Kritikpunkte und Präventionsmaßnahmen

Selbstmord in Schubhaft

Der Selbstmord des Algeriers Ben Habra Sahroui in einem Wiener Schubhaft-Gefängnis lässt die Justiz in ein schlechtes Licht rücken. Welche Umstände führten dazu, dass er sich das Leben nahm? Was wird in der Schubhaft zur Suizidprävention unternommen?

Heinz Patzelt von Amnesty International Österreich

Im vergangenen Februar nahm sich der Algerier Ben Habra Sahroui in einem Wiener Schubhaft-Gefängnis das Leben. Die Tat wirft ein bezeichnendes Licht auf die Institution selbst. Selbstmordversuche, Selbstbeschädigungen und Hungerstreiks sind vor allem in Wien im Ansteigen. Dennoch zeichnen sich nach der jüngsten Neuregelung im neuen Asyl- und Fremdenpolizeigesetz deutliche Verschärfungen ab.

Verschärfungen notwendig

"Es ist eine Tatsache, dass sich in den Schubhaft-Gefängnissen jährlich tausend Menschen durch Hungerstreiks freipressen. Dann werden sie entlassen und können in den nächsten zwei Jahren nicht mehr in Schubhaft genommen werden. Sie tauchen dann unter und sind oft auch in kriminelle Handlungen verwickelt", begründet Innenministerin Liese Prokop die verschärften Maßnahmen im neuen Asylgesetz.

Misshandlungsvorwürfe und Vertuschungsversuche am Beispiel des dubiosen Selbstmordes von Ben Habra Sahroui in einem Wiener Schubhaft-Gefängnis lassen die Justiz allerdings in ein schlechtes Licht rücken.

Wie es zum Selbstmord kam

Gerade hat Ben Habra Sahroui eine zweijährige Freiheitsstrafe in Innsbruck verbüßt. Am Tag nach seiner Entlassung fährt er nach Wien, um seine wieder gewonnene Freiheit zu feiern. Allerdings hat er keine Aufenthaltsgenehmigung in Österreich. In den Morgenstunden ist er in der Wiener Innenstadt auffällig geworden. Sahroui ist alkoholisiert, als es zu einer gewalttätigen Festnahme durch die Polizei kommt. Nach einer ambulanten Behandlung im Wiener AKH kommt der Algerier in Schubhaft. Es ist dies nicht sein erster Schubhaftaufenthalt. Sahroui tritt in Hungerstreik, er weiß aus vorhergegangenen Schubhaftaufenthalten, dass er so frei kommen kann.

Ben Habra Sahroui wird regelmäßig von einer Schubhaftbetreuerin des "Verein Menschenrechte“ besucht. Einen Tag vor seinem Tod berichtet sie, dass der Klient nervös und aufgebracht gewesen sei, dass er, nachdem er soeben eine zweijährige Haftstrafe abgesessen hat, nun erneut in einem Gefängnis sitzen muss. Am Tag darauf wird Sahroui erhängt in seiner Zelle aufgefunden. Der Obduktionsbericht der Gerichtsmedizin bestätigt später Erhängen als Todesursache. Ein Fall, an dem zahlreiche Probleme der Schubhaft deutlich werden.

Beamte in der Kritik

Unmittelbar nach der Tat werden weder der Menschenrechtsbeirat noch die Öffentlichkeit informiert. Drei Tage später unternimmt die grüne Menschenrechtssprecherin Terezija Stoisits eine schon länger geplante Begehung des betreffenden Schubhaftgefängnisses Hernalser Gürtel. Sie wird von einer Delegation der Polizei und des Innenministeriums empfangen. Es werden Fragen rund um Hungerstreik und Selbstbeschädigung erörtert, aber der Selbstmord wird mit keinem Wort erwähnt: "Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass es verschwiegen wurde, weil es etwas zu verschweigen gibt“, so Stoisits. Sie tätigt eine parlamentarische Anfrage an die Innenministerin, die sich auch auf die gewalttätige Festnahme Sahrouis bezieht.

In der schriftlichen Beantwortung durch die Innenministerin heißt es: "Sahroui wurde am 19. 2. 2005 im AKH ambulant wegen einer etwa fünf Zentimeter langen Rissquetschwunde unter dem Unterkiefer rechts behandelt und mit vier Stichen genäht. Sahroui gab anlässlich seiner Befragung gegenüber der Amtsärztin über den Hergang der Verletzung an, dass er nicht wisse, woher diese Verletzung stamme. Bei einer weiteren Befragung gab er an, dass ihn ein Beamter mit dem Gesicht gegen den Stuhl gedrückt habe und dies am Kommissariat Deutschmeisterplatz passiert sein soll. Weiters war ein Arm des Betroffenen nach der gewalttätigen Festnahme "wie gelähmt“, so die Schubhaftbetreuerin. Der Algerier habe nicht einmal die Tastatur ihres Handys bedienen können.

Dubiose Untersuchungen?

Die mutmaßlichen Polizeiübergriffe werden in der Folge vom BBE, vom "Büro für besondere Ermittlungen“ untersucht, wie der ministeriellen Beantwortung zu entnehmen ist - eine Institution, die von Menschenrechtsorganisationen wie "Amnesty International" seit langem kritisiert wird. "Polizisten beurteilen nach nicht sehr transparenten Regeln das Verhalten ihrer Kollegen“ - so Amnesty-Generalsekretär Heinz Patzelt.

Durch das wochenlange Schweigen der Polizei fühlt sich auch der Menschenrechtsbeirat düpiert. Diesen Beirat stellen Menschenrechtsexperten, die die Tätigkeit der Sicherheitsexekutive unter dem Gesichtspunkt der Wahrung der Menschenrechte überprüfen. Der Menschenrechtsbeirat veröffentlicht Berichte und unterbreitet dem Innenministerium Verbesserungsvorschläge.

Manfred Nowak, Beiratsmitglied sowie Direktor des Ludwig Boltzmann Institutes für Menschenrechte, nimmt diesen Selbstmord zum Anlass für einen öffentlich nicht zugänglichen Dringlichkeitsbericht des Beirats an das Ministerium: "Wir hätten uns schon eine andere Form der Transparenz von Seiten der Polizei erwartet. Ich hoffe, dass das in Zukunft nicht mehr vorkommen wird“.

Schubhaftbetreuung unter Beschuss

Auch "Menschenrechte Österreich", die ministeriumsnahe Schubhaft-Betreuungsorganisation, gerät aufgrund ihres Schweigens in ein schiefes Licht: "Hätten wir den Eindruck gehabt, dass hier etwas vertuscht werden soll, hätten wir uns an den Menschenrechtsbeirat gewandt“, so ihr Leiter Günther Ecker.

Der Verein ist in der NGO-Szene seit langem unter Beschuss: "Hier wäre eher der Begriff GONGO - Government Organized NGO angebracht“, sagt Menschenrechtsexperte Walter Suntinger. “Das ist Etikettenschwindel“. Rechtsberatung für Schubhäftlinge würde der Verein explizit nicht machen, so dass die Schubhäftlinge keinerlei systematischen Zugang zu einer professionellen Rechtsberatung haben. Und auch in seinen sonstigen Positionen würde der Verein primär Staatsinteressen vertreten. Beispielsweise bekennt sich ihr Leiter Günther Ecker zur Zwangsernährung für Schubhäftlinge, die ja im neuen Asylgesetz vorgesehen ist: "Nach einer Übergangsphase mit einigen Zwangsernährungen wird allein die gesetzliche Möglichkeit ausreichen, um in der Praxis keine Hungerstreiks mehr zu haben.“

Menschenrechtsexperten hingegen wie etwa Heinz Patzelt von Amnesty International Österreich setzen die Zwangsernährung der Folter gleich: "Einen Menschen an ein Bett fesseln, ihm einen Schlauch durch den Rachen stoßen, ein dermaßen entwürdigender Vorgang ist unvereinbar mit jeglichen Grundrechten".

Teresa Arrieta erhielt für die Recherche zur Suizidprävention den Leopold-Ungar-Medienpreis der Caritas.

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Links
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