Bedroht der Kreml die neue Marktwirtschaft?

Gute und böse Oligarchen

Ein Fünftel der russischen Wirtschaft wird von acht Leuten kontrolliert. Jeder Investor muss wissen, dass er über Nacht alles verlieren kann. Wie sicher können sich nach dem Chodorkwoski-Urteil diejenigen fühlen, die immer noch ganz oben sind?

Olga Kryschtanowskaja über Russlands derzeitige Situation

Er war einer der wenigen neuen Herrscher über die russischen Großkonzerne im Energie- und Rohstoffbereich: Michail Chodorkowski. Mit Hilfe der Clique rund um den früheren Präsidenten Boris Jelzin hat er den Grundstein zu seinem Erdölimperium - dem Yukos Konzern - gelegt. Jetzt sitzt er im Gefängnis, wurde zu neun Jahren Haft verurteilt: offiziell wegen Steuerhinterziehung, in Wahrheit wegen seiner Opposition zu Präsident Putin.

Der Oligarch

Der Name Michail Chodorkowski ist Symbol geworden für das fragwürdige Verhältnis in Russland zwischen Wirtschaft und Politik. Der Zusammenbruch der Sowjetunion war auch ein wirtschaftlicher. Die Zahlen machen die Dramatik des Umbruches nur unzureichend deutlich. Trotzdem: In den ersten fünf Jahren nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion ist die Wirtschaft um fast ein Drittel geschrumpft. Nach einer zaghaften Erholung dann die Finanzkrise 1997. Seither geht es wieder bergauf.

In diesen turbulenten Zeiten gab es unglaubliche Chancen für die Schnellen, für die Schlauen, für die Entschlossenen. Einer davon: Michail Chodorkowski. Mit Hilfe der Clique rund um den früheren Präsidenten Boris Jelzin hat er den Grundstein zu seinem Erdölimperium gelegt, zum Yukos-Konzern - ein besonders gut und effizient geführter Konzern mit einem besonders jungen und selbstbewussten Oligarchen an der Spitze. Oligarchie bedeutet bekanntlich die Herrschaft der Wenigen. Wie sehr jedoch diese Wenigen die Wirtschaft Russlands beherrschen dürfen, beweist die jüngste Verhaftung des Yukos-Chefs.

Die Macht des Kreml

Schätzungen gehen davon aus, dass heute die erfolgreichsten acht Oligarchen etwa 20 Prozent der russischen Volkswirtschaft kontrollieren, verbunden mit zum Teil erheblichem politischen Einfluss. Was sie unweigerlich in Konflikt mit dem eifersüchtig auf seine politischen Vorrechte pochenden Präsidenten Putin bringt, vor allem, wenn die Oligarchen nicht ihren drei Hauptaufgaben nachkommen: Nämlich der Steuerpflicht, der Unterstützung sozialer Projekte und der völligen Abstinenz in politischen Fragen.

Die Oligarchen Wladimir Gusinksi (Medien) und Boris Berezowski (Öl, Autos und Medien) haben die Erfahrung schon hinter sich, nämlich nach relativ kurzer Zeit größter Macht und politischen Einflusses, entmachtet und vertrieben zu werden. Aber wer, wie sie, unter dem Druck der Politik schließlich aufgibt und das Land verlässt, fällt weich. Wer - wie Chodorkowski - es wirklich wissen will und in Russland um sein Recht kämpft, derjenige muss mit Lagerhaft rechnen.

Die Guten und die Bösen

Wie sicher können sich nach dem Chodorkwoski-Urteil noch diejenigen fühlen, die immer noch ganz oben sind: Michail Fridman (Ölindustrie, Banken, Telekommunikation), Roman Abramowitsch (Öl-, Aluminium- und Fahrzeugindustrie), Anatolij Tschubais (Stromindustrie), Wladimir Potanin Nickelproduktion), Oleg Deripaska (Aluminiumindustrie), um nur die wichtigsten zu nennen?

Elitenforscherin Olga Kryschtanowskaja dazu: "Es gibt im Kreml eine Liste von guten und von bösen Oligarchen. Die bösen Oligarchen fordern die Staatsmacht immer wieder heraus. Aber es ist für den Kreml natürlich leichter, sich mit diesen Leuten diskret zu einigen, als öffentlich zu streiten. Chodorkowski wäre auch nie das passiert, was passiert ist, wenn er einfach gezahlt hätte. Oder wenn er emigriert wäre. Oder sich auf die Bedingungen, die man ihm gestellt hat, eingelassen hätte. Im Grunde hat das weniger mit den Oligarchen und mehr mit der Persönlichkeit Chodorkowskis zu tun: Er will für sein Recht einstehen: Ein Don Quixote, ein russischer Don Quixote, der die Staatsmacht herausgefordert hat.“

Die wirtschaftlichen Erben

Dass der wichtigste Aktivposten von Yukos, die Ölfirma Juganskneftegas, an die staatliche Firma Rosneft gefallen ist, lässt interessante Schlüsse über die Kräftebalance im Kreml zu. Der Kampf um die Übernahme von Juganskneftegas hat sich zuletzt zwischen zwei Staatsfirmen - Gasprom und Rosneft - abgespielt, die wiederum für die beiden wichtigsten Fraktionen im Kreml-Machtkampf stehen. Die Ölfirma Rosneft, die letztlich den Zuschlag erhalten hat, ist ein Instrument der so genannten "Silowiki" - so nennt man den Kreis der öffentlichkeitsscheuen KGB-Männer, die in den letzten Jahren von Präsident Putin in die höchsten Ämter geholt wurden.

Warum ausgerechnet Rosneft das wirtschaftliche Erbe Chodorkowskis angetreten hat, erklärt Andrej Zagorski, Professor an der diplomatischen Akademie in Moskau folgendermaßen: "Das war ganz wichtig, denn wir müssen auch sehen, dass sich die unterschiedlichen Gruppen auf die Wahlen und die Nachfolge von Putin vorbereiten. Also Namen gibt es jetzt nicht. Nicht einmal im Gespräch. Aber die versuchen ihre Machtbasis auszubauen, damit sie bessere Chancen bei dem letzten Kampf um die Nachfolge bekommen.“

Die internationalen Auswirkungen

Wenn man auf die russische Börse schaut, so hätte sie sich nach Expertenmeinung wohl besser entwickelt, wenn es den Fall Yukos nicht gegeben hätte. Wenn auch Präsident Putin im April dieses Jahres öffentlich angekündigt hat, dass der Steuerterror eingestellt wird, die Wirtschaftsvertreter und die Steuerbehörden diskutieren bis heute, wie oft Steuerprüfungen wiederholt werden dürfen und nach welchen Regeln sie eigentlich stattfinden sollen.

Ein klarer Indikator behördlicher Willkür ist auch die Kapitalflucht: Verließen im Jahr 2000 25 Milliarden Dollar das Land, so waren es 2003 nur noch 2,3 Milliarden, also eine deutliche Trendumkehr, Russland wurde - vor dem Fall Yukos - wieder zu einem interessanten Investitionsstandort für das russische Kapital. 2004 - als sich abzeichnete, wie die Staatsmacht mit Yukos umspringen wird - ist die Kapitalflucht wieder auf zehn, andere Berechnungen sprechen gar von zwölf Milliarden Dollar angestiegen.

Auf den ersten Blick steigen paradoxerweise dazu sprunghaft die Auslandsinvestitionen: Von 20 Milliarden US Dollar im Jahr 2002 auf 30 Milliarden 2003 und die Tendenz ist weiter steigend. Kapitalflucht und Investitionsboom sind kein Widerspruch: Der ausländische Investor kommt ja nicht nach Russland, um hier Politik zu machen oder das politische System zu ändern. Und wer nach den großen Chancen auf dem russischen Markt sucht, darf auch das Risiko nicht scheuen.

Die möglichen Risken

"Jeder Investor, der nach Russland kommt, muss eines wissen: Wie attraktiv es für ihn hier auch scheinen mag, er kann über Nacht alles verlieren. Wenn ein Investor damit leben kann, wird er es eben riskieren", sagt Olga Kryschtanowskaja.

Die tatsächlichen Risken liegen in der Arbeitsteilung: hier eine Gruppe schwerreicher Privatleute, mit der Lizenz zum Geldverdienen, dort eine politische Elite, die mit Gewalt, Erpressung und Einschüchterung dieser Gruppe von Privatleuten das Geld wieder abnimmt; diese Arbeitsteilung wird spätestens dann in Frage gestellt, wenn die Geschäftsbasis nicht mehr stimmt. Und diese stimmt dann nicht mehr, wenn mit sinkenden Weltmarktpreisen für Erdöl, Erdgas und Buntmetallen eben nicht mehr so viel zu erwirtschaften ist.

Professor Andrej Zagorski ist jedenfalls skeptisch, ob man dann mit den Mitteln des inzwischen gegründeten Stabilitätsfonds (zum Jahresbeginn 14 Milliarden Euro) eine Krise noch aufhalten kann. Präsident Putin wird natürlich alles tun, damit die Lage bis zum Ende seiner Amtszeit 2008 stabil bleibt. Dass aber ein Wirtschaftssystem, das wesentlich von Rohstoffexporten abhängt, auf einer unsicheren Basis steht, ist evident.

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