Intendantin Gaynor zum neuen "Festival Retz"

Die Grenzen in den Köpfen abbauen

"Wir leben heute in einem Europa, wo es nur noch wenige reale Grenzen gibt. Aber in den Köpfen existieren sie noch", so Kim Gaynor, Intendantin des neuen Festival Retz. Im Gespräch mit Ö1 erzählt sie über ihre Intentionen.

"Retz ist nur zwölf Kilometer von der tschechischen Grenze entfernt - und dieses Thema in all seinen Facetten ist ein wichtiger Aspekt. In Martinus 'Komödie auf der Brücke', mit der wir eröffnet haben, geht es auch darum, Grenzen zu überschreiten. Kunst hat hier eine ganz wichtige Rolle: Sie kann die Mauern in den Köpfen abtragen, sie kann Grenzen überschreiten. Wir leben heute in einem Europa, wo es nur noch wenige reale Grenzen gibt. Aber in den Köpfen existieren sie noch. Ich sehe hier einen ganz wesentlichen Teil unserer Arbeit, dazu beizutragen, dass diese Grenzen verschwinden", skizziert Kim Gaynor, Intendantin des neuen "Festival Retz", ihre Vorstellungen.

Eröffnet wurde das Festival mit einer gemeinsamen Lesung des tschechischen Ex-Präsidenten Vaclav Havel und des österreichischen Bundespräsidenten Heinz Fischer.

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Kim Gaynor, gebürtige Kanadierin, schloss ihr Studium als Kulturmanagerin an der Universität von York 1989 mit dem Magistertitel ab. Sie ist eine anerkannte Kulturmanagerin mit langjähriger internationaler Erfahrung auf den verschiedensten Gebieten der Kunst- und Kulturinstitutionen. Vor ihrer Übersiedelung nach Wien leitete sie als Generaldirektorin die "Opéra de Montréal", Kanadas größtes Opernhaus im französischsprachigen Raum.

Anlässlich des Starts des neuen Festivals hat Matthias Osiecki mit der künstlerischen Leiterin ein Gespräch geführt.

Matthias Osiecki: Die Idee zum Festival Retz, das heuer erstmals stattfindet, wurde sozusagen entlang der Thaya ergangen.
Kim Gaynor: Vor etwa einem Jahr haben Rudolf Berger und ich Peter Turrini und Silke Hassler kennen gelernt. Ich war davor noch niemals in Retz. Wir machten damals einen gemeinsamen Spaziergang entlang der Thaya hinüber nach Tschechien über jene Brücke, die man zur Zeit des Eisernen Vorhangs nicht passieren konnte. Und wir sprachen viel über die Vergangenheit dieser Region. Ich war sofort von der wunderschönen Landschaft begeistert und so kam der Gedanke: Wir müssen hier etwas gemeinsam machen. Die Brücke ist nun seit 1989 wieder geöffnet - um dieses Thema herum lässt sich doch die Programmatik für ein Festival bauen.

Sie haben innerhalb eines Jahres, also einer sehr kurzen Vorlaufzeit für ein Festival, ein vielfältiges Programm mit hochrangigen Künstlern wie u.a. Robert Menasse, Christoph Ransmayr, Christine Nöstlinger oder Hermann Beil realisiert.
Peter Turrini hat natürlich beste Kontakte zu den Schriftstellern. Rudolf Berger und ich kommen vom Musik- und Opernsektor. Also stellte sich die Frage: Wie können wir ein neues Programm mit Literatur und Musik entwickeln? Wir hatten Glück, denn alle eingeladenen Schriftsteller, Sänger und Musiker waren am Festival-Thema interessiert - und haben sofort zugesagt.

Ohne die nötigen Finanzmittel kann aber die beste künstlerische Idee nicht umgesetzt werden. Wie haben Sie dieses Problem gelöst?
Wir haben der Gemeinde Retz unsere Idee unterbreitet und gefragt, ob dafür Interesse bestünde - und es gab sofort ein Ja. Wir wurden aber nicht nur finanziell unterstützt, sondern haben auch andere wichtige Hilfe bekommen. Dann haben wir beim Land Niederösterreich angefragt und erhielten von Landeshauptmann Erwin Pröll die erforderlichen Mittel.

Schon der Beginn des Festivals konnte mit einem Höhepunkt aufwarten: Die gemeinsame Lesung von Vaclav Havel und Bundespräsident Fischer.
Die Idee kam von Peter Turrini. Er wusste, dass Vaclav Havel und Bundespräsident Fischer einander kennen und dass Präsident Fischer auch die Werke Havels kennt. So entstand die Idee, dass Havel aus seinen "Briefen an Olga", also einen sehr persönlichen Text, den er an seine damalige Frau aus dem Gefängnis schrieb, in seiner Muttersprache liest und Bundespräsident Fischer die deutsche Übersetzung. Ich war sehr glücklich, dass beide trotz ihres ausgefüllten Terminkalenders zugesagt haben.

Die erste Ausgabe des Festivals präsentiert zwar Werke tschechischer Künstler, aber - außer Vaclav Havel - gibt es keine Mitwirkenden aus dem Nachbarland.
Es gibt eine sehr starke Präsenz tschechischer Künstler, wenn es heuer auch keine Ausführenden gibt: Wir führen Martinus "Komödie auf der Brücke", Ullmanns im KZ Theresienstadt entstandene Oper "Der Kaiser von Atlantis" auf und es werden Texte von Vaclav Havel gelesen. Man darf nicht vergessen, dass wir am Beginn sind und ich freue mich natürlich, wenn in der Folge auch tschechische Künstler teilnehmen.

Aber die Kontakte funktionieren sehr gut - und es ist mir enorm wichtig, dass auch aus Znaim Besucher zu uns kommen. Erst jüngst hatte ich dort ein Pressegespräch, wir sind bei unseren Nachbarn sehr präsent: So gibt es auch auf tschechischer Seite zweisprachige Hinweise auf das Festival, unsere Homepage bietet eine tschechische Ausgabe und die Programmhefte beinhalten zweisprachige Inhaltsangaben. Außerdem gibt es ein Pilotprojekt: Wir sind das erste österreichische Festival, für das man in Tschechien Karten kaufen kann. Ich war mehr als positiv überrascht, als mir vor etwa zwei Monaten ein Tscheche per e-Mail mitteilte, dass er in Eigeninitiative eine Web Site für unser Festival gestaltet hat. Er wollte nicht s dafür haben, sondern es uns nur sagen.

Gibt es schon Reaktionen aus Znaim, welches Interesse es am "Festival Retz" gibt?
Es gibt Interesse, aber haben herausgefunden, dass unsere Kartenpreise für Tschechen zu teuer sind. Also haben wir sofort reagiert und in Tschechien die Preise um 20 Prozent reduziert. Das war natürlich hilfreich und brachte positive Reaktionen. Ich würde es als Erfolg sehen, wenn diesmal etwa 150 Besucher aus Tschechien kommen.

Peter Turrini hat ja hier in Retz seit geraumer Zeit seine Wahlheimat gefunden und wirkt auch beim Festival mit. Wird es von ihm auch ein Werk für das Festival geben?
Es war eine hervorragende Zusammenarbeit und Peter Turrini hat enorm viel für das Festival getan. Dieses Jahr ist er nur künstlerischer Berater, aber vielleicht wird er schon bald als Künstler präsent sein. Es gibt bereits Ideen, aber sie sind noch geheim. Als Wahl-Retzer liegt ihm diese Region jedenfalls sehr am Herzen, soviel kann ich sagen.

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