Die Verantwortung in der zeitgenössischen Gesellschaft

Die Zähmung des entfesselten Prometheus

Die Globalisierung hat einen Paradigmenwechsel in der Soziologie verursacht. Sprachen Soziologen früher von der "Erlebnisgesellschaft", formiert sich nun eine "neue Ernsthaftigkeit". Schattenseiten der Globalisierung in den Forschungen.

Ein Gespenst geht um in Europa: Es heißt globalisierte Gesellschaft und verbreitet Angst. Die Gründe dafür: wachsende Arbeitslosigkeit, steigende Verarmung, drohender Verlust der Arbeitslosenunterstützung oder Kürzung von Sozialleistungen, die Verlängerung der Lebensarbeitszeit.

Das verbreitete Gefühl der Verunsicherung, ja der Angst, führt der in München lehrende Soziologe Ulrich Beck auf das Scheitern der "Ersten Moderne" zurück. Als "Erste Moderne" versteht er die "guten, alten Zeiten" des funktionierenden Sozialstaats.

Verantwortung

Der Begriff der Verantwortung spielt in der europäischen Geistesgeschichte nur eine marginale Rolle. Im Mittelalter hieß Verantwortung, sich vor einem weltlichen oder göttlichen Gericht zu rechtfertigen. Man musste eine begangene Tat argumentativ begründen; die Folgen der Tat spielen keine Rolle.

Immanuel Kant verstand unter Verantwortung, dass man sich aus der selbst verschuldeten Unmündigkeit befreien soll. Diese Aufforderung zur Emanzipation des Menschen - der zentrale, viel gepriesene Leitsatz der Aufklärung - ist mittlerweile kein unumstößliches Dogma mehr.

Verantwortungsethik

Im 20. Jahrhundert spielte die Verantwortungsethik bei dem Soziologen Max Weber eine wichtige Rolle. In seinem 1919 erschienenen Werk "Politik als Beruf" stellte er die Verantwortungsethik der Gesinnungsethik gegenüber.

Der Gesinnungsethiker handelt ausschließlich nach seinen moralischen, politischen oder religiösen Überzeugungen, ohne Rücksicht auf die Konsequenzen seines Denkens. Der Verantwortungsethiker bezieht die Folgen seines Handelns in seine Entscheidungen ein; er ist für Weber der Vertreter einer Weg weisenden Ethik.

"Das Prinzip Verantwortung"

Webers Verantwortungsethik wurde von Hans Jonas aufgenommen und weiter entwickelt. Sein Hauptwerk "Das Prinzip Verantwortung" fordert dazu auf, nicht nur die Folgen für das eigene Handeln zu übernehmen, sondern auch für die künftigen Generationen.

Dies sei angesichts "eines entfesselten Prometheus, dem die Wissenschaft und Wirtschaft nie gekannte Kräfte gab," umso wichtiger. Sein Buch verstand Jonas als ein Handbuch, Verantwortung in allen Lebenslagen zu tragen. So finden sich Kapitel über eine allgemeine Theorie der Verantwortung, über eine Verantwortung der Eltern gegenüber ihren Kindern, über die Verantwortung des Politikers, des Künstlers und des Wissenschafters.

Globalisierung

Die soziale Verantwortung thematisiert Hans Jonas kaum. Verantwortung für diejenigen, die weniger haben, ist nicht unbedingt das Hauptanliegen der globalisierten Gesellschaft. Sie wird von den Managern transnationaler Konzerne gelenkt.

Der an der University of Berkeley lehrende Manuel Castells hat in seinem Werk "Das Informationszeitalter" diese immer mächtiger werdende Elite als Betreiber von Netzwerken beschrieben: Sie dirigieren die Aktienmärkte, lenken Finanzströme und bedienen sich der ihr wohlgesonnenen Medien. Das Ziel ist eine ständige Akkumulation von Kapital. Da hat sich seit Karl Marx nichts geändert. Nur die Methoden der Akkumulation sehen heute anders aus.

Konsequenzen

Verloren gegangen ist dabei die Solidarität für marginalisierte Menschen, für die die Aktivisten der Französischen Revolution oder die Rebellen von Mai 68 kämpften. Die Soziologin Marina Fischer-Kowalski vom Institut für interdisziplinäre Forschung und Fortbildung in Wien sieht in der Entsolidarisierung ein bestürzendes Ergebnis der globalisierten Gesellschaft.

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