Wenn Kinder voneinander lernen
Schulprojekt "Weltreligionen"
Neben der klassischen konfessionellen Form haben sich unter dem Motto "Weltreligionen" einzelne Schulen in Österreich, darunter auch die VS Kreindlgasse in Wien-Döbling, vorgewagt und Projekte des interreligiösen Lernens konzipiert.
8. April 2017, 21:58
Was Kinder glauben
"Wer bin ich? Gibt es Gott? Woher kann ich etwas von Gott wissen? Was kommt nach dem Tod? Wie stelle ich mir den Himmel vor? Gibt es die Hölle?" - Solche existenziell-religiösen Fragen beschäftigen Kinder weit mehr, als man annehmen könnte. Schließlich gewinnen sie daraus auch Grundorientierungen über ein gutes oder ein verfehltes Leben.
Vor kurzem fand in der Erzdiözese Wien eine Woche des Religionsunterrichts statt. Man wollte zeigen, was Religionsunterricht heute in einer von Identitäts- und Kulturkrisen geprägten Gesellschaft zu leisten vermag. Neben den klassisch konfessionellen Formen haben sich dabei einzelne Religionslehrer und Lehrerinnen vorgewagt und Projekte des interreligiösen Lernens in Angriff genommen. So beispielsweise die Wiener Volksschule Kreindlgasse in Wien-Döbling...
Wenn Kinder argumentieren...
Die Diskussionen untereinander sind anregend und manchmal auch kontrovers, beispielsweise wenn es um unterschiedliche Gottesvorstellungen geht.
Die neunjährige Valerie meint beispielsweise: "Ich kann mir Gott nicht als strafenden Richter vorstellen. Die Hölle ist nur dazu da, dass die Menschen Angst bekommen, damit sie einen Druck haben, nicht so viel Schreckliches zu tun.
Und Alexander meint auf die Frage, welche Religion die Wahrheit hat: "Alle glauben an einen Gott, sie haben nur verschiendene Namen für ihn: Gott, Jahwe, Allah, Schöpfer, der Stärkste, der Herrscher, der Allmächtige, Der Barmherzige... Alle haben Recht in der Religion, in der sie glauben.
Auch die Frage nach Leid und Krieg wird von den Schülern im Gedenkjahr thematisiert. Paola: "Hitler hat geglaubt, Gott hilft ihm mächtiger zu werden und die anderen Leute umzubringen. Aber Gott liebt alle und möchte nicht, dass sie umgebracht werden. Da hat sich Hitler getäuscht. Er hat nicht in der Bibel gelesen und war nicht in der Kirche. Sonst hätte er gewusst: Gott will keine Morde. Das war Hitler in seinem Machttraum.
Keine religiösen Glaubensgrenzen
Von den 200 Schülerinnen und Schülern in der Kreindlgasse besuchen 120 den katholischen Religionsunterricht, 18 den evangelischen und 16 den islamischen. Der Rest ist ohne Bekenntnis, wovon einige dennoch freiwillig am Religionsunsterricht teilnehmen dürfen. Sie sind aus unterschiedlichen Kulturen, Religionen und Herkunftsländern zusammengewürfelt und finden zueinander über den Religionsunterricht, und das ist außergewöhnlich. Denn das religiöse Bekenntnis markiert in vielen Ländern die Grenzlinie, an der Andersgläubige diskriminiert, ausgegrenzt und verfolgt werden. Österreich ist hier anders und das zeigt sich beispielhaft an dieser Pilgrim-Schule.
Pilgrim-Schulen haben sich zum Ziel gesetzt, so zu unterrichten, dass das Lernen eine Tiefenwirkung entfalten, spirituelle Fragen gestellt werden und sich in sozialem Engagement im Umgang mit den Menschen auswirken.
Projekt "Weltreligionen"
Gertrud Theil, katholische Religionslehrerin in der VS Kreindlgasse war die treibende Kraft des Projekts "Weltreligionen, das sie zusammmen mit ihrer evangelischen Kollegin Liane Fuchs und der muslimischen Religionslehrerin Mabrouka Rajachy zum Erfolg machte. Neben Exkursionen in Synagogen, Moscheen und Kirchen wurden den Voksschülern auch Gespräche und Begegnungen mit Religionsvertretern ermöglicht. Mit kreativen Spielen und Aktionen, Musik und Tanz versuchten sie einen ganzheitlichen Erfahrungszugang zum Thema. Bei den Schülern hat das Projekt "Weltreligionen jedenfalls eingeschlagen.
Ein Motiv von Gertrude Theil war ihre Erfahrung an einer Wiener Schule im 15. Bezirk in einer religiösen Minderheitenposition zu sein. Dort waren 60 Prozent der Kinder muslimisch und nur 20 Prozent römisch-katholisch: "Hier in der Volksschule sind die Verhältnisse umgedreht. Aber gerade da ist es wichtig, die anderen mitwissen zu lassen von dem, was meine Religion und meinen Glauben ausmacht, sagt Theil. Erst so könne man erreichen, dass Andersgläubige nicht wegen ihres Glaubens diskriminiert und behindert würden.
Nur positive Reaktionen
Unter den Vertretern der anerkannten Religionsgemeinschaften gibt es jedenfalls einhelligen Konsens über die Wichtigkeit des Religionsunterrichts an öffentlichen Schulen. Der Wiener Religionspädagoge Prof. Martin Jäggle sieht im konfessionellen Religionsunterricht eine Keimzelle der Kultur gegenseitiger Anerkennung. Die Schule - so Jäggle - sei der einzige Ort in der Gesellschaft, wo ein Dialog über die verschiedenen Wahrheitsansprüche tatsächlich stattfinden könne. Der Religionsunterricht sichere damit die Widerstandsfähigkeit gegen den Trend zum Relativismus und zur Gleichgültigkeit.
Für den Präsidenten der islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich, Anas Schakfeh, müsse Religion auch im Unterricht eine ganzheitliche Sicht auf das Leben bieten. Das mache eine Pluralität der Antwort-Möglichkeiten notwendig, die sich in der Pluralität des konfessionellen Religionsunterrichtsangebotes widerspiegle. Nur wenn es gelinge, diese Pluralität auch einzuüben, sei ein Leben in Frieden, Anerkennung und Freundschaft möglich, meint Schakfeh.
Der evangelische Oberkirchenrat Michael Bünker unterstreicht die Bedeutung des Religionsunterrichts, weil er eine "Urteilsfähigkeit" hinsichtlich persönlicher Überzeugungen und gesellschaftlicher Herausforderungen bewirke, die der Wahrheitsfindung und dem Mündig-Werden dienen. Außerdem halte der Religionsunterricht "die Gottesfrage offen" und stärke auf Grund seiner pluralen Anlage die "Diskursfähigkeit" der Schüler.
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