ziehst dich entweder sofort an und kommst mit mir, oder du siehst mich niemals wieder!". Als das mal kurz hintereinander so war, da war ich schon fünf oder so, hab ich gesagt "Was? Schon wieder?" und hab sofort zwei Ohrfeigen gekriegt.

Er war überaus theatralisch: "Ich hab genug Geld verdient für dieses Haus. Ich hab das satt. Mich und das Kind kann ich ja umbringen. Ich weiß noch nicht, wie ich es machen werde, aber das Kind kann noch nicht schwimmen - Erich, willst du mit mir auf die Alte Donau rudern gehen?" Ich wollte immer furchtbar gern auf die Alte Donau, es wurde mir immer versprochen. Aber nun hatte er gerade gesagt, er würde mich ertränken. Also sagte ich nein und ging auf die andere Seite des Tisches, verdrückte mich aus dem Zimmer während des Krachs. Und weil ich zu fliehen versuchte, kriegte ich noch einen halben Fußtritt. Er hat mich nicht mehr ganz erwischt. "Du kannst in der Schule sagen, dein Vater ist tot."

Als ich diese Geschichten einmal in einem kleinen Lokal in der Nähe der Fleet Street erzählt hab, sagte aus einer anderen Ecke des Raumes eine weibliche Stimme: "Gott, wie wunderbar! Ich hab geglaubt, das war nur bei uns so". Und aus einer anderen Ecke eine dritte, österreichische, männliche Stimme: "Bei uns war das grad so!"

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