Print-Strategien in einer Online-Welt

Ausgedruckt

Als das Internet zu seinem ersten Höhenflug ansetzte, glaubten Viele, Tageszeitungen seien vom Aussterben bedroht. Ein paar Jahre und einen Dotcom-Crash später stellt sich die Situation nicht mehr ganz so dramatisch dar. Der Veränderungsdruck besteht aber weiter.

Als Ende der 90er Jahre das Internet zu seinem ersten Höhenflug ansetzte, da gab es nicht wenige, die Tageszeitungen auf die Liste der schon demnächst vom Aussterben bedrohten Medien setzen wollten. Ein paar Jahre und einen Dotcom-Crash später, stellt sich die Situation für die Zeitungen nicht mehr ganz so dramatisch dar; dennoch spüren sie nach wie vor und immer stärker den Veränderungsdruck durch das neue Medium Internet.

Kenner der Mediengeschichte oder der Werke von Medientheoretikern wie Marshall McLuhan wissen, dass ein altes durch ein neues Medium nie ganz verdrängt, sondern primär dazu gezwungen wird, sich neu zu definieren und neu zu positionieren.

Neue Konvergenzformen

Die "Rheinische Post" in Düsseldorf experimentiert in diesem Zusammenhang mit einer neuartigen Konvergenzform von Online und Print: Die Regionalzeitung publiziert seit Februar 2005 alle zwei Wochen eine Print-Beilage namens "Opinio", die ausschließlich aus den Beiträgen von Usern der Online-Ausgabe besteht. Zur Zeit sind knapp 4.400 Artikel dort online, hochgeladen von mehr als 800 aktiven Autoren.

Die Macher von "Opinio" möchten damit auf zwei publizistische Megatrends reagieren: Zum einen auf das Blogging-Phänomen; und zum anderen auf die immer stärkere Entwicklung in Richtung "Consumer Generated Media", also Inhalten, die von den Lesern selbst generiert werden.

Immer weniger junge Zeitungsleser
Torsten Casimir, der für "Opinio" verantwortliche Redakteur, zitiert Bert Brechts Radiotheorie als Inspiration, die bekanntlich aus dem passiven Hörer einen aktiv gestaltenden Mediennutzer machen wollte; zugleich räumt Casimir aber offen ein, dass das crossmediale Experiment mit "Opinio" kein Selbstzweck, sondern das Resultat einer tief greifenden ökonomischen Analyse ist:

"Ich denke von gewissen Krisenentwicklungen der Zeitung her: Die sinkende Auflage, gerade unter jüngeren Leserschichten, spielt da hinein und auch die abnehmende Bindefähigkeit von Tageszeitungen. Außerdem gibt es heutzutage auch ein anderes Kundenbedürfnis. Wir haben es mit Lesern zu tun, die nicht mehr nur rezeptiv und passiv erreicht werden wollen, sondern die mitmischen wollen. Auf diesen Ebenen haben wir als Zeitung ein Defizit und das möchten wir gerne durch zusätzliche Angebote kompensieren".

Das Ende der Nachrichtenmonopole
Betrachtet man die Zukunftsperspektiven für Zeitungen im Internet, so sind einige Trends und Entwicklungen absehbar: Das Internet insgesamt wird künftig durch Breitband und neue Browser-Generationen noch multimedialer und auch televisueller werden. Das wird sich auch beim Online-Angebot von Tageszeitungen bemerkbar machen.

Andererseits gibt es eine Reihe von Eigengesetzlichkeiten im Internet. Traditionelle Einnahmenquellen - wie etwa Stellenanzeigen, auf die Zeitungen im Print-Bereich quasi ein Monopol hatten - gehen durch neue Konkurrenten im Internet zurück oder fallen überhaupt weg. Auch ihr Monopol auf die Weiterverbreitung von Nachrichten haben die Zeitungen im Internet längst verloren. Hier ist massive Konkurrenz durch die Websites von Fernsehsendern und vor allem auch durch große Portale wie etwa Yahoo entstanden.

Der Medienwissenschafter Robin Meyer-Lucht hat sich von 2001 bis 2003 im Rahmen des Forschungsprojektes "Zeitung und Zeitschrift in der digitalen Ökonomie" an der Universität St. Gallen eingehend mit diesen Aspekten beschäftigt. Meyer-Lucht ist heute als Berater für den Schweizer Zeitschriftenverlag Ringier tätig und verfolgt aufmerksam die Entwicklungen an den Schnittstellen zwischen Print und Online. Dem Online-Journalismus insgesamt gibt Meyer-Lucht gute Wachstumschancen, allerdings sieht er die Online-Zeitungen mittel- und auch längerfristig noch nicht als direkte Bedrohung für die Print-Zeitungen.

Einer der Gründe dafür: Das andere Nutzungsverhalten online, sprich: die geringe Verweildauer auf Nachrichten-Websites verglichen mit Print-Produkten.

Das drohende Diktat der Clickrate
In Zukunft wird off- und online ein erbitterter Kampf um die Aufmerksamkeit der Leser geführt werden, die die Grundvoraussetzung für Werbeeinnahmen ist, die wiederum die finanzielle Grundlage für Online-Zeitungen bilden. Meyer-Lucht befürchtet in diesem Zusammenhang eine starke Ökonomisierung des Journalismus, die noch verstärkt wird durch den Umstand, dass Online-Zeitungen anhand ihrer Logfiles genau wissen, was für von den Usern wie oft und wie lange konsumiert wird. Hier ist zu befürchten, dass journalistische Kriterien immer öfter dem Diktat der Clickrate untergeordnet werden.

Eine weitere Ökonomisierung des Journalismus befürchtet Meyer-Lucht aber auch durch die immer enger werdende Zusammenarbeit von Medien und Werbekunden im Internet:

"Es ist online anders als in klassischen Medien möglich, den Prozess vom Lesen bis hin zum Kauf in einem Medium zusammenzuführen und die Online-Angebote, die dringend auf Einnahmen angewiesen sind, nutzen eben diesen Mechanismus auch im Rahmen von Kooperationen, um Leser zu Käufern zu machen. Die Redaktion und das Anzeigengeschäft sind dadurch sehr viel näher bei einander, weil die Redaktion auch aufgerufen ist, bestimmte Verkaufsprozesse zu fördern".

Buch-Tipp
Peter Glotz, Robin Meyer-Lucht (Hg), "Online gegen Print - Zeitung und Zeitschrift im Wandel", ISBN 389669443X

Links
Uni Essen - Bert Brechts Radiotheorie
Opinio