Kein unnötiges Wort

Letzte Nacht

Die Flüchtigkeit des Glücks, die Tragik erotischer Verstrickungen, die Poesie von Häusern, Obstbäumen, Pferdekoppeln und Badenachmittagen am Meer: Das sind die Themen, die James Salter bewegen, nicht nur in seinen Romanen, auch in seinen Short-Storys.

Zehn Kurzgeschichten versammelt der Band "Letzte Nacht", eine lakonischer, reduzierter, poetischer als die andere. Es sei ganz normal, dass er sich in seinen Erzählungen der gleichen Themen annehme wie in seinen großen Romanen, erklärt James Salter, die meisten Schriftsteller befassten sich im Verlauf ihres Lebens mit einer begrenzten Anzahl von Themen. Wie schon in seinem ersten Short-Story-Band "Dämmerung", kreisen seine Erzählungen auch diesmal um eine pathetische Frage: Was heißt es, ein Mensch zu sein?

Ganz alltägliche Geschichten

Was heißt es, ein Mensch zu sein? Das fragt sich auch ein Mann namens Phil in der ersten Geschichte des vorliegenden Bandes. Phil heiratet eine Frau und stellt nach kurzem fest, dass er sie gar nicht liebt und sie ihn auch nicht. Man hat sich nichts zu sagen. Eine traurige, ganz und gar alltägliche Geschichte.

In einer anderen Erzählung treffen sich drei Freundinnen, Sex-and-the-City-Milieu. Eine der drei lebt in Scheidung, man zieht über Männer her, man albert herum, kippt ein paar Whiskeys, ein lustiger Abend. Erst ganz am Ende der Geschichte, auf den letzten Zeilen, stellt sich heraus, dass eine der Frauen, Jane, Krebs hat. Sie beichtet es dem Taxifahrer auf der Heimfahrt.

Schreiben ist Handwerk

Stilistisch geht James Salter in diesen Kurzgeschichten um einiges asketischer zur Sache als in seinen großen Romanen, in denen er ja vor allem mit stimmungsvollen Lyrismen und brillanten Metaphern glänzt. Kaum etwas davon ist in diesen Erzählungen. Salters Kurzgeschichten sind aufs Notwendigste reduziert. Schreiben, das sei für ihn vor allem Handwerk, behauptet James Salter. Wichtig dabei: der Klang der Worte. Während des Schreibens lese er sich seine Texte immer wieder laut vor, um ihre Qualität zu prüfen.

Ein außergewöhnlicher Abend

Auf plakative Pointen verzichtet Salter in seinen Geschichten - außer vielleicht in der letzten, "Letzte Nacht". Da verbringen drei Menschen, ein Ehepaar und eine Freundin des Hauses, einen außergewöhnlichen Abend miteinander. Für Marit, die todkranke Ehefrau, ist es der letzte. Nach einem opulenten Dinner, das man zu dritt in einem edlen Restaurant einnimmt, fährt das Trio ins Haus des Ehepaars. Die Stimmung ist miserabel. Während die Freundin unten wartet, geht Marit mit ihrem Mann ins Schlafzimmer hinauf, um ihrem Leben ein Ende zu setzen oder besser gesagt: setzen zu lassen. Walter, der Mann, verabreicht seiner Frau eine tödliche Injektion. Dann geht er runter. Jetzt erst erfährt der Leser, dass die unten wartende Frau seit längerem seine Geliebte ist. Walter ist völlig mit den Nerven runter. Zugleich aber weiß er: Jetzt hat er freie Bahn. Er verbringt die Nacht mit Susanna. Am nächsten Morgen beim Frühstück - eine groteske Wendung - kommt plötzlich die tot geglaubte Gattin die Treppe herunter, bleich, etwas zittrig, aber unübersehbar am Leben. Walter hat irgendwas falsch gemacht mit der Injektion.

"Ich versteh das nicht", sagte Walter.
"O Gott, ich muss das alles noch mal machen", schluchzte Marit. Dann, zu Susanna: "Du bist noch hier?"
"Ich wollte gerade gehen", sagte Susanna.
"Es tut mir Leid", sagte Walter, "es tut mir so Leid."
Er wusste nicht, was er noch sagen sollte. Susanna war gegangen, um ihre Sachen zu holen. Sie ging durch die Haustür hinaus.
So kam es, dass Walter und seine Geliebte sich trennten. Nachdem sie von seiner Frau überrascht wurden. Sie trafen sich noch zwei oder drei Mal danach, er hatte darauf bestanden, aber es hatte keinen Zweck. Was immer Menschen zusammenhält, war verschwunden. Sie sagte ihm, dass sie es nicht ändern konnte. Es war, wie es war.


Ein typischer Salter-Schluss. An dieser Geschichte habe er tage- und wochenlang gearbeitet, erzählt der Autor. Denn für ihn heißt Schreiben - wie für jeden Schriftsteller -, einen Text so lange umschreiben, bis er stimmig ist. Die Lektüre der Salterschen Kurzgeschichten ist ein Vergnügen, wenngleich die Protagonisten dieser Texte eher wenig zu lachen haben.

Buch-Tipp
James Salter, "Letzte Nacht", Erzählungen, aus dem Englischen von Malte Friedrich, Berlin-Verlag, ISBN 3827005779