Diplomatische Eiszeit in Ostasien

China versus Japan

Das "Reich der Mitte" ist wirtschaftlich längst ein Riese. Immer mehr wandelt sich China aber auch sonst zu einer Weltmacht - zum Nachteil Japans, das bisher die Führungsrolle in Asien hatte und mit großem Stolz behauptete. Konflikte sind unausweichlich.

Ein weiterer Stein des Anstoßes: der Yasukuni-Schrein

Mit der wachsenden internationalen Rolle Chinas und dem zunehmenden Wohlstand wächst das nationale Selbstbewusstsein der Chinesen. Aber auch Japan entwickelt nach seinem Aufstieg zur ökonomischen Supermacht und der Überwindung einer schweren Wachstumskrise gerade ein neues Selbstbewusstsein.

Konflikte um die Vorherrschaft im asiatischen Raum sind daher vorprogrammiert, ist doch das Verhältnis beider Länder geschichtlich vorbelastet. Und obwohl die Volksrepublik der wichtigste Handelspartner Japans ist, behandelt sie ihren Nachbarn zunehmend als Rivalen, denn als Partner, wie die jüngsten Massendemonstrationen im April in fast allen Großstädten Chinas beweisen.

Zum Boykott aufgerufen

Mit Sprüchen wie "Nieder mit Japan! Lang lebe China! Boykottiert japanische Waren!“ belagerten im April etwa 20.000 junge Chinesen japanische Supermärkte, Restaurants und warfen die Fensterscheiben der japanischen Botschaft ein, während die Sicherheitskräfte tatenlos zusahen. Über das Internet und SMS-Botschaften waren Aufrufe zu anti-japanischen Protesten verbreitet worden, die vor allem unter Chinas Studenten großen Widerhall fanden.

Der Auslöser

Zu den Ausschreitungen war es wegen eines Streits um neu aufgelegte japanische Schulbücher gekommen, die Gräueltaten japanischer Truppen in China vor und während des Zweiten Weltkriegs verharmlosen. Damals wurden Hunderttausende chinesische Zivilisten auf brutalste Weise ermordet. In den Büchern werden nun u. a. Japans Angriffskrieg und die Kolonialisierung in Asien als Verteidigungsmaßnahmen gegen den westlichen Imperialismus gerechtfertigt.

Der Japanologe Sven Saaler, ein Experte für den Schulbuchstreit, bestätigte, dass in den Büchern nur noch vom "Vorrücken" und nicht mehr von "Aggression" der japanischen Truppen die Rede sei. Auch das Massaker von Nanjing, bei dem nach Schätzungen zwischen zweihundert- bis vierhunderttausend Menschen starben, werde - so Saaler - als "Vorfall" beschönigt; nur noch eines der neuen Lehrbücher nenne die Zahl der Opfer.

Demgegenüber meint der japanische Professor Hidetsugu Yagi, der an einem dieser Bücher mitgewirkt hat: “Es gab viele japanische und ausländische Opfer. Der Krieg ist zum Trauma für die Japaner geworden. Viele Japaner glauben heute, alles, was Japan in der Vergangenheit gemacht hat, sei falsch gewesen. Doch wer die Geschichte studiert, erkennt, dass dieses Gefühl eine Überreaktion ist“.

Beiderseitige Vorwürfe

Während Pekings Regime den Mythos nährt, dass sich Tokio nicht zu seiner Vergangenheit bekennt, geschweige denn sich für seine Kriegsverbrechen entschuldigt, meint Japans Regierung wiederum, dass die chinesische Jugend unter einer kommunistischen Propaganda aufwächst, die sie ausschließlich als Opfer und die Japaner als unbeugsame Täter darstellt.

Japan, das für seine Kriegsverbrechen zwar keine Reparationen gezahlt, aber durch 22 Milliarden Euro Entwicklungshilfe zum Wiederaufbau Chinas beigetragen hat, will durch die neu aufgelegten Bücher die angeblich "masochistische Geschichtsschreibung" in den Schulen beenden, um den Nationalstolz zu stärken. China - durch den wirtschaftlichen Aufstieg mit neuem Selbstbewusstsein gestärkt - reagiert auf die Leugnung der Verbrechen von Nanjing so empfindlich wie Israel auf die Leugnung des Konzentrationslagers Auschwitz.

Geopolitische Konsequenzen

Die japanischen Geschichtsklitterungen, vor allem aber auch dieses neue Selbstbewusstsein im Reich der Mitte bewirkte, dass vor allem Studenten zu glühenden Patrioten und Aktivisten geformt wurden. Einer davon ist Lu Yunfei, der Mitbegründer einer anti-japanischen Bürgerinitiative, der so genannten "Patriotischen Allianz zur Verteidigung der Diaoyu-Inseln". Diese Inseln liegen im Ostchinesischen Meer zwischen Taiwan und der japanischen Insel Okinawa. Die Japaner nennen sie Senkaku-Inseln. Auch sie wurden zum Spielball zwischen den beiden Mächten.

Anfang vergangenen Jahres landeten dort sieben chinesische Aktivisten, um Pekings Gebietsansprüche zu untermauern. Die Diaoyu-Aktivisten wurden festgenommen, nach einigem politischen Geplänkel aber wieder freigelassen. Japan beansprucht die Inseln seit dem militärischen Sieg über China im Jahr 1895. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das Territorium von den USA verwaltet und 1972 an Tokio zurückgegeben. Damals hielt sich der Protest Chinas in Grenzen. Noch 1978 meinte Chinas Parteichef Deng Xiaoping, man solle die Klärung der Inselfrage künftigen Generationen überlassen. Doch das Interesse entflammte über Nacht ...

Der Inselstreit

In dem umliegenden Meeresgebiet dieses Archipels wurden nämlich umfangreiche Öl- und Gasvorkommen entdeckt. China braucht Rohstoffe, um seinen Boom zu befeuern und ist deshalb zum größten Konkurrenten Japans um Erdöl und Erdgas geworden. "Wer die Inseln besitzt, kontrolliert auch die Transportwege im Ostchinesischen Meer", so der Historiker Zhang Xuefeng. Die Regierung in Tokio zählt das Gebiet zu ihrer Wirtschaftszone, hat China aber angeboten, die Quellen gemeinsam zu erschließen. Die Regierung in Peking ignorierte bisher die von Japan festgelegte territoriale Grenze im Meer, gab sich aber nach außen gesprächsbereit.

Als Japan und die USA im Februar eine gemeinsame Erklärung über strategische Sicherheitsinteressen verfassten, schrillten jedoch die Alarmglocken. Dass die beiden Verbündeten darin erstmals ausdrücklich die Taiwan-Frage erwähnten, brachte Pekings Außenminister Li Zhaoxing in Rage: "Die militärische Allianz zwischen Japan und den USA muss strikt auf einen bilateralen Rahmen beschränkt bleiben, sonst ist die regionale Sicherheit gefährdet. Taiwan ist ein Teil Chinas und unsere interne Angelegenheit. Jeder Versuch, Taiwan in den japanisch-amerikanischen Sicherheitspakt einzubinden, ist eine Verletzung der Souveränität Chinas“.

Kein ernsthafter Konflikt in Sicht?

Dass ein ernsthafter Konflikt zwischen beiden Staaten entstehen könnte, hält der Hongkonger Politikprofessor Joseph Cheng eher für unwahrscheinlich: "Die Spannungen sind zwar schwerwiegend und potentiell destabilisierend. Aber beide Regierungen begreifen sehr wohl, dass sie auf gute Beziehungen angewiesen sind, weil sie grundlegende Wirtschaftsinteressen teilen“. Der Ostasien-Experte verweist in diesem Zusammenhang auf Europa und das Vorbild der deutsch-französischen Achse: "Diese hat erst die europäische Integration möglich gemacht. Das wäre auch für Asien wichtig. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass beide Staaten eine Machtbalance in der Region akzeptieren und wirtschaftlich zusammenarbeiten".

Nach den jüngsten Konflikten zwischen den beiden Staaten scheint diese Art der Zusammenarbeit allerdings in weite Ferne zu rücken. Denn während Japan weiter im Windschatten der USA segelt und sich mit neuem Nationalstolz in seinen Errungenschaften badet, ist China drauf und dran nicht nur wirtschaftlich seinen Partner zu überholen, sondern auch politisch und militärisch zu einer Weltmacht aufzusteigen. Für allzu viel Optimismus ist jedenfalls kein Anlass, denn wie sagt so schön eine chinesische Volksweisheit: "Es kann nicht zwei Tiger in einem Wald geben“.

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