Biologie und Psychiatrie
Die Psyche
Beim 8. Weltkongress für Biologische Psychiatrie wurden eine Reihe neuer Erkenntnisse präsentiert, die Hoffnung geben, dass manche psychiatrische Erkrankung in Zukunft zielgerichteter behandelt oder sogar verhindert werden kann.
8. April 2017, 21:58
Depression, Zwangs- und Angststörungen, Schizophrenie und Suchterkrankungen: Die psychiatrischen Erkrankungen nehmen weltweit zu. So werden Depressionen nach Schätzungen der WHO, der Weltgesundheitsorganisation, schon bald die zweithäufigsten Erkrankungen nach den Herz-Kreislauferkrankungen sein.
Der Blick ins Gehirn
Während man lange Zeit annahm, Störungen wie Schizophrenie, Angsterkrankungen oder Depression seien nur auf psychologische Ursachen zurück zu führen, begann sich Mitte der 1970er Jahre die Erkenntnis durchzusetzen, dass biologische Mechanismen in der Gehirnphysiologie für die Entwicklung dieser Störungen verantwortlich sind - dass die Ursachen dieser Störungen im Gehirn zu suchen sind.
Durch die Fortschritte im Bereich der Molekulargenetik und der Bild gebenden Gehirnforschung - des "brain imaging" - können heute unter anderem verminderte oder gesteigerte Aktivitäten in unterschiedlichen Hirnarealen, ein Defizit an Nervenschaltstellen oder minimale Variationen an Genen als Ursache für psychiatrische Erkrankungen oder Störungen ausgemacht werden.
Entstehungsorte psychiatrischer Krankheiten
So zeigen sich bei der Schizophrenie ein Verlust an Hirnsubstanz und damit erweiterte Ventrikel vor allem in der linken Hirnhälfte und eine zusätzliche Aktivierung der Eintrittspforte für Geräusche, durch die sich die akustischen Halluzinationen erklären lassen.
Bei überängstlichen und depressiven Menschen sieht man ein Defizit an Hirnsubstanz im so genannten Mandelkern und im Cingulum, das auf eine kleine Variation an jenem Gen, das für das Seroton-Transporter-Protein codiert, zurück zu führen ist.
Und so gibt es klare Hinweise dafür, dass Abweichungen am so genannten MAOA-Gen das Entstehen einer aggressiven und gewalttätigen Persönlichkeitsstruktur begünstigen kann - vor allem, wenn die frühkindliche Entwicklung durch Misshandlungen beeinträchtigt ist.
Neue Erkenntnisse
Beim 8. Weltkongress für Biologische Psychiatrie, der vergangene Woche in Wien stattfand, wurden eine Reihe neuer Erkenntnisse präsentiert, die Hoffnung geben, dass die eine oder andere psychiatrische Erkrankung in Zukunft zielgerichteter und auch nebenwirkungsärmer behandelt werden kann und dass manche Störungen sogar verhindert werden können.
Wenn in den vergangenen Jahren eine stetige Zunahme der bipolaren Störungen (manisch-depressive Erkrankung) zu verzeichnen ist, so hat dies nach Ansicht von Experten unter anderem mit dem steigenden Konsum von Designer-Drogen (Amphetamine, Ecstasy etc.) zu tun.
Wiewohl nicht jeder Konsument dieser Substanzen früher oder später eine bipolare Erkrankung entwickelt, so weiß man heute, bei welcher genetischen Ausstattung, bei welchem Polymorphismus das Erkrankungsrisiko erhöht ist.
Genvariationen
Dass wir allesamt über den gleichen Gensatz verfügen, uns nichtsdestotrotz aber in vielen Aussehens- oder Verhaltensmerkmalen unterscheiden, das ist darauf zurück zu führen, dass die an sich gleichen Gene in Variationen vorliegen.
Das nennt man die funktionellen Polymorphismen. Solche Polymorphismen bestimmen auch, ob und wie ein Patient / eine Patientin auf ein Medikament anspricht. Doch auch wenn gerade die biologische Psychiatrie versucht, psychiatrische Störungen durch biologische Mechanismen zu erklären, so ist das, was uns Freud lehrte längst nicht out.
Dass negative Erfahrungen in der frühen Kindheit oder kritische life events auch im Erwachsenenalter zu Angst- und Zwangserkrankung oder zu Depression führen können, dem verschließt sich auch die biologische Psychiatrie nicht.
Biologische oder neurobiologische Erklärungen
Das eine sei eben das biologische oder neurobiologische Erklären psychiatrischer Erkrankungen, meinte beim Weltkongress für Biologische Psychiatrie Hans-Jürgen Möller von der Psychiatrischen Klinik der Ludwig-Maximilians-Universität München, das andere sei die Notwendigkeit, jede medikamentöse Therapie durch Psychotherapie oder nötigenfalls durch Psychoanalyse zu unterstützen, weil diese Erkrankungen immer multifaktorell bedingt seien.
Die genetische Veranlagung, die jemanden für eine psychiatrische Erkrankung anfällig macht, ist nur die eine Seite - die andere Seite sind die äußeren Faktoren, die letztlich zum Ausbruch der Erkrankung führen und die mitberücksichtigt werden muss, wenn man eine Heilung oder Linderung der Symptomatik erreichen will.
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8. Weltkongress der biologischen Psychiatrie