Deutsch für Aus- und Inländer

Heraus mit der Sprache

Sprache begleitet uns von klein auf. Jahrelang analysieren wir sie in der Schule und lernen Dutzende grammatikalische Regeln. Und dennoch besitzt sie einige Eigenheiten, die wir zwar intuitiv richtig umsetzen, aber nicht erklären können.

Unter dem Pseudonym Andreas Thalmayr beschäftigt sich der deutsche Dichter und Schriftsteller Hans Magnus Enzensberger in seinem neuesten Buch mit dem Phänomen Sprache. Dass es sich dabei weder um eine Grammatik, noch um eine Stilkunde handelt, stellt er gleich zu Beginn klar.

Raten Sie bitte! Was hat der Flug mit dem Vieh, der Schlag mit dem Schuh, das Öl mit dem Strick und das Bett mit dem Feuer gemeinsam? Das, was man braucht um sich zu rasieren, um zu fahren, zu reißen, zu nähen, zu waschen und zu malen?
Richtig: ein -zeug.

Rekordverdächtig

Allein die Auswahl an Möglichkeiten, die die deutsche Sprache bietet, ist enorm. Nicht nur eine breite Palette an Vor- und Nachsilben laden zum Experimentieren mit Wörtern ein, sondern auch durch das Aneinanderreihen von Hauptwörtern kann jeder Mensch neue Kreationen entstehen lassen.

Den bisherigen Rekord an derartigen Wortungeheuern hält - laut dem Autor Andreas Thalmayr - das Landwirtschaftsministerium im norddeutschen Mecklenburg-Vorpommern. Im Jahr 1999 ist das "Rinderkennzeichnungs- und Rindfleischetikettierungsüberwachungsaufgabenübertragungsgesetz" entstanden. Dass sich bei solchen Konstruktionen auch Kritiker melden, kann Thalmayr verstehen, sind viele der Wortbauklötze lang und sperrig. Durch eine derartige Vorgehensweise bei der Konstruktion neuer Wörter, eröffnen sich aber auch viele neue Möglichkeiten.

Ein Sack voller Flöhe

Dass die Sprache mit all ihren Reichtümern zu den schönsten Erfindungen der Menschheit gehört, daran lässt Andreas Thalmayr keinerlei Zweifel. Sie sei wie krummes Holz und folge Tausenden Regeln und dennoch gelte nur eine Gesetzmäßigkeit: Keine Regel ohne Ausnahme. Die Arbeit von Linguisten ist deswegen in den Augen von Andreas Thalmayr vergleichbar mit dem Versuch, einen Sack Flöhe zu hüten. Trotz dieser Komplexität schaffen es Kinder innerhalb weniger Jahre, die Muttersprache zu erlernen. Letztendlich ist auch nicht die Tatsche entscheidend, wie gut eine Sprache erklärbar ist, ob sie sich zu einer Weltsprache entwickelt.

Welche Idiome haben es zu Weltsprachen gebracht? Das Lateinische mit seinen absurden Flexionen; das Arabische, das nur die Konsonanten schreibt und es dem Leser überlässt, die Vokale zu ergänzen; das Französische mit seiner abwegigen Orthographie; und das Englische mit seinem blühenden Chaos; nicht aber Sprachen, die über eine vernünftige Rechtschreibung verfügen, wie das Italiensche und das Finnische.

Konjunktiv der dritten Art

Nicht nur die Unterschiede zwischen den einzelnen Sprachen geben Anlass, um sie zu erforschen, sondern auch verschiedenen dialektale Variationen. Der Konjunktiv teilt sich im deutschsprachigen Süden nicht nur in Konjunktiv 1 und 2 - "er habe" und "er hätte" - sondern oft wird noch eine dritte Version erzeugt: Österreicher und Bayern greifen auf Formen zurück, die im Hochdeutschen überhaupt nicht existieren:

Schwache Konjunktivformen wie "ich ginge" gibt es dort nur von ganz wenigen Verben wie "tun", "haben", "sein" und "können"; neben "i daad" sind das "i häd", "i wààr" und "i kànd". Alle anderen bilden einen schwachen Konjunktiv II, und der lautet nicht "ich möchte, liefe, bliebe", sondern "i mechad, i làffàd" und "i bleiwàd".

Lästiges Korsett Duden

Thalmayr beschäftigt sich in seinem Buch unter anderem auch mit den Fragen, ob es für einen Gegenstand tatsächlich mehrere Bezeichnungen geben kann, oder ob bestimmte sprachliche Phänomene überhaupt existenzberechtigt sind. Doch - so lautet Thalmayrs Credo - Sprache lasse sich nicht beherrschen.

Sprachlich immer auf den Punkt gebracht und pointiert formuliert, lädt der Autor in sieben Runden zum Nachdenken über Sprache ein und hinterfragt, wie viel Sinn es macht, Sprache in das Korsett eines Dudens oder einer Rechtschreibreform zwingen zu wollen.

Wer sich als Herrscher über die Sprache aufspielt, hat nicht begriffen, dass es sich um das einzige Medium handelt, in dem Demokratie schon immer geherrscht hat.

Buch-Tipp
Andreas Thalmayr, "Heraus mit der Sprache. Ein bisschen Deutsch für Deutsche, Österreicher, Schweizer und andere Aus- und Inländer", Carl Hanser Verlag, ISBN 3446206183