Reinhard Wiesemann kombiniert Altruismus mit Egoismus

Erfolg mit Linux-Hotel

Die Villa Vogelsang gilt als eines der ungewöhnlichsten Hotels des Ruhrgebiets, ist es doch ein Linux-Hotel. Bei anderen Kursen gehen die Teilnehmer abends getrennte Wege, hier wird bis drei Uhr früh über freie Software diskutiert.

Als Jugendlicher war Reinhard Wiesemann der typische Nerd, der im elterlichen Keller seine Nächte mit Herumschrauben und Herumtüfteln verbrachte. Heute steht auf seiner Visitenkarte Erfinder und Geschäftsführer.

Zuerst einmal war er Geschäftsführer einer Elektronik-Firma, die er mit 18 Jahren im elterlichen Keller gegründet hat. Zwanzig Jahre später beschäftigte er 40 Mitarbeiter, nun hat er die Firma aber verkauft.

Heute ist Reinhard Wiesemann nicht nur, aber auch, Geschäftsführer eines Hotels. Dieses ist in einer Villa, die 1840 für einen Freund Alfred Krupps erbaut wurde, untergebracht. Woche für Woche werden hier ein bis zwei Kurse zu Linux und anderer freier Software angeboten.

Das etwas andere Hotel

Besonders wichtig ist für Reinhard Wiesemann der Spaßfaktor, der wesentlich vom gebotenen Standard abhängt. So wird in der Villa Vogelsang der Weinklimaschrank über Linux gesteuert, jeder Weinsorte wird so die richtige Temperatur zugewiesen, das Heimkino nutzt einen Linux-PC als Multimediagerät, beim Frühstück kommt MP3-Musik von der Festplatte, die Alarmkameras sind direkt an das 100MBit/s-Ethernet-Netzwerk gekoppelt, Licht und Heizung des Seminarraums werden ebenfalls von einem Linux-Rechner gesteuert.

Gelegentlich verirren sich in die Villa Vogelsang aber auch Menschen ohne jede Linux-Kenntnisse, weshalb jedes Zimmer auch fix mit einem Linux-Rechner ausgestattet ist. Geschäftsreisende sollen so auf unkomplizierte Art mit dem freien Betriebssystem in Kontakt kommen. Die Neugier, so Reinhard Wiesemann, sei ja meist vorhanden, aber die Schwellenangst sei zu hoch.

Das Unperfekthaus

Nachdem das Linux-Hotel gutes Geld abwirft, hat sich der Unternehmer Wiesemann einem neuen Herzens-Projekt zugewandt. In der Essener Innenstadt kaufte er ein ehemaliges Kloster und baute dieses zum "Unperfekthaus" um.

Dieses versteht sich als Kreativhaus neuer Art, als Treffpunkt mit Bühnen, Labors und Ateliers, und das auf einer Fläche von 30 Einfamilienhäusern. Es ist keine Stiftung, sondern soll auch mal Geld verdienen.

Sieben Euro beträgt der Eintritt, dafür kann der Besucher eine Woche lang den Künstlern bei der Arbeit zusehen, Seminare besuchen, Musik hören oder auch im Internet surfen. Auf Linux-Rechnern versteht sich, denn auch im Unperfekthaus will Reinhard Wiesemann den Menschen die (Schwellen-) Angst vor dem freien Betriebssystem nehmen.

Allgemeingut in der virtuellen Welt

In einem Restaurant könne man seine Speisen aussuchen, auf Bürocomputern ist aber zu 90 Prozent Windows-Ware installiert. Und dies stößt dem Unternehmer Wiesemann, der in seinen Projekten Altruismus mit Egoismus kombinieren möchte, auf.

"Linux ist in der virtuellen Welt das, was der Stadtpark in der realen Welt ist, nämlich Allgemeingut. In der Welt des Internet droht die Entwicklung, dass irgendwann alles irgendwem gehört". So könne es dazu kommen, dass wir unsere eigenen Digitalfotos nicht mehr öffnen können, wenn wir keinen Lizenzvertrag für das Dateiformat abschließen, dasselbe gelte auch für Texte. Daher sei es so wichtig, auf Allgemeingut auch in der virtuellen Welt zu bestehen.

Nachdem das Linux-Hotel in Essen gut läuft, wäre es da nicht eine gute Idee, gleich mehrere davon aufzumachen? So könne man ja noch mehr Menschen von den Vorzügen freier Software überzeugen.

Reinhard Wiesemann winkt ab, an einem Franchise-System sei er nicht interessiert. Da überwiege bei ihm der Egoismus, stets den Spaß am Neuen auskosten zu wollen.

Download-Tipp
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Links
Das Linux-Hotel
Unperfekthaus
matrix.ORF.at
futurezone.ORF.at