Prager Geschichten

Unterdrückung und Aufbegehren

Bedrich Smetanas musikalischer Zyklus "Ma Vlast" (Mein Heimatland) - worin "Die Moldau" weltberühmt wurde - gilt seit der Uraufführung 1882 als Symbol des tschechischen Widerstands. Jährlicher Aufführungshöhepunkt: das Musikfestival "Prager Frühling".

Seelisch und gesundheitlich befand sich Bedrich Smetana 1874 in der schlimmsten Phase seines Lebens: völlige Taubheit hatte sich bei ihm (wie bei Beethoven) eingestellt. Auch seine finanzielle Lage war existenziell so bedrohlich wie noch nie. Obwohl Smetana im musikalischen Zyklus "Ma Vlast" (Mein Heimatland) bereits den zweiten Teil "Die Moldau" komponiert hatte, galt er als umstrittener Musiker. Denn mit dem Vorhaben eine neue tschechische Nationalmusikrichtung zu gründen, konnte Bedrich Smetana politisch vorerst keine Freunde gewinnen.

Exstenzsorgen

Aufgrund der eingetretenen Taubheit verlor Smetana seinen Job als Kapellmeister und Dirigent. Seine Berufsjahre waren zu kurz gewesen, daher hatte er kein Anrecht auf die volle Pensionshöhe. Sorgen über Sorgen quälten ihn. Sein Existenzkampf wurde darüber hinaus erschwert, da plötzlich, mit einem Schlag, alle seine Gegner an den Schalthebeln der künstlerischen Macht in Prag zu finden waren und ihm, wo es nur ging, das Leben schwer machten.

Mit Gefühlen der Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit setzte er sich an den nächsten Teil seines Heimatland-Zykluses, dem dritten Teil "Sarka". Dazu inspirierte ihn ein Stück früher Nationalgeschichte. Es erzählt vom einst freien, prosperierenden Leben - um 800 n. Chr. - eines westslawischen Stammes unter der Fürstin Libuse, der Gründerin und Schutzpatronin Prags.

Freie Meinung

Als nach dem Tod ihres Vaters Streit unter den Männern ausbrach, beschloss sie selbst den Thron zu besteigen, heiratete den armen Bauern Premysl und machte ihn zum Mitregenten.

Unter ihrer Regentschaft galt freie Meinungsäußerung ebenso, wie eine matriarchal ausgerichtete Rechtslage. Dazu zählte etwa, dass die Frau ihren Mann erwählen durfte und er sich nach der Hochzeit ihrem Familienclan anschloß.

Nach Libuses Tod verloren die Frauen ihre Schirmherrin. Premysl verweigerte Frauen zunehmend ihre Rechte und ihre Ehre wurde missachtet; oft auch mit brutalen Mitteln. Viele Frauen flohen daher vor ihren Männern und schlossen sich zu einer Gruppe um eine einstige Getreue Libuses, Vlasta, zusammen.

Widerstand

Genau dem Regierungssitz Premysls in Vysehrad gegenüber begannen die Frauen ihre eigene Burg Devin ("Die Mädchenburg") zu bauen. Sie formierten ein Reich im Reich. Bauten selbst Gemüse an, bildeten sich zu hervorragenden Kämpferinnen aus und erhielten von den Frauen der umliegenden Dörfer und Burgen heimlich Waffen. Im Bewußtsein der Mehrheit der Frauen war immer noch verankert, sich ihre Rechte von Männern nicht plötzlich nehmen zu lassen. Vlasta und ihre Frauen bereiteten sich auf deren Rückeroberung vor.

Den jetzt allein regierenden Männer in Vysehrad, die das zuvor amüsiert beobachteten und sich nun ausmalten, wie lustvoll sie empfangen würden, reichte es und sie machten sich auf, die Mädchenburg zu erobern. Damit hatten sie allerdings nicht gerechnet! Ihre Frauen und Töchter waren hervorragende Kriegerinnen geworden, die ihre Rechte verteidigten, einen Großteil der Männer töteten und den Rest in die Flucht jagten.

Als die Frauen in Prag und den umliegenden Dörfern vom Sieg hörten, hob das ihr Selbstbewusstsein. Auch ein zweites Mal unterlagen die Männer den Frauen durch eine Kriegslist mit der schönen Sarka als Lockvogel.

Auslöschung

Premysl, dem ehemals armen Bauern und Libusses einstigem Mann, war es nun zu viel und er schickte - gestärkt durch seine frisch gewonnene Macht - eine bis an die Zähne bewaffnete Armee los, ließ alle Frauen und Kriegerinnen um Vlasta töten und die Burg in Feuer und Asche versenken...

Insgesamt acht Jahre lang hat Smetana an dem Zyklus gearbeitet, ehe er am 5. November 1882 in Prag uraufgeführt wurde. Inzwischen gab es auch einige politische Veränderungen: Der nationale Befreiungsgedanke hatte jetzt auch Böhmen und Mähren erreicht; die Unabhängigkeit von der Österreichisch-Ungarischen Monarchie war das Ziel.

Künstler und Intellektuelle des Landes erhoben Smetanas "Ma Vlast" zum musikalischen Nationalepos, das seinen besonderen Stellenwert bis heute hält.

Politische Botschaften

Wenn die Tschechen mit "ihrem" Musikzyklus ansetzen, meinen sie es meist sehr ernst. Das war 1939, als Hitler das Protektorat Böhmen und Mähren ausrief so und auch 1968, nach dem Einmarsch der sowjetischen Truppen, stellte sich die Tschechische Philharmonie musikalisch tapfer entgegen. Hitler ließ daraufhin Smetanas Zyklus jahrelang verbieten. Auch die Sowjets verstanden die Botschaft genau.

Seit vielen Jahren werden nun zum Auftakt des "Prager Frühlingsfestes" am Todestag von Bedrich Smetana, am 12. Mai, alle sechs Teile des symphonischen Zykluses gespielt. Es sind Musikwochen, die jährlich hochkarätige Künstler nach Prag holen. Dirigent der diesjährigen Aufführung war Sir Colin Davis mit dem London Symphony Orchestra, zu hören, in der Ö1 "Matinee".

Hör-Tipp
Matinee, Sonntag, 19. Juni 2005, 11:03 Uhr

Links
Schwarz auf Weiss - Prag
Prager Frühling