Auswirkungen der Ost-Öffnung auf Österreich

Arbeitsmarkt und Migration

Bürger der neuen EU-Länder dürfen in Österreich leben, aber kaum Jobs annehmen. Dies regeln so genannte Übergangsbestimmungen. Aber warten unsere Nachbarn überhaupt darauf, den heimischen Arbeitsmarkt zu stürmen? Studien belegen eher das Gegenteil.

Marc Bittner über Migrationsbereitschaft in den EU-Ländern

Bürger aus den neuen EU-Ländern dürfen in Österreich leben, aber nicht arbeiten. Fast nicht! Nur wenige schlüpfen durch das Netz der Fremdengesetze und der Übergangsbestimmungen zum Arbeitsmarkt, nicht alle auf legalem Weg.

Bei uns leben? - Ja! Arbeiten? - Nein! Dahinter steckt die von populistischen Politikern geschürte Angst, die armen Nachbarn könnten Österreicherinnen und Österreichern mit niedrigen Löhnen die Arbeitsplätze streitig machen.

Harte Fronten bei Übergangsfristen

Geht es nach der Arbeiterkammer, wird an den Übergangsfristen nicht gerüttelt. Zumindest nicht, solange junge Österreicher keine Arbeit finden, oder ältere Menschen, die länger arbeiten müssen, bevor sie in Pension gehen können, sagt Arbeiterkammer-Präsident Herbert Tumpel. Eine Entspannung am österreichischen Arbeitsmarkt sei nicht in Sicht. Vor 2011 die Übergangsbestimmungen zu lockern, sei unverantwortlich.

Die Arbeitslosigkeit in Österreich habe mit der Osterweiterung nichts zu tun, kontert Reinhold Mitterlehner, stellvertretender Generalsekretär der Wirtschaftskammer. Es sei eine Frage des Wirtschaftswachstums. Er sei dafür, dass die Übergangsfristen schrittweise gelockert werden. Einerseits würde Österreich mehr Fachkräfte aus dem Osten brauchen, andererseits könnten sich die Löhne, besonders in den Grenzregionen, schneller anpassen

Arbeitslosigkeit in Österreich entstehe nicht so sehr durch die Zuwanderung, sondern hauptsächlich dadurch, dass österreichische Unternehmer ihre Standorte in den billigeren Osten verlagern, meint Gudrun Biffl vom Wirtschaftsforschungsinstitut.

Ausnahmen bestätigen die Regeln

Die Angst, dass tausende Menschen aus den neuen EU-Ländern in Österreich arbeiten wollen, war der Grund für die Übergangsfristen. Für Arbeitskräfte, die in Österreich gebraucht werden, gibt es allerdings Ausnahmen; die dürfen jetzt schon kommen:

Zuwanderer aus den neuen EU-Ländern haben wenige Möglichkeiten, legal in Österreich zu arbeiten: Es gibt Quoten für Schlüsselkräfte - Menschen, die Qualifikationen haben, die in Österreich gebraucht werden. Oder sie kommen als Saisonarbeiter, etwa im Tourismus oder in der Landwirtschaft; auch da gibt es Kontingente. Ebenso dürfen Praktikanten kommen. Außerdem gibt es noch ein Grenzgänger-Abkommen mit Tschechien und Ungarn; sie pendeln nach Österreich und müssen einmal am Tag die Grenze passieren. Auch Selbstständige bekommen eine Arbeitserlaubnis - solange sie in Österreich niemanden anstellen; das sind die so genannten Ein-Mann-Unternehmer, die vor allem im Bauwesen tätig sind.

10.000 Legale

Legal sind seit der EU-Erweiterung im Mai 2004 knapp 10 000 Menschen aus den neuen EU-Ländern nach Österreich gekommen. Rund 4.000 arbeiten als Angestellte oder Arbeiter, mindestens ebenso viele sind als Selbstständige gekommen

Betroffen von der Zuwanderung sind die Ballungsgebiete wie Wien und die Grenzregionen wie das Burgenland oder das Waldviertel. Die Grenzregionen sind für Pendler attraktiv, weil sie es nach Österreich nicht weit haben. Andrerseits gibt es gerade in diesen Regionen viele arbeitslose Österreicher.

Wie viele wollen überhaupt nach Österreich?

Diese Frage hat die Wiener Lazarsfeldgesellschaft Menschen in Ungarn, Tschechien und der Slowakei gestellt. Das Ergebnis: Auswandern würden vor allem junge und gebildete Leute. Insgesamt wären laut dieser Umfrage-Studie rund 300.000 Menschen bereit, nach Österreich zu kommen. Nur wenige von ihnen haben bisher konkrete Pläne gemacht, sagt Studien-Co-Autor Marc Bittner. Konkret: Nur ein Prozent von ihnen haben sich schon für eine Stelle in Österreich beworben, Deutsch gelernt oder in Österreich eine Wohnung gesucht.

Warum das so ist, schildert Jana Vavreckova, Arbeitsmarktexpertin aus Prag: Die meisten Tschechen seien sehr heimatverbunden und nicht bereit, ihre Familien und Freunde zu verlassen. Auch die Sprache sei eine große Barriere. Laszlo Fekete vom Arbeitsamt ergänzt: Selbst innerhalb Ungarns sei es schwer, die Menschen zum Übersiedeln zu bewegen.

Österreichische Unternehmer, die Arbeitskräfte aus dem Osten suchen, würden aber auf jeden Fall fündig werden, meint Bittner. Sie müssten aber aktiv Arbeitskräfte suchen. Von selbst böten sie sich nicht an.

Welche Jobs sind gefragt?

In Österreich könne man viele Arbeitskräfte brauchen, meint Reinhold Mitterlehner von der Wirtschaftskammer. In der Forstwirtschaft, beim Transport, am Bau, im Tourismus, im Pflegebereich. Das aber seien weniger qualifizierte Arbeitskräfte, sagt Helene Sengstbratl vom Arbeitsmarktservice im Burgenland. Sie seien bereit, für wenig Geld viel zu arbeiten und auf Sozialleistungen wie die Bezahlung von Überstunden zu verzichten.

Allerdings würden das einige österreichische Unternehmen ausnützen. Auch die Arbeiterkammer kritisiert, dass oft Kollektivverträge etwa mit 20-Stunden-Beschäftigung vergeben werden, die Menschen dann inoffiziell aber weit mehr arbeiten.

Vergleiche mit "alten" EU-Staaten

Keine Angst vor der Zuwanderung aus dem Osten haben Großbritannien, Irland und Schweden: Sie haben als einzige der alten EU-Länder keine Übergangsfristen vereinbart. Ihre Erfahrungen seit der EU-Erweiterung sind unterschiedlich

170.000 Menschen aus den neuen EU-Ländern haben sich seit letztem Jahr allein in Großbritannien offiziell registriert. Ein Großteil von ihnen war allerdings schon vor der EU-Erweiterung dort. Neu zugewandert sind aber dennoch etwa 100.000 Menschen. In Österreich sei nicht mit einer ähnlich hohen Zuwanderung zu rechnen, glaubt Gudrun Biffl, weil in Irland und Großbritannien extremer Arbeitskräftemangel herrsche.

Schweden hat mit Österreich eines gemeinsam: Es liegt nahe am Osten. Polen, Litauer und Letten - alles neue EU-Mitglieder - können Schweden in wenigen Stunden mit dem Schiff erreichen. Seit letztem Jahr sind aus diesen Ländern rund 5.500 Menschen nach Schweden gekommen. Die Zuwanderung sei nicht das Problem, sagt Veronika Bard Bringeus von der Schwedischen Botschaft. Ein Problem sei vielmehr, dass Unternehmer aus dem Osten, die in Schweden arbeiten, ihre eigenen Leute mitnehmen, die für weniger Geld arbeiten als die Schweden. Schwedische Firmen hätten deshalb einen Wettbewerbsnachteil.

EU-Dienstleistungsrichtlinie

In der EU kursiert das Thema unter dem Begriff Dienstleistungsrichtlinie. Auf EU-Ebene wird gestritten, ob eine Firma, die in einem anderen EU-Land Mitarbeiter beschäftigt, diese nach den Gesetzen ihrer Heimat anstellt, oder nach den Gesetzen des Landes, in dem der Auftrag erfolgt. Unternehmen im Osten zahlen ihren Angestellten weniger Sozialleistungen und können daher ihre Leistung billiger anbieten als schwedische oder österreichische Unternehmen.

Wenn die Übergangsfristen spätestens 2011 fallen, rechnet das WIFO in Österreich mit einem Anstieg von bis zu 13.000 Arbeitskräften aus dem Osten pro Jahr. Aber nicht die Zuwanderung von Arbeitskräften sei das Problem, meint Gudrun Biffl. Wenn die Übergangsfristen fallen, wird vermutlich die Konkurrenz durch Unternehmer aus dem Osten stärker, die in Österreich eine billige Dienstleistung anbieten und gar nicht hier leben.

Problem ungleicher Löhne noch ungelöst

Die Dienstleistungsrichtlinie war Knackpunkt des EU-Gipfels im März dieses Jahres. Noch immer streiten Europas Regierungschefs darüber, wie sie den Markt für Dienstleistungen öffnen können, ohne die sozialen Standards in Europa auf's Spiel zu setzen.

Die Übergangsbestimmungen zum Arbeitsmarkt lösen jedenfalls das Problem ungleicher Löhne nicht; sie verschieben es bestenfalls. Und wenn billigere Arbeitskräfte nicht zu uns kommen dürfen, dann wandern die Firmen eben mitsamt den Arbeitsplätzen ab - dorthin, wo's billiger ist.

Mehr zum Thema Wirtschaft in Ö1 Inforadio

Download-Tipp
Ö1 Club-Mitglieder können die Sendung am Ende der Live-Ausstrahlung im Download-Bereich herunterladen.

Links
PLG - Paul Lazarsfeldgesellschaft für Sozialforschung
WIFO - Wirtschaftsforschungsinstitut
AMS Burgenland - Arbeitsmarktforschungsinstitut
WIIW - Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche