Der Selbstinszenierer
Napoleon
Vom Italienfeldzug an hat Napoleon selbst sein Leben gezielt stilisiert, seine Ziele und Motive verklärt und die Legende vom Befreier und Befrieder in die Welt gesetzt. In seiner Napoleon-Biografie geht Johannes Willms ausführlich auf diesen Punkt ein.
8. April 2017, 21:58
Nach seinem großen Sieg an der Brücke von Lodi 1796, als er mit einem zahlenmäßig unterlegenen Heer der italienisch-österreichischen Allianz eine entscheidende Niederlage beibrachte, hatte er keinen Zweifel mehr: Er war sich sicher, "ein Mensch zu sein, der zu Höherem berufen ist".
"Ich fasste den ehrgeizigen Plan, große Dinge zu verrichten, die bis dahin meine Gedanken höchstens als fantastische Wachträume ausgefüllt hatten". Und tatsächlich verrichtete Napoleon Bonaparte "große Dinge", große, blutige und weit reichende. Und vor allem verstand er es, großartig darüber zu berichten oder berichten zu lassen.
Selbst erfundene Legenden
Vom Italienfeldzug an hat Napoleon selbst sein Leben gezielt stilisiert, seine Ziele und Motive verklärt und die Legende vom Befreier und Befrieder in die Welt gesetzt, die auszuschmücken er später im Exil auf Sankt Helena ausführlich Gelegenheit haben sollte, wie der Journalist, Historiker und Napoleon-Biograf Johannes Willms weiß:
"Das war ja der ganze Witz seiner Gefangenschaft und Verbannung, dass er diese Lebensjahre dafür genutzt hat, sich in seinem Tun noch einmal neu zu erfinden. Viele Leute haben ihm das geglaubt. Die haben gesagt, er wollte ein vereinigtes Europa, wollte immer nur Frieden... Alles dummes Zeug!"
Kritisches Bild
Mit der jetzt veröffentlichten großen Napoleon-Biografie entwirft Johannes Willms kein völlig neues, aber doch ein kritisches, von Legenden und verherrlichenden Anekdoten entblößtes Bild des Herrschers, eingeteilt in drei große Abschnitte, die die Titel "Der Zauberlehrling", "Der Diktator" und "Der Imperator" tragen.
Schon in den ersten Kapiteln dieser Biografie, die den Aufstieg des jungen Napoleon nachvollziehen, der vom kleinen Artillerieleutnant zum korsischen Freiheitskämpfer und jakobinischen Revolutionär avanciert, werden dessen Stärken und Schwächen deutlich: ein Mann, der opportunistisch und rücksichtslos war, volkstümlich und verschwenderisch, ein "bejubelter Befreier" und "Prokurist des Schreckens". Bonaparte, dem Putschisten, steht Napoleon, der Monarch gegenüber, der sich selbst im Dezember 1804 mit 35 Jahren die Kaiserkrone aufsetzt.
Überschätzte Meriten
Napoleon Bonaparte war ein Mann von außerordentlicher Intelligenz und schier unbegrenzter Arbeitskraft, der 18 Stunden am Tag arbeiten und vier Sekretären gleichzeitig diktieren konnte, die in den 15 Jahren seiner Herrschaft schätzungsweise 80.000 Briefe und Befehle zu Papier brachten. Ein Mann, der offenbar nie die Übersicht verlor, von blitzschneller Auffassungsgabe und prompten Entschlüssen war, aber auch einer, der nicht an die Souveränität des Volkes glaubte, der, was in Parlamenten und Versammlungen geschah, als bloßes Geschwätz abtat, der sich lieber mit gefügigen Gefolgsleuten als mit unabhängigen Köpfen umgab - und der es früh verstand, die Medien zu instrumentalisieren.
"Er hat bei der Italienarmee schon zwei Zeitungen gehabt, die seine Heldentaten herausgestellt haben", erzählt Willms, "eine war für Italien, eine für Frankreich bestimmt."
Napoleons Meriten seien vielfach überschätzt worden, glaubt Willms und meint damit vor allem die außenpolitischen Leistungen: die vermeintliche Modernisierung und Demokratisierung europäischer Staaten. Die Neuordnungen Norditaliens oder des Deutschen Reiches waren weder kühn noch selbstlos, sie dienten vor allem den eigenen Herrschaftszielen, der Machterweiterung und Ausbeutung. Positiver fällt Willms' Bilanz in innenpolitischer Hinsicht aus: "Vieles, was Napoleon damals durchgesetzt hat, gibt es noch heute: die Banque de France, die Departments, die noch so zugeschnitten sind, wie er sie zugeschnitten hat, oder die ganze innere Verwaltung, der Code Napoleon."
Monografie im besten Sinn
Johannes Willms arrangiert in seiner großen Napoleon-Biografie einen gewaltigen Stoff mit großer Souveränität, überzeugt durch profunde Quellenkenntnisse, flüssiges Erzählen und klare Einschätzungen. Willms' Buch über Napoleon, den Mann, der sich zu Höherem berufen fühlte, den gerissenen Machtpolitiker, Selbststilisierer und Legendenschöpfer, ist eine an der klassischen Biografik geschulte Lebensbeschreibung, eine konventionelle Monografie im besten Sinn.
Buch-Tipp
Johannes Willms, "Napoleon. Eine Biografie", C. H. Beck Verlag, ISBN 3406529569