Video, Selbstlügen und Völkermord

Ein trauriges Jubiläum

Eine vor kurzem veröffentliche Videoaufzeichnung hat die Menschen in Ex-Jugoslawien schockiert. Die serbischen Medien haben eine Aufzeichnung, die als Beweismaterial gegen Slobodan Milosevic vorgelegt wurde, ihrem breiten Publikum gezeigt.

Auf den Videoaufzeichnungen, die serbischen Medien vor kurzem ausstrahlten, ist klar zu sehen, wie serbische Soldaten der paramilitärischen Einheit "Die Skorpions" sieben junge Muslime in der Umgebung von Srebrenica mit einem Lastwagen transportierten, um sie nachher kaltblütig, aus nächster Nähe, hinzurichten.

Das Gedenken

Am 11. Juli wird in Bosnien und Herzegowina ein trauriges Gedenken stattfinden. An diesem Tag, vor genau zehn Jahren, sind im Massaker von Srebrenica rund 8.000 Menschen ums Leben gekommen. Srebrenica gilt, neben Vukovar und Mostar, als ein schreckliches Beispiel, ein Symbol, für alles, was sich in den Balkankriegen von 1991 bis 1995 abgespielt hat.

Noch heute, zehn Jahre danach, sind nicht alle Opfer identifiziert; Verwandte warten verzweifelt auf die Durchführung ihrer Trauerzeremonien. Zehn Jahre danach sind General Ratko Mladic und sein politischer Chef Radovan Karadzic - die beiden wurden vom Kriegsverbrechertribunal in Den Haag als für das Srebrenica-Massaker Verantwortliche angeklagt - noch immer auf freiem Fuß.

Die Mehrheit der Bewohner der jeweiligen Ethnien feierte in all diesen Jahren diese Männer und ähnliche, mehr oder weniger kleinere Un-Täter, als Volkshelden, die nicht an Den Haag ausgeliefert sein sollten. Noch schlimmer ist die Tatsache, dass noch immer viele daran zweifeln, dass so etwas überhaupt geschehen ist. Man verkleinert die Zahl der Opfer und man mildert so ihre eigene Verantwortung. Die Hauptklägerin des Tribunals in Den Haag, Carla del Ponte, ist eine der von allen Seiten meist gehassten Persönlichkeiten.

Die Karikaturen von del Ponte, die immer wieder in Zeitungen veröffentlicht werden, dienen gemeinsam mit dem ständigen In-Frage-Stellen der Rolle des Gerichthofes dem Zweck, die Konfrontation mit dem Kriegsverbrechen selbst auf Distanz zu halten.

Doch alle sind sich in einem einig, dass mehr als 200.000 Menschen in Ex-Jugoslawien umgebracht worden sind, nur die Frage, wer das gemacht hat, bleibt meistens offen. Man konnte nicht begreifen, dass "unsere Helden" für die Grauentaten fähig waren.

Gewöhnliche Leute
Nach der Veröffentlichung des Videobandes sind in Serbien und im benachbarten Kroatien einige Menschen, die vermutlich während des Krieges Mitglieder der "Skorpione" waren, verhaftet worden. Bis heute lebten sie als ganz "normale" Menschen - einige waren sogar auch als Polizisten tätig. Die Leute wundern sich, wie es möglich ist, dass sich unter ihren Nachbarn so kaltblutige Mörder verstecken können. Die kroatische Schriftstellerin Slavenka Drakulic hat in ihrem Buch "Keiner war dabei" die Frage über die "gewöhnlichen Leute", die zu "unbeschreiblichen" Taten fähig sind, dargestellt.

Szenenwechsel
In seinen schon klassischen Werken "Belfast Diary. War as a way of life" und "Unspeakable Acts, Ordinary People. The Dynamics of Toruture" versuchte der amerikanische Journalist John Conroy mehr Licht in die Problematik der Gewalt bei Menschen zu zeigen, die sonst nicht zu Aggression neigen. Im zweiten Buch hat Conroy die Untersuchungsmethoden in einer Chicagoer Polizeistation und die Razzien, die durch die israelische Armee durchgeführt worden sind und mit einem Fall von Folter im Nord Irland zu tun haben, beschrieben.

John Conroy bringt uns in das Innere von den Opfern und von den Tätern und zur sichtbaren Gleichgültigkeit der Nebenstehenden. Er zeigt, wie die gewöhnlichen Leute zu Folterern wurden, wie die Gesellschaft Berechtigungen konstruiert, um die Tortur zu rechtfertigen und wie viel Potenzial in jedem von steckt, um unbeschreiblich zu handeln. (Quelle: Buchcover)

Bystanders
Am Ende des Buches befasst sich John Conroy mit der Rolle der "bystanders" - "die unbeteiligten Zuseher". Die Psychologen, so Conroy, sind zum Entschluss gekommen, dass die Menschen dazu tendieren, die anderen anzuschauen, um ihre eigenen Taten zu definieren. Jemand der sieht, dass eine bedrohliche Situation präsent ist, sucht in seiner Umgebung die Richtungen für seine eigene Aktion. Im Falle, dass alle anderen ruhig und indifferent scheinen, schließt der Beteiligte daraus, dass die Situation überhaupt nicht bedrohlicht ist. Die Gruppe definiert die Geschehnisse und die meisten Menschen folgen, wie den ausgesprochenen so auch den unausgesprochenen Normen der Gruppe.

Buch-Tipps
John Conroy, "Belfast Diary. War as a way of live", Beacon Press, ISBN 0807002178

John Conroy, " Unspeakable Acts, Ordinary People. The Dynamics of Torture", Vision Paperbacks, ISBN 901250490

Slavenka, Drakulic, "Keiner war dabei", Zsolnay, ISBN 3552052909

"Srebrenica. Ein Prozess", Dokumente aus dem Verfahren gegen General Radislav Krstic vor dem Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien in Den Haag, Edition Suhrkamp, ISBN 3518122754

Links
sebrenica.nl (Dokumentation in Englisch)
UNO - ICTY (Internationaler Strafgerichtshof in Den Haag)
UNO - ICTY Anklage gegen Karadzic und Mladic
Gesellschaft für bedrohte Völker - Der Fall von Srebrenica.
FAZ - Nicht Hollywood, sondern brutale Wahrheit