Zwischen Unterstützung und Bevormundung
Richtig high!
Nicht Ratschläge oder gar Verbote sind es, die Jugendliche punkto Drogen hören wollen, sondern ehrliche Berichte über Erfahrungen der Eltern. Wiederholte Gespräche und sachliche Aufklärung statt Verteufelung, lautet der Rat der Präventionsexperten.
8. April 2017, 21:58
Neulich bei einem Grillfest fragte meine neunjährige Tochter bei der Verabschiedung eine Bekannte mit Bier in der Hand, ob sie betrunken sei. "Nein", sagte diese, obwohl die Frau einen gewissen Erheiterungsgrad nicht verbergen konnte und wohl besser mit (wenigstens) "Ich bin ein bisschen beschwipst" geantwortet hätte. Die Scham darüber vor Kindern berauscht zu sein bzw. offen darüber zu reden, dürfte tief in der Gesellschaft verankert sein.
Zwiespältige Haltung fördert Missbrauch
"Gerade diese gespaltene, ableugnende Haltung von Erwachsenen, vor allem der Eltern, bereitet den Weg des Missbrauchs von Suchtmitteln vor", erklärt der Leiter des Wiener Instituts für Suchtdiagnostik Ewald Höld. "Man sollte in einem solchen Fall selber zum Rausch stehen, aber immer wieder sein Konsumverhalten reflektieren."
Denn das nicht darüber Reden, das Tabuisieren begünstige eine Grauzone der Unsicherheit, die gerade Pubertierende mit hinein nehme. "Das fördert dann die Experimentierfreudigkeit, selber in eine solche Zwiespältigkeit zu kommen, was wiederum den Drogenmissbrauch extrem fördert", schließt der Psychiater.
Respektanz
"Wichtig ist es, anzuerkennen, dass die Jugendlichen auch mit Hilfe von Suchtgift-Substanzen versuchen, ihre Persönlichkeit herauszubilden". Es sei auch - so der Suchtexperte - mittlerweile eine anerkannte Geschichte, dass Panik und Verteufelung in Bezug auf Drogen nichts bringen:
"Je offener ich mit einem Jugendlichen in den Diskurs trete, desto eher gebe ich ihm die Chance, sich ohne Ramponierung seines Selbstwertgefühls mit der Problematik auseinander zu setzen." Wichtig sei auch der Hinweis, dass Substanzen wie Cannabis und Ecstasy nach wie vor illegal seien und bei Letzterem nicht immer klar sei, was überhaupt in der Pille enthalten sei.
Rausch-und Riskokompetenz fördern
"Wir wissen heute, dass Abschreckung in der Vorbeugung nichts bringt: Ganz im Gegenteil, sie erhöht sogar noch den Reiz - das hat die Fernsehwerbung schon lange erkannt", schreibt Gerald Koller in der von ihm editierten Aufsatzsammlung "Highmate. Erzählkreise zu Jugend Rausch und Risiko". Der Pädagoge fordert, Rausch- und Risikoerfahrungen als Mittel für persönliches Wachstum und gesellschaftliche Veränderung zu integrieren und weiterzuentwickeln:
"Menschen greifen nicht nur zu Drogen, weil sie damit psychischen und sozialen Problemen kurzzeitig entfliehen wollen oder Selbstheilung anstreben, sondern weil die Rauscherfahrung Genuss, Selbstentgrenzung, Community und Fun verspricht!"
Einführung in Bereiche des Außeralltäglichen
Diesen Umstand müsse Prävention ebenso wahrnehmen wie die Notwendigkeit des Gesprächs über all das, was Menschen im Rausch so tun: Erlösung, Abenteuer, Geborgenheit, andere Wirklichkeiten, die über den gesellschaftlich definierten Rahmen hinausführen, schließlich Initiation:
"Die Vorbildrolle erwachsener BegleiterInnen ist nicht zu unterschätzen, wenn es um Rausch und Risiko geht. Hier ist Offenheit angesagt. Über Grenzziehungen, Informationen, pädagogische Appelle und Maßnahmen bzw. Regelungen hinaus schulden wir Kindern und Jugendlichen vor allem eine ernsthafte und aufmerksame Einführung in die Bereiche des Außeralltäglichen."
Gemeinsamer Joint?
Reden über Genuss- und Suchtmittel und den dadurch hervorgerufenen Rausch ist also angesagt. Gemeinsame, familiäre Drogenerfahrungen, die über kontrollierten Alkoholgenuss hinausgehen. Den "gemeinsamen Cannabis-Joint" erachtet Martina Krieger vom Wiener Institut für Suchtprävention hingegen als sehr problematisch:
"Das Kiffen ist für die Jugendlichen auch ein Weg, sich abzugrenzen. Wenn die Eltern daran teilnehmen, gibt es nur mehr wenig Grenzen, die die Kinder anerkennen können." Abgesehen davon ist Cannabis illegal, was den Jugendlichen oft nicht bewusst ist und ihnen von den Eltern - ohne Angst und Strenge - klar gemacht werden muss.
Download-Tipp
Ö1 Club-Mitglieder können die Sendung nach Ende der Live-Ausstrahlung im Download-Bereich herunterladen.
Buch-Tipp
"Highmat. Erzählkreis zu Jugend, Rausch und Risiko", Gerald Koller, Edition Roesner, ISBN 3902300191
Links
Risflecting - Konzept zur Förderung von Rausch- und Risikokompetenz
Fonds soziales Wien - Institut für Suchtprävention
Fonds soziales Wien - Institut für Suchtdiagnostik