Eine ungewöhnliche Freundschaft

Gödel, Einstein und die Folgen

Das Einstein-Jahr nutzt der amerikanische Philosophieprofessor Palle Yourgrau, um Einsteins Freundschaft mit Kurt Gödel in Buchform aufzubereiten. So unterschiedlich die beiden Herren waren, so intensiv verband sie ihre "geistigen Höhenflüge".

Dass Albert Einstein eine lange Zunge hatte, gerne Geige spielte, die spezielle und allgemeine Relativitätstheorie formulierte, weiß jeder. Wer aber kennt Kurt Gödel? Er gilt als einer der bedeutendsten Logiker des 20. Jahrhunderts. Mit seinem so genannten "Unvollständigkeitssatz" bewies er, dass innerhalb großer Systeme wie der Arithmetik nicht alle Aussagen beweisbar oder widerlegbare seien. Man kann das auch so formulieren: Für jeden Plattenspieler gibt es mindestens eine Platte, die dieser nicht spielen kann.

Grundverschieden

Auf der Flucht vor dem Nationalsozialismus fanden Einstein wie Gödel ihr Exil am renommierten Institute for Advanced Studies an der Universität Princeton. Auf langen Spaziergängen wurden Probleme der Mathematik und der Physik besprochen. Beide Genies merkten alsbald, dass sie sich nicht nur geistig wunderbar ergänzten, sondern auch, dass sie auf intellektuellen Höhen lustwandelten, zu denen die meisten ihrer Kollegen keinen Zugang fanden.

Dabei waren sie sich alles andere als ähnlich. So schätzte der kraftstrotzende Einstein deutsche Küche, Gödel hingegen war klein und schmächtig, litt Zeit seines Lebens an schweren Depressionen und starb 1978 an Unterernährung. Yourgrau gelingt es in seinem Buch anhand persönlicher Eigenheiten, relevante Unterschiede festzumachen - etwa beim Lachen:

Wenn Einstein irgendetwas oder irgendjemanden komisch fand, stieg aus seinem Bauch wie aus einem Vulkan ein volltönendes Gelächter empor, das aus ihm heraus brach und den ganzen Körper beben ließ. (...) Gödel dagegen verfügte über ein leises, hohes Kichern, mehr ein Selbstgespräch über die Ironien des Universums als ein Lachen aus voller Kehle.

Viele Gemeinsamkeiten

Doch zwischen Einstein und Gödel gab es auch eine Menge an Gemeinsamkeiten. Der Deutsche und der Österreicher waren in Princeton einigermaßen isoliert, denn beide hatten ein starkes Interesse an klassischer Philosophie, einschließlich Metaphysik, und beide vertrauten der eigenen Intuition. So galten die zwei Europäer vielen am Positivismus geschulten Gelehrten in Princeton als geniale Spinner aus der guten alten Welt.

Man kann nicht alles verstehen

Palle Yourgrau versucht in seinem Buch "Gödel, Einstein und die Folgen" viele Ebenen zur Darstellung zu bringen und diese zu einem Ganzen zu verknüpfen: die Persönlichkeiten und Eigenheiten der beiden Genies, ihre Exilsituation und ihre Außenseiterrolle in den USA; schließlich die intellektuelle Vorherrschaft des Positivismus, wobei der Leser viele Denkansätze kennen lernt, etwa die von Ludwig Wittgenstein, Gottlob Frege, Rudolf Carnap, John von Neumann und Bertrand Russell.

Wahrscheinlich um seinen Lesern ein paar Momente des Ausruhens zu verschaffen, erzählt Yourgrau auch einige seichte Anekdoten und platte Bonmots aus der Umgebung von Einstein und Gödel. Das wäre nicht nötig gewesen, denn wer sich auf das Buch "Gödel, Einstein und die Folgen" einlässt, der muss wissen, dass er es nicht mit einer flockig leichten Thematik zu tun hat. Dabei nimmt Yourgrau den Leser erzählerisch geschickt bei der Hand und führt ihm plastisch die wissenschaftlichen Problemstellungen vor Augen - nur das Mitdenken kann er einem nicht abnehmen. Wenn der Autor Gödels Unvollständigkeitssatz genau erklärt, dann macht er seinen Lesern Mut: Man könne nicht alles, und vor allem nicht sofort verstehen.

Das Gödel-Universum

Bei Yourgrau erfährt man auch, was Gödel mit Einsteins Relativitätstheorie anstellte. Da die Gleichungen der allgemeinen Relativitätstheorie erlauben, alternative, also mögliche Universen zu dem unseren zu berechnen, entwickelte Gödel sein so genanntes "Gödel-Universum". Mit diesem bewies er Folgendes: Würde man mit annähernder Lichtgeschwindigkeit in die Zukunft steuern, so bewege man sich in Wahrheit in die Vergangenheit zurück. So etwas nennen Science-Fiction-Autoren "Zeitreise".

Gödel wollte damit eines nachweisen: Stimmt Einsteins Relativitätstheorie, dann gibt es keine Zeit im intuitiven Sinn, also keinen normalen Ablauf von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Was aber, wenn Einsteins Relativitätstheorie nicht stimmt? Mit dieser Frage entlässt Yourgrau seine Leser. Tja. Man muss nicht alles wissen und verstehen - vor allem nicht zum jetzigen Zeitpunkt. So bietet Palle Yourgraus Buch vielfältige Einblicke in das Denken der beiden Naturwissenschaftler, und dies auf anschauliche Weise. Das ist alles andere als eine kleine Leistung, die der interessierte Leser honorieren sollte.

Buch-Tipp
Palle Yourgrau, "Gödel, Einstein und die Folgen. Vermächtnis einer ungewöhnlichen Freundschaft", C. H. Beck Verlag 2005, ISBN 3406529143