Das Enneagramm - die Weisheitslehre des Richard Rohr

Die neun Gesichter der Seele

Das Enneagramm - die Lehre der neun Seelenstrebungen - eine uralte spirituelle Weisheitslehre, die vom Franziskanerpater Richard Rohr wieder entdeckt worden ist, führt Sie zur Selbsterkenntnis. Wie? Dazu verhilft Ihnen die Sendung "Logos“ in zwei Teilen.

Der Franziskanerpater interpretiert seine Lehre

Meditation, Askese, geistliche Begleitung, Erkenntnis und mitmenschliches Handeln sind traditionelle religiöse Methoden, sich vom illusionären Ich zu befreien und sich tiefer mit der Quelle des Seins zu verbinden.

Ein Weg dazu ist das Enneagramm, die Lehre der neun Seelenstrebungen, ein uraltes spirituelles Modell der Selbsterkenntnis, der inneren Heilung und des seelischen Wachstums - wieder entdeckt vom amerikanischen Franziskanerpater Richard Rohr.

Vom Ursprung zur Jetztzeit

Die Wurzeln des Enneagramms sollen bis in die vorchristliche Zeit der Pythagoräer zurückreichen, zumindest bis ins frühe Mönchtum der so genannten "Wüstenväter“. Von der islamischen Weisheitstradition des Sufismus mündlich überliefert, beeinflusste diese Weisheitslehre im Mittelalter den christlichen Raum, wie aus den Schriften des Franziskanertheologen Ramon Lull hervorgeht. In seinem Buch "Ars Magna“ findet man das Enneagramm mit seinen neun Lastern und neun Tugenden, die dort in Beziehung mit den Wurzelsünden gesetzt werden, den so genannten christlichen Todsünden.

Dazwischen in Vergessenheit geraten, taucht das Enneagramm erst Anfang des 20. Jahrhunderts wieder als Typenlehre auf - und zwar fast zeitgleich - sowohl in esoterischen, als auch in christlichen Kreisen. Einer der Wiederentdecker ist der Franziskaner Richard Rohr, der gemeinsam mit dem evangelischen Theologen Andreas Ebert das Buch "Das Enneagramm. Die neun Gesichter der Seele“ geschrieben hat. 1990 in Erstauflage erschienen, entwickelte es sich binnen kurzer Zeit zum Bestseller und stieß bei hunderttausenden Menschen mit ganz unterschiedlichem weltanschaulich-religiösen Hintergrund auf solche Resonanz, dass Seminare und Tagungen nur so boomten.

Die Grundaussagen des Enneagramms

Ausgangspunkt dieser Weisheitslehre sind die Sackgassen, Abhängigkeiten, Süchte, in die Menschen sich verstricken können, wenn sie versuchen, sich vor inneren und äußeren Bedrohungen zu schützen. Das Enneagramm will helfen, die eigene Selbstwahrnehmung zu läutern, ehrlicher gegenüber sich selbst zu werden, das kleine Ego zu überwinden und das wahre Selbst in einem herauszuschälen.

"Ennea“ heißt Griechisch "neun“, "gramma“ bedeutet "Figur oder Zeichen“. Das Enneagramm unterteilt Menschen in neun verschiedene Typen. Nach seiner Lehre ist jeder Mensch von der Energie eines bestimmten Typus hauptsächlich bestimmt und entfaltet von daher seine individuelle Ausprägung.

Im Folgenden die Kurzbeschreibung der einzelnen Typen. Erkennen Sie sich selbst!

Die ersten vier Typen des Richard Rohr

Das Leben der Einser-Typen wird von der Suche nach Vollkommenheit beherrscht. Und das ist zugleich ihre große Versuchung. Der Zorn ist die Wurzelsünde: Sie sind zornig, weil die Welt nicht vollkommen ist. Die Falle, aus der sich unerlöste Einser befreien müssen, ist ihre Empfindlichkeit. "Anstatt über alles zu urteilen, ist es ihre Aufgabe, sich selbst und andere anzunehmen, wie sie sind“, sagt Richard Rohr.

Das Handeln der Zweier-Typen schaut zunächst sehr tugendhaft aus. Zweier haben als Kinder gelernt: "Ich werde geliebt, wenn ich zärtlich, liebevoll, verständnisvoll und hilfsbereit bin und meine eigenen Bedürfnisse zurückstelle“. Die große Versuchung der Zweier-Typen besteht darin, ständig anderen zu helfen und auf diese Weise sich selbst auszuweichen. Die Identität der Zweier liegt in den Bedürfnissen und Wünschen anderer. Die Wurzelsünde beschreibt Richard Rohr als Stolz:. "Zweier merken nicht, dass sie mit ihrer Zuwendung andere manipulieren und abhängig machen. Wenn ein Zweier-Typ demütig seine wahren Motive des Handelns erkennt, nämlich dass er gibt, um zu bekommen, dann ist Reifung möglich".

Tüchtigkeit, Leistung ist die große Versuchung von Dreier-Typen. Sie wollen immer Sieger sein. Ihre größte Angst ist es, zu versagen, zu scheitern, zu verlieren. Sie stehen unter Erfolgsdruck. Richard Rohr beschreibt die Wurzelsünde der Dreier als Lüge und Betrug. Um erfolgreich zu sein, prahlen und lügen sie. Reife Dreier sind sich selbst und anderen gegenüber ehrlich geworden und haben zur Wahrheit gefunden.

Vierer wiederum haben Probleme mit ihrer Echtheit. Sie vermeiden das Gewöhnliche. Ihr Abwehrmechanismus ist die künstlerische Sublimierung. Sie drücken ihre Gefühle nicht direkt aus, sondern mithilfe von Symbolen, Ritualen und dramatischer Inszenierung. Ihre Wurzelsünde ist der Neid. Sie sehen sofort, wer einfacher, natürlicher, schöner oder gesünder ist als sie. Ihre Falle ist die Schwermut, aber wenn sie reifen, ist ihre Gabe eine große Ausgeglichenheit.

Die restlichen fünf Typen

Für Fünfer-Typen ist Wissen die Versuchung, weil Wissen für sie Macht bedeutet. Sie wollen sich mit akkumulierten Informationen für das Leben wappnen, und da gibt es kein Genug. Einer ihrer Abwehrmechanismen ist der Rückzug. Sie scheuen emotionales Engagement und fürchten sich vor konkreter Verbindlichkeit. Fünfer sind keine Geber; ihre Wurzelsünde ist die Habsucht, und ihre Falle ist der Geiz. Lieben lernen ist eine der großen Herausforderungen für die Fünfer; gereifte Fünfer haben die Gabe der Objektivität.

Die Sechser-Typen sind zwanghaft schutz- und sicherheitsfixiert. Ihre Wurzelsünde ist die Furcht. Sie halten sich penibel an Normen, Regeln und Gesetze und achten darauf, dass niemand die festgelegten Abmachungen bricht. Ihre Falle ist die Feigheit. Gereifte Sechser wiederum zeigen Zivilcourage und besonderen Mut.

Siebener haben ein übertriebenes Bedürfnis nach Spaß und Good Vibrations, mit dem sie Leid und Schmerz ausweichen wollen. Sie übertreiben alles. Ihre Wurzelsünde ist die Maßlosigkeit: "Erlöste Siebener haben die Genusssucht durch eine nüchterne Freude überwunden", sagt Richard Rohr.

Achter-Typen sind fasziniert von Stärke und Macht. Sie vermeiden Schwäche, Hilflosigkeit und Unterlegenheit. Ihre Stärke - der Kampf für Gerechtigkeit - ist zugleich ihre größte Versuchung. Denn die Achter tendieren zur Rache und Vergeltung, weil sie das Böse selbst bestrafen wollen. Die Wurzelsünde der Achter beschreibt Richard Rohr als die Schamlosigkeit - das Bestreben, andere Menschen zu entwürdigen und für ihre eigenen Zwecke zu missbrauchen. Deshalb gehört es zur Lebensaufgabe der Achter, sich mit der Machtfrage auseinanderzusetzen. Gereifte Achter haben Erbarmen gelernt und setzen sich für Schwächere ein.

Die Neuner schließlich nennt Richard Rohr die “Tausendsassas“. Neuner-Typen können Vieles, aber sind nirgendwo Meister. Sie können viele Fähigkeiten haben, aber keine ist hervorragend. "Die Versuchung der Neuner besteht darin, sich selbst und andere herabzusetzen“, sagt Richard Rohr. Ihr Abwehrmechanismus gegenüber den Forderungen der Welt heißt Betäubung, ihre Falle Bequemlichkeit, ihre Wurzelsünde ist die Faulheit. Doch erlöste Neuner-Typen sind fähig, sich zu fokussieren und zu engagieren.

Was lässt einen Menschen reifen?

Was hilft auf diesem Weg der Selbsterkenntnis bei allen neun Typen des Enneagramms? Für Richard Rohr braucht es dazu empirisch oft eine Erfahrung der Erniedrigung:

"Irgendwie muss einem klar werden, dass man durch sein Verhalten sich selbst und andere verletzt und zerstört. Das einzusehen, kann sehr demütigend sein. Doch wenn man sein ganzes Leben damit verbringt, Demütigungen zu vermeiden, wird man nicht reif werden. Dann wird man auch sicher nicht bekehrt durch das Enneagramm.“

Mehr zur Selbsterkenntnis im zweiten Teil dieser "Logos"-Serie am kommenden Samstag, dem 16. Juli, bei der es um die Frage geht, wie man mithilfe des Enneagramms sich selbst und andere besser und tiefer erkennt und wie man dabei spirituell wachsen kann.

Mehr zu Religionssendungen im ORF in religion.ORF.at

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Buch-Tipp
Richard Rohr und Andreas Ebert, "Das Enneagramm. Die neun Gesichter der Seele", Claudius, ISBN 3532623102

Links
Das Enneagramm
Claudius Verlag - Die Enneagramm-Erfolgstitel