Ein psychoanalytischer Opernführer
Die Zauberflöte
Was ist diese Oper, Mozarts letztes und bekanntestes Werk? Ein Mysterienspiel, eine "Freimaureroper", ein Märchen, ein humanistisch-utopisches Lehrstück? Eine der interessantesten Deutungen stammt vom Psychologen Bernd Oberhoff.
8. April 2017, 21:58
Die "Zauberflöte" beginnt dramatisch: Der Jüngling Tamino wird von einer Schlange verfolgt, der gegenüber er offensichtlich nicht in der Lage ist, sich zur Wehr zu setzen. Infolgedessen fällt er vor Angst in Ohnmacht. Bernd Obernhoff meint, dass die Schlange als Hinweis darauf zu verstehen sei, dass wir uns im Machtbereich der "Großen Mutter", der Königin der Nacht befinden.
Die Tatsache, dass die Kräfte des Jünglings noch zu schwach sind, um sich gegen die Schlange zur Wehr zu setzen und er in Ohnmacht fällt, bedeutet in symbolischer Übersetzung, dass seine Männlichkeit nicht genügend gefestigt ist, um den festhaltenden Kräften des Mütterlichen zu widerstehen und Schritte in die Autonomie zu vollziehen.
Diese Deutung deckt sich mit der Handlung der Oper, in deren Mittelpunkt ja ein Initiationsritual zur Erlangung männlicher Standhaftigkeit und Festigkeit steht. Obernhoffs Grundthese ist, dass in der "Zauberflöte" oft auf mehreren Ebenen "entwicklungspsychologische Problemkonstellationen" vermittelt werden, die jeder Zuschauer, mehr oder minder leidvoll, im Lauf seines Lebens selbst erfahren hat.
Papageno geht's auch nicht besser
Auch Papageno befindet sich im Machtbereich der Mutter, der Königin der Nacht, für die er arbeitet. Der Zuschauer wird - so schreibt Obernhoff - erleichtert sein, dass, nach dem Ausflug in eine frühkindliche Separationsproblematik nun Entspannung und Erholung von diesem Bedrohlichen eintritt.
Papageno, stets gut gelaunt, begnügt sich mit einfachen, schlichten, sinnlichen Genüssen. Papageno sei der Prototyp eines Verdrängers, allerdings eines sympathischen Verdrängers, meint Obernhoff.
Er lässt seine Gefühle nicht an sich herankommen und weicht allen Konfrontationen aus. Die erheiternden Späße Papagenos täuschen den Zuschauer über die Realität hinweg, dass es sich bei dieser Person im Grunde um eine Jammergestalt handelt, die auf dem Niveau kindlicher Oralität fixiert geblieben ist und einer psychischen Weiterentwicklung zum Mann massivste Widerstände entgegensetzt und diese auch noch idealisiert und naiv verherrlicht".
Sarastro und all die anderen
Der kleine psychoanalytische Opernführer von Bernd Obernhoff bietet dem - geneigten - Leser die Chance, die Oper und auch sich etwas besser verstehen zu können. Bernd Oberhoff legt auch einige der Wirkungskräfte der Oper offen:
Die Königin der Nacht - eine wahrhaft mächtige, faszinierende archetypische Mutter, auch eine dominant festhaltende, sowohl gegenüber der Tochter gegenüber als auch dem Sohn. Um sich abzulösen benötigt man die Fähigkeit, sich abzugrenzen. Das ist es, was die beiden in den durch Sarastro auferlegten Prüfungen lernen sollen.
Sarastro selbst: Nun, sagt Oberhoff, ein lange abwesender Vater, ein eher schwacher Mann mit einem strengen Über-Ich.
Monostatos, der Mohr: Er thematisiert die schwierige erste Begegnung mit männlicher Sexualität sowohl für einen jungen Mann als auch für eine junge Frau und "die guten, inneren Objekte", wie Oberhoff sie nennt: die drei Knaben, die - gegen Ende der Oper - Pamina aus einer schweren Depression helfen.
Und - nicht zu vergessen - die beiden Geschenke, die die drei Damen im Auftrag der Königin der Nacht Papageno und Tamino überreichen: ein Glockenspiel und die Zauberflöte. Symbole für das, was die frühe Mutter-Kind-Beziehung dem Säugling an Lebensrüstwerkzeug geben kann: den Sinn fürs Musische und Kreative und das Urvertrauen: die beste Ausrüstung, um mutig und zuversichtlich die Abenteuer dieser Welt zu bestehen.
Buch-Tipp
Bernd Oberhoff, "Die Zauberflöte. Ein psychoanalytischer Opernführer", Psychosozial-Verlag, ISBN 3898062708
Hör-Tipp
Am 30. Juli findet bei den Salzburger Festspielen die Premiere der neuen, unkonventionellen Zauberflöten-Inszenierung von Graham Vick statt. Ö1 überträgt live ab 19:30 Uhr
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